Bernhard Kempen

Völkerrecht


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ihre Beschlüsse als Bestandteile des Entstehungsprozesses von Gewohnheitsrecht verstanden werden könnten, das einer Staatenpraxis und einer dazutretenden Rechtsüberzeugung bedarf. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass es sich bei gewissen Entschließungen der Generalversammlung um authentische Auslegungen der Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen handele, die mit der Charta gleichermaßen verbindlich seien. Eine bemerkenswerte Theorie ist die Theorie der Rezitation, wonach eine Resolution grundsätzlich zwar unverbindlich sei, aber durch ständig wiederholte Zitierung in den Präambeln späterer Resolutionen zur Rechtsquelle werde. So sei die ursprünglich nicht rechtsverbindliche AEMR durch spätere zustimmende Erklärungen der Staaten völkerrechtlich verbindlich geworden und dies umso mehr, als der → IGH in seinem Gutachten vom 21.6.1971 über die „Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970)“ alle Diskriminierungen von Rasse, Farbe und Abstammung als „flagrant violation of the purposes and principles of the Charter“ erklärt und damit implizit deren Ziele und Grundsätze als rechtsverbindlich anerkannt habe.

      Die Charta der Vereinten Nationen unterscheidet jedoch zwischen verbindlichen Entscheidungen und Beschlüssen einerseits und unverbindlichen Empfehlungen andererseits. Die Resolutionen der Generalversammlung gehören zu den unverbindlichen Empfehlungen, und überhaupt gibt die Charta der Vereinten Nationen der Generalversammlung keine Befugnis, über Fragen des internen Organisationsrechts hinaus allgemein verbindliche Völkerrechtsnormen zu setzen. Schon wegen dieser eindeutigen Regelungen der Charta wird man der herrschenden Meinung auch den Vorzug geben müssen und Resolutionen als unverbindlich bewerten. Diese Auffassung wird auch durch die Praxis der Vereinten Nationen bestätigt, die nach Verkündung feierlicher Resolutionen auf den Abschluss entsprechender Konventionen drängt. Die Resolutionen der Generalversammlung sind auch keine → Rechtsquellen des Völkerrechts, da sie in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut, der die Rechtsquellen abschließend aufführt, nicht erwähnt sind. Drückt die Resolution jedoch bereits bestehendes → Völkergewohnheitsrecht oder → allgemeine Rechtsgrundsätze aus, so ist sie rein deklaratorisch. Als ein Anzeichen für eine opinio iuris kann sie allenfalls zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht beitragen. Schließlich ist die Generalversammlung bei ihrer gegenwärtigen Struktur ungeeignet, als Weltgesetzgeber zu fungieren, da in ihr lediglich politische Auffassungen ausgetauscht und taktische Positionen bezogen werden, nicht aber Recht gesetzt werden soll.

2. Inhalt

      Die AEMR enthält 30 Artikel, von denen Art. 29 die Schranken umreißt und Art. 30 eine Auslegung entgegen der Ziele der AEMR verbietet. Sie basiert auf drei Grundpfeilern: erstens, alle Menschen sind frei geboren und gleich in ihren Rechten und ihrer Würde (Art. 1); zweitens, alle genannten Rechte gelten für jedermann ohne jegliche Form von Diskriminierung (Art. 2), und drittens, jedermann hat das Recht auf eine soziale und internationale Ordnung, welche die in der AEMR genannten Rechte und Freiheiten vollständig umsetzt (Art. 28).

      Die Vielzahl der aufgeführten Rechte und Freiheiten lässt sich in fünf Gruppen unterteilen: die Rechte des Individuums, Rechte zur Gewährleistung der persönlichen Sicherheit, Rechte der politischen Teilhabe, wirtschaftliche und soziale Rechte und die Rechte des Soziallebens und der Bewegungsfreiheit.

      Beispiele für die Rechte des → Individuums sind das Recht auf Leben und Freiheit (Art. 3), das Verbot von Sklaverei und Sklavenhandel (Art. 4) sowie das Folterverbot (Art. 5). Ebenso zählen das Recht auf Anerkennung als Rechtsperson (Art. 6) und die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 7) dazu.

      In die Gruppe der Rechte zur Gewährleistung der persönlichen Sicherheit fallen der Anspruch auf Rechtsschutz (Art. 8), der Schutz vor Verhaftung und Ausweisung (Art. 9), der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 10), die Unschuldsvermutung und das Rückwirkungsverbot (Art. 11), die Freiheitssphäre des Einzelnen (Art. 12) und das Recht auf Asyl (Art. 14).

      Die Rechte der politischen Teilhabe umfassen die Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 18), die Äußerungs- und Informationsfreiheit (Art. 19), die Versammlungs- und Vereinsfreiheit (Art. 20) und das allgemeine und gleiche Wahlrecht (Art. 21).

      Zu den wirtschaftlichen und sozialen Rechten zählen die Gewährleistung des Eigentums (Art. 17), das Recht auf Arbeit und gleichen Lohn, die Koalitionsfreiheit (Art. 23), das Recht auf Erholung und Freizeit (Art. 24), das Recht auf soziale Betreuung (Art. 25) sowie das Recht auf kulturelle Betreuung und das Elternrecht (Art. 26).

      Unter die Rechte des Soziallebens und der Bewegungsfreiheit fallen die Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit (Art. 13), das Recht auf Staatsangehörigkeit (Art. 15) und die Freiheit der Eheschließung und der Schutz der Familie (Art. 16).

      Nach Art. 29 Abs. 1 AEMR hat jeder Mensch „Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist“. Die Ausübung der Rechte ist danach abhängig von den Pflichten des Individuums in der Gemeinschaft. Um welche Pflichten es sich dabei allerdings handelt, sagt die AEMR nicht. Der Bezugnahme auf die freie und volle Entwicklung der Persönlichkeit und das Bestehen einer Gemeinschaft ist zu entnehmen, dass keines der in der AEMR verbrieften Rechte dazu missbraucht werden darf, der Gesellschaft zu schaden oder sie gar zu zerstören.

      Nach Absatz 2 des Art. 29 AEMR ist jeder Mensch „in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen“. Es dürfen also nur durch Gesetz Beschränkungen erklärt werden und nur zu den Zwecken, die in Absatz 2 ausdrücklich vorgesehen sind. Die erste Einschränkungsmöglichkeit bezieht sich auf die Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen. Dies bedeutet, dass keine Freiheit dazu missbraucht werden darf, anderen zu schaden. Die in Art. 19 AEMR beispielsweise implizit gewährleistete Pressefreiheit enthält also nicht die Freiheit, andere in ihrer Ehre zu verletzen oder zu verleumden. Bei den Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die vielfacher Auslegung zugänglich sind. Versteht man unter „öffentlicher Ordnung“ die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein gedeihliches menschliches Zusammenleben betrachtet wird, so ist deutlich, dass es einem Staat nicht schwerfallen wird, die in der AEMR verbürgten Rechte und Freiheiten einzuschränken. Auch die Berufung auf die Anforderungen der Moral und der allgemeinen Wohlfahrt kann als offizielle Firmierung und Begründung dienen, die dem Einzelnen in der Erklärung gewährten Rechte in großem Umfang einzuschränken. Schließlich ist nicht einheitlich definiert, was eine „demokratische Gesellschaft“ sein solle. Man denke nur daran, dass sich auch die totalitären Staaten des Ostblocks als Demokratien verstanden. Nach Art. 29 Abs. 3 AEMR dürfen die in der Erklärung gewährten Freiheiten und Rechte „in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt