Bernhard Kempen

Europarecht


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audiovisuellen Werken dar. Diesbezüglich hat die Kommission die Kriterien zur Vereinbarkeit von Beihilfen in ihrer Mitteilung über staatliche Beihilfen für Filme und andere audiovisuelle Werke (MT 2013/C 332/01) niedergelegt.

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      Art. 107 Abs. 3 Buchst. e) AEUV sieht schließlich auch vor, dass der Rat durch einen Beschluss auf Vorschlag der Kommission sonstige Arten von Beihilfen bestimmen kann, die von dem Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV ausgenommen werden sollen. Von dieser Möglichkeit wird derzeit jedoch kein Gebrauch gemacht.

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      Aufgrund der im AEU-Vertrag vorgesehenen grundsätzlichen Geltung des Beihilfenverbots für alle staatlichen Beihilfen unabhängig von ihrem Umfang kennt das EU-Beihilfenrecht keine Schwellenwerte und kein Spürbarkeitserfordernis. Aus Praktikabilitätserwägungen hat die Kommission in ihrer De-Minimis-VO allerdings nun doch einen Schwellenwert für Beihilfenbeträge festgelegt, bei dessen Unterschreitung sie davon ausgeht, dass die Beihilfe weder Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten habe noch sie den Wettbewerb zu verfälschen drohe, so dass in solchen Fällen keine tatbestandliche Beihilfe vorliege und damit derartige staatliche Maßnahmen nicht dem Anwendungsbereich der Beihilferegelungen unterfielen. Der Schwellenwert liegt gem. Art. 3 Abs. 2 De-Minimis-VO bei einem Beihilfenbetrag von 200.000 EUR in drei Steuerjahren, wobei sich dieser Wert auf das geförderte Unternehmen bezieht und nicht auf die jeweilige Förderung. Für Unternehmen im Straßengüterverkehr liegt der Schwellenwert bei 100.000 EUR.

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      Von größter Bedeutung für die Anwendung des Beihilfenverbots in der Praxis ist die AGVO in der Fassung von Mai 2017. Durch sie werden bestimmte Gruppen von Beihilfen von der Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV freigestellt. Diese Freistellung bedeutet, dass Beihilfen ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission von den Mitgliedstaaten gewährt werden dürfen. Die mittelgewährende Stelle in dem Mitgliedstaat muss die Voraussetzungen der AGVO im Wege der Selbsteinschätzung ex-ante prüfen. Die Kommission erhält lediglich Informationen über die dann gewährten Beihilfen, welche es ihr ermöglichen, ggf. eine Ex-post-Kontrolle durchzuführen. Zweck der AGVO ist es, eine Verfahrensvereinfachung herbeizuführen, indem diejenigen Beihilfen, von denen regelmäßig keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb im zwischenstaatlichen Handel erwartet werden, lediglich einer fakultativen Ex-post-Kontrolle unterworfen werden sollen. Damit soll es zum einen der Kommission ermöglicht werden, sich auf die Kontrolle solcher staatlichen Beihilfen zu konzentrieren, die potentiell besonders gravierende Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Zum anderen soll es Mitgliedstaaten ermöglicht werden, nach der AGVO unbedenkliche Beihilfen zügiger gewähren zu können. Aufgrund des erheblichen Umfangs der von der AGVO erfassten Beihilfen führt diese Verordnung de facto zu einem Paradigmenwechsel im Beihilfenrecht hin zu einem System der Legalausnahme. Die unterschiedlichen Beihilfegruppen sind in Art. 1 Nr. 1 AGVO festgelegt.

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      Eine Freistellung nach der AGVO erfolgt, wenn die betreffende staatliche Beihilfe alle allgemeinen Voraussetzungen des Kapitels I der AGVO sowie die besonderen, für die jeweilige Gruppe von Beihilfen geltenden Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt. Jede Beihilfe muss hierzu (1) die in Art. 4 AGVO niedergelegten Anmeldeschwellen für die verschiedenen Gruppen von Beihilfen einhalten, (2) transparent sein, (3) einen Anreizeffekt besitzen und (4) die Vorgaben des Art. 9 AGVO zur Veröffentlichung der Beihilfe einhalten. Um Missbräuchen bei der Gewährung von Beihilfen unter Anwendung der AGVO vorzubeugen, sieht Kapitel II der AGVO Kontroll- und Sanktionsbefugnisse der Kommission vor. Insbesondere kann die Kommission gem. Art 10 AGVO einem Mitgliedstaat, der Beihilfen gewährt hat, die angeblich unter die AGVO fallen, ohne dass aber tatsächlich deren Voraussetzungen erfüllt sind, den Vorteil der Freistellung entziehen, so dass die Beihilfe dieses Mitgliedstaates wieder der allgemeinen Notifizierungspflicht unterliegt.

