Andreas Kagermeier

Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt


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alt=""/>Abb. 23:

      Bevölkerungspyramide Deutschland 2010 und 2050 (Quelle: eigene Darstellung auf der Basis der 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes; destatis.de)

      Während aktuell die Nachfrage von mittleren Altersgruppen dominiert wird, werden in den nächsten Jahrzehnten zunehmend Reisende im Rentenalter auf dem Markt präsent sein. Volumen und Art der Nachfrage von älteren Reisenden werden künftig einerseits von den gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wie Renteneintrittsalter, Höhe der Altersbezüge oder gesundheitliche Situation abhängen. Aktuell wird die Generation 60plus, die teilweise bereits vor der gesetzlichen Altersgrenze mit oftmals soliden Altersbezügen in den Ruhestand geht und damit in der aktiven Phase zwischen 60 und 75 Jahren als potente Nachfrager auf dem Reisemarkt auftreten, von vielen Anbietern und Destinationen als gern gesehene Zielgruppe umworben. Wenn sich absehbar die Zeitpunkte des Eintritts in den Ruhestand nach hinten verschieben und auch Alterskohorten in den Ruhestand eintreten, die nicht mehr mehrheitlich kontinuierliche Arbeitsbiographien mit guten Altersbezügen aufweisen, ist teilweise offen, welche Nachfragemuster realisiert werden. Einerseits ist denkbar, dass ältere Nachfrager zwar aufgrund des späteren Eintritts in den Ruhestand nicht mehr in dem Maß als aktive (Früh-) Ruheständler adressiert werden können, wie die aktuell der Fall ist. Gleichzeitig ist aber auch zu erwarten, dass angesichts späterer Ruhestandseintrittsalter die Nachfrage nach, die Arbeitskraft erhaltenden bzw. wiederherstellenden gesundheitstouristischen Angeboten zunehmen wird. Eine bislang noch nicht gemeisterte Herausforderung wird in den kommenden Jahrzehnten sicherlich auch die Schaffung von angemessenen Angeboten für Hochbetagte (über 75 Jahre) darstellen, deren Anteil an der Bevölkerung sich deutlich erhöhen wird.

      Insgesamt gesehen ist unter Berücksichtigung der nachfrageseitigen Rahmenbedingungen und Tendenzen auch für die nächsten Jahrzehnte davon auszugehen, dass die touristische Angebotsgestaltung weiterhin vor wachsenden Herausforderungen steht, der touristischen Nachfrage angemessen zu begegnen.

      2.3 Subjektive Rahmenbedingungen der Nachfrageseite und deren Messung

      Vor dem Hintergrund der sich ausdifferenzierenden und zunehmend auch volatiler werdenden Nachfrage kommt der Identifizierung der nachfrageseitigen Erwartungshaltungen und Dispositionen als Voraussetzung für eine marktadäquate und damit auch ökonomisch erfolgreiche Angebotsgestaltung eine zunehmende Bedeutung zu. Dementsprechend ist der folgende Abschnitt den Ansätzen zur Erfassung der subjektiven Rahmenbedingungensubjektive Rahmenbedingungen auf der Nachfrageseite gewidmet.

      Ausgangspunkt der Analyse von nachfrageseitigen Dispositionen ist immer die Einbeziehung der gesellschaftlichen Gesamtkonstellation. Damit stellen Wertediskussionen genauso wie Einkommensniveaus oder Wohnverhältnisse, aber auch persönliche Lebensumstände oder die mediale Kommunikation relevante Aspekte dar, die als Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Analyse der individuellen Bedürfnisse und Erwartungen mit zu berücksichtigen sind.

      2.3.1 Der Reiseentscheidungsprozess

      Eine der Grundvoraussetzungen für die Analyse der subjektiven Dispositionen ist ein Grundverständnis von den Abläufen im ReiseentscheidungsprozessReiseentscheidungsprozessReiseentscheidungsprozess. In der Sozialpsychologie werden unterschiedliche Phasen von Entscheidungsprozessen unterschieden, die übertragen auf den Reiseentscheidungsprozess in Abbildung 24 dargestellt sind.

      Die einzelnen Phasen zeichnen sich durch eine zunehmende Konkretheit aus. Während ein Reisewunsch noch relativ diffus sein kann, werden in der Präferenzphase unter Einbeziehung zusätzlicher Informationen (aber auch der früher gemachten Erfahrungen) Urlaubsformen und mögliche Zielgebiete ins Auge gefasst. Diese werden idealtypisch vergleichend bewertet, bevor eine Entscheidung getroffen wird.

