Bernhard Kempen

Völkerrecht


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      Neben dem Individualbeschwerdeverfahren gibt es das in der Praxis sehr viel seltenere Staatenbeschwerdeverfahren, bei dem ein Mitgliedstaat eine Verletzung der Konvention oder der dazu ergangenen Protokolle in einem anderen Mitgliedstaat rügen kann (Art. 33 EMRK). Das Verfahren unterscheidet sich nur in Details vom Individualbeschwerdeverfahren. Gegenwärtig sind zwei Staatenbeschwerdeverfahren von Georgien gegen die Russische Föderation beim Gerichtshof anhängig.

      Die Rechtsprechung des EGMR umfasst mittlerweile knapp 70.000 auf der Datenbank des Gerichtshofs gespeicherte Zulässigkeitsentscheidungen („decisions“) und Sachurteile („judgments“), die vom Strafprozessrecht bis zum Arbeitsrecht und vom Familienrecht bis zum Presserecht nahezu alle Rechtsmaterien berühren. Da die Urteile verbindlich sind und in den Konventionsstaaten ins nationale Recht umgesetzt werden müssen, hat die Rechtsprechung europaweit eine Vielzahl umfassender Reformen angestoßen; dies insbesondere, aber keineswegs ausschließlich in den Transitionsstaaten, für die es galt, die aus der kommunistischen Ära stammenden Gesetze einem modernen Menschenrechtsverständnis entsprechend neu zu formulieren. In Deutschland hat die Rechtsprechung des Gerichtshofs in jüngster Zeit wichtige Reformen im Bereich der Sicherungsverwahrung sowie im Bereich des Familienrechts, speziell mit Blick auf die Verbesserung der Stellung der biologischen Väter, erforderlich gemacht.

      Ferner hat der Gerichtshof die allgemeine Menschenrechtsdoktrin entscheidend weiterentwickelt. Ausschlaggebend dafür ist der interpretatorische Ansatz, die Konvention als lebendiges Instrument („living instrument“) zu verstehen und den sich wandelnden Gegebenheiten und Anschauungen in den europäischen Gesellschaften anzupassen, zugleich aber auch den Staaten einen mehr oder weniger weiten Ermessensspielraum bei der Regelung gesellschaftspolitisch kontroverser Fragen einzuräumen, insbesondere, wenn sich europaweit bei bestimmten Fragen kein Konsens abzeichnet.

      Die Existenz eines internationalen Menschenrechtsgerichtshofs, der auf völkervertraglicher Grundlage für die Staaten verbindliche Urteile erlässt und für den Einzelnen unmittelbar zugänglich ist, hat zudem entscheidende Impulse für eine Änderung oder Neuakzentuierung der Doktrin des allgemeinen Völkerrechts in vielen Bereichen bewirkt. So ist dem Einzelnen notwendigerweise eine zumindest partielle → Völkerrechtssubjektivität zuzuerkennen, soweit er vor dem EGMR prozessrechtlich gleichberechtigt einem Staat gegenübertreten kann; die bisher allgemein akzeptierte Vorstellung einer Mediatisierung des → Individuums im Völkerrecht ist insofern nur mehr eingeschränkt gültig (→ Menschenrechte, allg.). Auch zu Fragen des Umfangs der staatlichen Hoheitsgewalt („jurisdiction“) und der damit verbundenen Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen außerhalb des Hoheitsgebiets sowie zu Fragen der Berücksichtigung → staatlicher Immunität bei Menschenrechtsverletzungen hat der EGMR wegweisende Urteile erlassen. Dabei berücksichtigt der EGMR relevante Entscheidungen nationaler und internationaler Gerichte sowie völkervertragliche und gewohnheitsrechtliche Regelungen und achtet auf die Konsistenz der Rechtsprechung zu den Menschenrechten; für die authentische Auslegung der EMRK trägt der Gerichtshof dabei die alleinige Verantwortung.

      F Inhaltsverzeichnis

       Freihandelszone

       Fremdenrecht, völkergewohnheitsrechtliches

       Friendly Relations-Deklaration (1970)

      F › Freihandelszone (Martin Willl)

       I. Wesen der Freihandelszone

       II. Hintergründe und Kernregelungen

       1.Zollverbot

       2.Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen

       III. Institutionelle Strukturen und Streitschlichtung

       IV. Wichtige Freihandelszonen

       1.EFTA

       2.NAFTA

       3.AFTA

       4.COMESA

       V. Freihandelszonen und WTO-Recht

       1.Grundproblem der Sektorierung des internationalen Wirtschaftsrechts

       2.Freihandelszonen im Lichte des WTO-Rechts

      Lit.:

      S. Boysen, Regionale Handelsabkommen, in: M. Hilf/S. Oeter (Hrsg.), WTO-Recht – Rechtsordnung des Welthandels, 2. Aufl., 2010, 662; C. Freund/E. Ornelas, Regional Trade Agreements, World Bank Policy Research Working Paper 5314, May 2010; K. Nowrot, in: C. Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, 118; WTO, World Trade Report 2011: The WTO and Preferential Trade Agreements: From Co-existence to Coherence, <www.wto.org/english/res_e/booksp_e/anrep_e/world_trade_report11_e.pdf>.

      Eine Freihandelszone ist ein mindestens zwei, meist aber wesentlich mehr Mitgliedstaaten umfassendes Gebiet, in dem Zölle und andere (nichttarifäre) Handelshemmnisse möglichst weitgehend beseitigt sind.

      Die Freihandelszone ist die wichtigste Form internationaler Wirtschaftsintegration. In der Hierarchie der Integrationstypen regionaler Ökonomien ordnet sie sich zwischen der Präferenzzone und der → Zollunion ein. Während sich die Präferenzzone durch zumeist nur auf einzelne Wirtschaftssektoren