Bernhard Kempen

Europarecht


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staatliche Ausgleichsleistungen an Unternehmen für die Erbringung von DAWI keine Begünstigung und damit keine Beihilfen dar, wenn (1) das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung von DAWI betraut ist und diese Verpflichtungen klar definiert sind. (2) Es müssen die Parameter, anhand derer der staatlicherseits gewährte Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufgestellt sein. (3) Der Ausgleich darf nicht über das erforderliche Maß hinausgehen und (4) das ausgewählte Unternehmen muss effizient sein, d.h. es muss die DAWI mit den geringsten möglichen Kosten bei effektiver Leistungserbringung durchführen. Einzelheiten zur Auslegung der einzelnen Kriterien werden in der DAWI-Mitteilung der Kommission erläutert. Als Beitrag zur Vorhersehbarkeit der Prüfungspraxis der Kommission hat diese einen Unionsrahmen für DAWI erlassen, anhand dessen sie die Voraussetzungen prüft, die sich aus der Altmark-Trans-Rechtsprechung ergeben.

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      Staatliche Beihilfen sind nur dann nach Art. 107 Abs. 1 AEUV verboten, wenn sie nicht alle, lediglich eine Reihe von Unternehmen oder wenn sie nur bestimmte Produktionszweige begünstigen (Selektivität einer staatlichen Maßnahme). Dieses Merkmal grenzt eine (verbotene) staatliche Beihilfe von erlaubten, allgemein geltenden wirtschaftspolitischen Regelungen oder Maßnahmen eines Staates ab. Vom Beihilfenverbot sollen also nur Sonderunterstützungen des Staates erfasst sein, weil nur diese (potentiell) wettbewerbsverzerrende Wirkung entfalten. Selektivität kann sowohl in materieller als auch in territorialer oder zeitlicher Form vorliegen. Materielle Selektivität bezieht sich auf die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die Unternehmenstypen oder auch die Größe von begünstigten Unternehmen. Territoriale Selektivität bezieht sich auf die geförderte Region. Sie kann z.B. vorliegen, wenn innerhalb eines Mitgliedstaates nur Unternehmen einer bestimmten Region begünstigt werden. In zeitlicher Hinsicht kann Selektivität bestehen, wenn bestimmte Unternehmen aufgrund einer Regelung früher begünstigt werden als die Gesamtheit der Unternehmen des Mitgliedstaates.

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      Die Kommission prüft die Voraussetzungen für das Vorliegen der Selektivität einer staatlichen Maßnahme typischerweise in einem Dreischritt: Zunächst wird eine Referenzregelung identifiziert, die den Bezugsrahmen bildet, innerhalb dessen eine Ungleichbehandlung von Unternehmen oder Produktionszweigen untersucht wird. Wenn eine Ungleichbehandlung in dem unterstellten Fall bejaht wird, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich die Unternehmen bezogen auf das Ziel der Referenzregelung in einer vergleichbaren faktischen und rechtlichen Situation befinden. Kann auch dies bejaht werden, wird drittens untersucht, ob für die festgestellte Ungleichbehandlung eine Rechtfertigung besteht. Kann eine solche festgestellt werden, liegt eine tatbestandsmäßige Selektivität der staatlichen Maßnahme nicht vor. Eine derartige Rechtfertigung kann sich v.a. daraus ergeben, dass die gewährte Beihilfe mit der Natur oder mit der allgemeinen Struktur der Referenzregelung in Einklang steht.

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      Gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist eine begünstigende Maßnahme nur dann tatbestandlich, wenn sie eine „staatliche“ ist oder „aus staatlichen Mitteln gewährt“ wurde. Der insoweit nicht ganz eindeutige Wortlaut der Norm könnte zwar nahelegen, dass eine Beihilfe bereits immer dann vorliegt, wenn sie entweder staatlich veranlasst ist oder aus staatlichen Mitteln gewährt wird. Tatsächlich hat die im Wortlaut vorgenommene Differenzierung aber die Funktion, Umgehungen des Beihilfenverbots durch die Zwischenschaltung staatlicher oder auch privater Einrichtungen zu vermeiden (st. Rspr., EuGH, Urt. v. 24.1.1978, 82/77 – Van Tiggele –, Rn. 23 ff.).