3. Ausnahmen nach Art. 106 Abs. 2 AEUV

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      Neben den in Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV genannten Ausnahmen können Beihilfen an solche Unternehmen, die mit der Wahrnehmung von Aufgaben von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, auch nach Art. 106 Abs. 2 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und damit dem Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV entzogen sein. Der EuGH sieht Art. 106 Abs. 2 AEUV praktisch als einen (zusätzlichen) Ausnahmetatbestand zu Art. 107 Abs. 1 AEUV an, obwohl er nach der Systematik des AEU-Vertrages nicht zu den beihilfenrechtlichen Regelungen zählt. Strikt zu unterscheiden ist die Ausnahme nach Art. 106 Abs. 2 AEUV allerdings von der Altmark-Trans-Rechtsprechung (s. dazu Rn. 311). Werden die Altmark-Trans-Kriterien erfüllt, so liegt nämlich bereits tatbestandlich keine Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vor. Beihilfen, welche unter den Ausnahmetatbestand des Art. 106 Abs. 2 AEUV fallen, stellen staatliche Beihilfen dar und müssen in jedem Fall bei der Kommission angemeldet werden, welche dann das Eingreifen einer Ausnahme anhand der Voraussetzungen des Art. 106 Abs. 2 AEUV prüft.

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      Die Vereinbarkeit von Beihilfen für DAWI gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV setzt voraus, dass es sich bei der Beihilfe um (1) eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse handelt, die von dem den Ausgleich gewährenden Mitgliedstaat als solche klar definiert worden ist, und dass (2) das Unternehmen, welches die DAWI erbringt, durch den Mitgliedstaat mit dieser Aufgabe betraut worden ist. Darüber hinaus muss (3) die Aufgabenerfüllung durch das Beihilfenverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV verhindert werden und (4) die Beihilfe darf nicht dazu führen, dass die Entwicklung des Handelsverkehrs in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Unionsinteresse zuwiderläuft (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).

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      Für DAWI gelten ferner folgende Besonderheiten: Nicht jede Beihilfe für die Erbringung von DAWI muss bei der Kommission angemeldet werden. Sie sieht die Möglichkeit der Freistellung von der Notifizierungspflicht für bestimmte DAWI vor, bei welchen grundsätzlich von einer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt (DAWI-Beschluss) oder von nur geringfügigen negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb im Binnenmarkt (DAWI-De-Minimis-VO) auszugehen ist.

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      In Art. 2 Abs. 1 Buchst. a)–e) des DAWI-Beschlusses sind Kategorien von Beihilfen aufgelistet, die bei Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen des DAWI-Beschlusses ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission gewährt werden können. Dies sind zunächst jegliche Beihilfen für DAWI von nicht mehr als 15 Mio. EUR pro Jahr mit Ausnahme des Verkehrssektors. Ohne Schwellenwert können Beihilfen für die Erbringung von DAWI durch Krankenhäuser, für DAWI zur Deckung des sozialen Bedarfs in bestimmten Bereichen (z.B. Gesundheitsdienste und Kinderbetreuung) sowie für die Erbringung von DAWI im Flug- oder Schiffsverkehr zu Inseln und für Flug- und Seeverkehrshäfen gewährt werden.

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      Beihilfen, deren Gesamtbetrag in drei Steuerjahren 500.000 EUR nicht übersteigt, sind gem. Art. 2 Abs. 1 DAWI-De-Minimis-VO ebenfalls von der Notifizierungspflicht befreit, wenn auch die übrigen in Art. 2 Abs. 2–8 DAWI-De-Minimis-VO genannten Voraussetzungen vorliegen. Zu berücksichtigen ist hier insbesondere, dass sich der Schwellenwert auf das die DAWI erbringende Unternehmen bezieht und nicht auf die jeweilige Betrauung mit einer DAWI.

      BBeihilfenrecht (Ulrich Ehricke) › IV. Beihilfenverfahren

IV. Beihilfenverfahren