Bernhard Kempen

Europarecht


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Organe

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      Gründungsdokument ist die Satzung des Europarates (ERS) vom 5.5.1949 (Sart. II Nr. 110). Im Unterschied zu den Gründungsverträgen der Europäischen Union ist die Europaratssatzung mit lediglich 42 Artikeln ausgesprochen knapp und offen gefasst. Das Aufgabenspektrum des Europarates ist umfassend angelegt, mit Ausnahme von Verteidigungsangelegenheiten (Art. 1 Buchst. d) ERS). Der Satzung zufolge hat der Europarat lediglich zwei Organe, nämlich das Ministerkomitee als Vertretungsorgan der Regierungen der Mitgliedstaaten sowie die Beratende Versammlung (heute allgemein als „Parlamentarische Versammlung“ bezeichnet), in die Vertreter der nationalen Parlamente entsandt werden (Art. 10 ERS). Der Europarat war die erste Internationale Organisation überhaupt mit einem parlamentarischen Vertretungsorgan. Daneben sieht die Satzung noch das Sekretariat mit dem Generalsekretär an der Spitze vor, dem laut Satzung jedoch keine Organqualität zukommt.

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      Auch wenn er in der Europaratssatzung nicht vorgesehen ist, gilt der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE) innerhalb des Europarates gemeinhin als „dritte Säule“. Die Parallele zum → Ausschuss der Regionen auf EU-Ebene ist augenfällig. Im KGRE finden sich Vertreter unterhalb der gesamtstaatlichen Ebene (das deutsche Kontingent setzt sich paritätisch aus 18 Vertretern der Länder und Kommunen und einer gleichen Anzahl an Stellvertretern zusammen). Geschaffen wurde der KGRE auf der Grundlage sog. Statutory Resolutions, die vom Ministerkomitee gestützt auf Art. 15 Buchst. a) sowie Art. 16 ERS verabschiedet wurden (zuletzt Statutory Resolution CM/Res[2015]9). Aufbau und Arbeitsweise des KGRE finden sich näher in der (ebenfalls vom Ministerkomitee verabschiedeten) Charta des Kongresses geregelt. Charakteristisch für den KGRE ist das Zweikammersystem, bestehend aus der Chamber of Local Authorities und der Chamber of Regions.

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      Eine mögliche „vierte Säule“ ist die Konferenz der Internationalen Nichtregierungsorganisationen. Rechtsgrundlage ist eine Entschließung des Ministerkomitees (derzeit Resolution CM/Res[2016]3). Über dieses Forum soll die Expertise internationaler NGOs in die Arbeit des Europarates eingespeist werden.

      EEuroparat (Marten Breuer) › III. Kompetenzen, Vertragsänderung

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      Das nahezu allumfassende Aufgabenspektrum des Europarates steht in bemerkenswertem Gegensatz zu seinen Kompetenzen. Das Ministerkomitee ist im Wesentlichen auf die Verabschiedung von Empfehlungen (Recommendations) an die Adresse der Mitgliedstaaten beschränkt. Die Parlamentarische Versammlung verabschiedet vornehmlich Entschließungen (Resolutions) sowie an das Ministerkomitee gerichtete Empfehlungen (Recommendations). Völkerrechtlich bindend sind hingegen die über 220 Konventionen, welche die unterschiedlichsten Sachbereiche betreffen und in einer eigenen Vertragssammlung („Council of Europe Treaty Series“ [CETS], bis 2004: „European Treaty Series“ ([ETS]) veröffentlicht werden. Bindend sind sie aber nur für diejenigen Staaten, die den Vertrag auch ratifiziert haben. Nur wenige Verträge werden als derart essentiell erachtet, dass die Mitgliedschaft im Europarat mit ihnen verknüpft ist. Heutzutage ist namentlich die Ratifizierung der → Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 (Sart. II Nr. 130) sowie des 6. Zusatzprotokolls über die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten von 1983 (Sart. II Nr. 134) eine (politische) Grundbedingung für die Aufnahme in den Europarat.

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      Die Europaratssatzung ist in der Vergangenheit nie formell geändert worden. Einige informelle Änderungen sind durch die Statutory Resolutions (Rn. 730) verabschiedet worden, bspw. die Schaffung des KGRE. Die heutige Praxis ist allerdings durch eine Vielzahl weiterer Organe geprägt, die faktisch wie Organe des Europarats fungieren, ohne jedoch Organstatus im formellen Sinne zu haben. So gilt der → Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vielen als judizieller Arm des Europarates, formell ist er jedoch lediglich ein internationales Gericht, das die Einhaltung der Verpflichtungen aus der EMRK kontrolliert. Die sog. Venedig-Kommission (Rn. 743) agiert ebenfalls wie ein Organ des Europarates; ihre Rechtsgrundlage ist jedoch ein sog. Erweitertes Abkommen (Enlarged Agreement), d.h. ein separater völkerrechtlicher Vertrag, an dem neben sämtlichen Europaratsmitgliedern auch Drittstaaten (u.a. die USA, Israel, Mexiko oder das Kosovo) beteiligt sind. Andere Organe wiederum sind auf sekundärrechtlicher Grundlage entstanden, z.B. die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), die auf einer Entschließung des Ministerkomitees beruht (Rn. 741).

      EEuroparat (Marten Breuer) › IV. Tätigkeitsfelder

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      Der Europarat agiert auf primär drei Tätigkeitsfeldern, die mit den Schlagworten „Menschenrechte“ (Rn. 735 ff.), „Rechtsstaatlichkeit“ (Rn. 743 ff.) und „Demokratie“ (Rn. 750) benannt sind.

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      Das menschenrechtliche Monitoring gehört zu den Kernkompetenzen des Europarates. Neben den spezifischen monitoring bodies haben auch die Hauptorgane (Ministerkomitee, Parlamentarische Versammlung) jeweils eigene Monitoring-Verfahren entwickelt. Dies erfolgte in erster Linie als Reaktion auf die „Osterweiterung“ des Europarats nach dem Ende des Kalten Krieges, da hier Mitgliedstaaten der Organisation beitraten, welche die menschenrechtlichen Anforderungen noch nicht voll erfüllten.

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      Sowohl in der öffentlichen Sichtbarkeit als auch in der praktischen Wirksamkeit kann die Arbeit des EGMR gar nicht überschätzt werden. Mit der Kombination von gerichtlicher Entscheidung und anschließender Überwachung der Urteilsumsetzung durch das Ministerkomitee (Art. 46 Abs. 2 EMRK) ist ein Mechanismus geschaffen worden, der die effektive Durchsetzung menschenrechtlicher Gewährleistungen im Einzelfall ermöglicht. Die damit einhergehende Anziehungskraft des Beschwerdeverfahrens hat den EGMR zeitweise in eine existenzbedrohende Lage (mit über 160.000 anhängigen Beschwerden) gebracht. Auch wenn die größte Bedrohung des Systems vorerst gebannt zu sein scheint, bleibt eine langfristige Reform des Gerichtshofs eine zentrale Aufgabe.

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      „Schwesterkonvention“ zur EMRK ist die Europäische Sozialcharta von 1961 (Sart. II Nr. 115). Sie basiert noch stark auf dem für menschenrechtliche Verträge typischen Staatenberichtsverfahren. 1996 ist die revidierte Sozialcharta (ETS No. 163) geschaffen worden, die umfassendere Rechte gewährt. Sie ist von der Bundesrepublik Deutschland allerdings bislang nicht ratifiziert worden. Eine Reform des Überwachungsmechanismus sollte durch das sog. Turiner Protokoll