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      Daraus folgt, dass die Zurechenbarkeit der Beihilfe zum Staat in doppelter Hinsicht vorliegen muss. Zum einen ist es erforderlich, dass die Gewährung unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln erfolgt und zu einer Belastung des Staatshaushalts (Haushaltswirksamkeit) führt, und zum anderen müssen die Mittel für die Zuwendung an das Unternehmen oder den Produktionszweig selbst dem Staat zurechenbar sein (Staatlichkeit). Von einer Haushaltswirksamkeit der Mittel wird dann ausgegangen, wenn es sich um unmittelbar aus staatlichen Geldern finanzierte Beihilfen handelt oder wenn die Beihilfen aus Geldmitteln stammen, die staatlicher Kontrolle unterstehen. Eine Beihilfengewährung kann deshalb auch durch → Öffentliche Unternehmen vorgenommen werden, und selbst Beihilfen aus privaten Geldmitteln können zu einer Haushaltswirksamkeit führen, nämlich dann, wenn der Staat diese privaten Mittel kontrolliert und deshalb über sie verfügt wie über Haushaltsmittel und sie so faktisch in die staatlichen Haushaltsmittel einbezieht. Staatlichkeit der Mittel liegt also immer dann vor, wenn der Staat unmittelbar aufgrund gesetzlicher Regelung oder durch Verwaltungsakt mittels seiner Behörden handelt. Sie kann aber auch dann zu bejahen sein, wenn die Gewährung mittelbar durch zwischengeschaltete, öffentliche oder private Einrichtungen erfolgt und diese Einrichtungen entweder im Auftrag oder sogar auch nur auf staatliche Veranlassung hin handeln.

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      Dem Kriterium der Zurechenbarkeit der Beihilfe zum Staat kommt insbesondere bei mittelbarem staatlichem Handeln durch öffentliche oder durch private Unternehmen eine große praktische Bedeutung zu. Um festzustellen, ob die Zuwendungen an ein Unternehmen einen hinreichend engen Konnex zum Staat haben, wenn sie von öffentlichen Unternehmen gewährt worden sind, nimmt der EuGH immer eine Gesamtwürdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls vor (EuGH, Urt. v. 16.5.2002, C-482/99 – Stardust Marine –, Rn. 57). Wichtiges Indiz zur Beurteilung der Zurechenbarkeit bei Gewährung von Beihilfen durch öffentliche Unternehmen ist dabei der Grad der Entscheidungsautonomie des öffentlichen Unternehmens. Um Umgehungsmöglichkeiten zu beschränken, ist es in besonders gelagerten Konstellationen auch möglich, die Zuwendungen, die ein Unternehmen von einem anderen privaten Unternehmen erhält, als Beihilfen anzusehen, die dem Staat als dessen Zuwendung zugerechnet werden können. So wurden z.B. die Umlagen zur Förderung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen nach dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2012 als staatliche Beihilfen eingestuft. Zwar waren die die Umlage verwaltenden Übertragungsnetzbetreiber privat organisiert, aber gleichzeitig waren sie mit öffentlichen Aufgaben betraut, unterlagen damit einer umfassenden staatlichen Kontrolle und hatten bezüglich der Verwaltung, der Verwendung und der Zuweisung ihrer Mittel keinen eigenen Entscheidungsspielraum (EuG, Urt. v. 10.5.2016, T-47/15 – Deutschland/Kommission –, Rn. 91 ff.).

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      Weitere Voraussetzung des Art. 107 Abs. 1 AEUV ist, dass die Gewährung der Beihilfe zu einer Verfälschung des Wettbewerbs führt oder sie jedenfalls dazu geeignet ist, den Wettbewerb zu verfälschen. Davon ist dann auszugehen, wenn der staatlicherseits gewährte Vorteil die Stellung des Unternehmens im Vergleich zu anderen Wettbewerbern im gemeinschaftlichen Handel verstärkt (EuGH, Urt. v. 17.9.1980, 730/79 – Philip Morris –, Rn. 11). Das Beihilfenverbot greift grundsätzlich bei allen Wettbewerbsbeeinträchtigungen ungeachtet ihrer Intensität ein. Zudem wird das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung weit ausgelegt und die Anforderungen an die Darlegungen i.R. von Kommissionsbeschlüssen sind eher gering. So ist die Kommission z.B. nicht verpflichtet, eine quantitative Wettbewerbsverfälschung darzulegen. Eine qualitative Analyse der Auswirkungen der Maßnahme auf den Wettbewerb reicht aus, die ihrerseits aber nicht auf einer Marktabgrenzung basieren muss. Nicht ausreichend ist hingegen, wenn eine bloß abstrakte Möglichkeit der Verfälschung des Wettbewerbs aufgezeigt wird. Nach der De-Minimis-VO sind zudem geringfügige Beihilfen von der Ex-ante-Kontrolle des Art. 107 Abs. 1 AEUV freigestellt.

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      Vom Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst sind Beihilfen schließlich auch nur