      Abb. 24:

      Phasen des Reiseentscheidungsprozesses (Quelle: eigener Entwurf in Anlehnung an HECKHAUSEN & GOLLWITZER 1987)

      Übersetzt in die Marktkommunikation wird diese Unterteilung meist als AIDA-ModelAIDA-Model bezeichnet (vgl. z. B. FREYER 2011b, S. 207f.). Unter dem Akronym werden die vier Begriffe:

       AAIDA: Attention

       I: Interest

       D: Decision

       A: Action

      verstanden, die ebenfalls an die sozialpsychologischen Entscheidungsphasen angelehnt sind, aber den Marketingblickwinkel auf die Art und Inhalte der Ansprache potentieller Reisender richten.

      Während der Phase der Aufmerksamkeitsgenerierung (= Attention) sind es meist Informationen, die passiv von den potentiellen Reisenden aufgenommen werden. Abgesehen von Relevanz der Mund-zu-Mund-Propaganda durch Bekannte und Freunde (= Word of Mouth), die in Zeiten von Social Media auch über entsprechende Internetplattformen erfolgt, auf denen Reiseerfahrungen geteilt werden (= Word of Mouse), bedeutet dies für die Anbieter, dass die Information aktiv an die potentiellen Kunden herangetragen werden müssen (= Push-Marketing). Gleichzeitig liegt der Schwerpunkt der Marktkommunikation auf relativ allgemeinen Darstellungen, die insbesondere auch emotionale Komponenten enthalten und auf das Image einer Destination abzielen.

      In der Phase des Interesses (= Interest) und der Entscheidung (= Decision) werden demgegenüber vom potentiellen Reisenden verstärkt aktiv Informationen über in Frage kommende Destinationen und die dortigen Angebote für Übernachtungen und Aktivitäten gesucht (= Pull-Marketing). Diese sollen auch einen höheren Grad an Konkretisierung aufweisen, um konkrete Vergleiche zu ermöglichen. Aber auch in diesen Phasen spielt die (in den Tourismuswissenschaften bislang nur sehr partiell analysierte) „Word of Mouth“- oder „Word of Mouse“-Information eine wichtige Rolle.

      Die Herausforderung für die touristischen Leistungsträger besteht darin, einerseits intensiv und zielgruppenadäquat ein Interesse an einem touristischen Angebot durch – auch emotional geprägte – allgemeine Darstellungen zu wecken und andererseits leicht zugänglich auch konkrete Detailinformationen abrufbar zu halten. Gleichzeitig ist evident, dass es für kleinere und weniger bekannte Destinationen oftmals schwierig ist, die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten. Dementsprechend kommen dem Zusammenschluss und der Kooperation in größeren Einheiten, die leichter ein bestimmtes Maß an Bekanntheit erreichen können, im Tourismus eine entscheidende Rolle zu (vgl. Kap. 4).

      2.3.2 Das Einstellungsmodell

      Die Erfassung des ImagesImage einer Destination bzw. der ZufriedenheitKundenzufriedenheit mit einem touristischen Angebot folgt meist den psychologischen Ansätzen der neobehavioristischenNeobehaviorismus Schule. Dort wird ganz grundsätzlich das menschliche Handeln als Reaktion des Organismus auf externe Stimuli verstanden, weshalb dieser Ansatz oftmals auch als S-O-R-ModellS-O-R-Modell bezeichnet wird. Grundüberlegung ist, dass das Individuum externe Stimuli intern verarbeitet und dementsprechend dann darauf reagiert. Während in der Frühphase dieses Ansatzes der Informationsverarbeitungsprozess im Individuum oftmals als Black Box angesehen wurde, richten sich in den letzten Jahrzehnten die Anstrengungen vor allem darauf, eben genau diese Prozesse nachvollziehbar zu machen, um sie nicht nur zu verstehen, sondern ggf. auch beeinflussen zu können.

      Dabei kommt dem EinstellungsmodellEinstellungsmodell eine zentrale Rolle zu. Die im Wesentlichen auf FISHBEIN & AJZEN (1975) zurückgehende Einstellungsforschung teilt das Konstrukt Einstellung in zwei bzw. drei Teilkomponenten auf und wird oftmals auch als Adequacy-Importance-Ansatz bezeichnet. Als erste Komponente der Einstellung wird das Maß, in dem Merkmale eines bestimmten Angebots die individuellen Bedürfnisse erfüllen (= Adequacy), angesehen. Die subjektive Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Einstellungsgegenstand eine bestimmte Eigenschaft aufweist, wird auch als kognitive Komponentekognitive Komponente bezeichnet. Die zweite emotionaleemotionale Komponente oder motivationale Komponentemotivationale Komponente besteht in der Wichtigkeit, die einem Merkmal zugemessen wird (= Importance). Das Produkt aus beiden Komponenten wird