E. S. Schmidt

Welt der Schwerter


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er nach den Zügeln griff, fragte Lynn: »Was wird aus Riehm?«

      Nun blickte er doch zu ihr auf. »Was soll aus ihm werden?«

      »Wenn wir ihn hierlassen, erfriert er.«

      Die Verwunderung in seinem Gesicht war deutlich. »Er hat Euch entführt, Gesalbte, und Euren Tod in Kauf genommen, als er Euch in der Kälte gefesselt hat.«

      Das stimmte. Riehm hatte keine Barmherzigkeit verdient. Sie fürchtete diesen Mann und hatte allen Grund, ihn zu hassen. Dennoch: Auch Barastes Riehm war ein Kind der großen Mutter, und war es nicht ihre Aufgabe als deren Gesalbte, die Liebe der Mutter zu wirken?

      Sie hob das Kinn. »Seine Taten sind mir durchaus bewusst. Er mag ein Verbrecher sein, aber wenn wir ihn hier zurücklassen, sind wir nicht besser als er.«

      Noch immer zögerte Coridan, doch sie regte sich nicht, und da ihr Gesicht verschleiert war, versuchte sie, die ganze Autorität ihres Amtes in ihre Haltung zu legen. Schließlich seufzte er. »Dendar, verteil das Gepäck neu. Fesselt ihn auf eines der Packtiere. Ach ja, und knebelt ihn, ehe er mit seinen Lügen die Luft verpestet.«

      Die Soldaten folgten seinen Anweisungen, und dann machten die Dinjis keine Schwierigkeiten mehr. Vielleicht hatten sie erst herausfinden müssen, woher der Geruch des Todes gekommen war.

      Als die Dämmerung fiel, erreichten sie eine kleine Ortschaft, und als man in Lynn die Akh’Eldash erkannte, lief das gesamte Dorf zusammen. Jeder wollte sie beherbergen. Schließlich setzte sich eine resolute Frau durch und führte die Reisenden in einen kleinen, sauberen Hof.

      Lynn war schwindelig vor Müdigkeit. In der vergangenen Nacht hatte sie keinen Schlaf gefunden, und der Ritt war anstrengend gewesen. Sie mühte sich, ein Mindestmaß an Höflichkeit an den Tag zu legen, und sich auf den Beinen zu halten, so lange ihre Gastgeberin noch mit der Aufwartung beschäftigt war. Die Frau hatte sich einen bestickten Stirnreif angezogen, von dem ein bunter Schleier auf die Brauen hinab hing.

      »Du stammst aus der Riefenau«, stellte Lynn überrascht fest. Mehr denn je erschien es ihr, als ob diese Tracht der Ursprung des Lorun-Uhn war. Oder vielleicht war es umgekehrt, war die Tracht eine Imitation des Lorun-Uhn.

      »Das ist wahr, Gesalbte.« Die Bäuerin lächelte verlegen. »Die Liebe hat mich aus der Heimat hier her verschlagen, und nun kann ich doch meiner Akh dienen.«

      Sie sagte nur Akh, nicht Akh’Eldash. Meine Akh. Nannte man sie so in der Riefenau?

      Die Bäuerin glättete das dritte Laken, das sie über den Strohsack gebreitet hatte. »Das hier ist kein Schloss, doch Ihr werdet’s weich und sicher haben, und die Durun werd’ ich gut verköstigen.«

      Durun. Das Wort hatte Lynn noch nie gehört, aber sie war zu müde, um danach zu fragen.

      ***

      Ein Poltern ließ Lynn hochschrecken. Es war dunkel, und im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war. Dann roch sie das mit Bienenwachs behandelte Holz der Bauernmöbel und das Stroh, das ihre Matratze füllte. Die Gegenstände in der Kammer nahm sie kaum als Schemen wahr, aber durch Ritzen in den Holzläden vor dem Fenster sickerte ein fahler Schein. Vermutlich der erste Vorbote des Sonnenaufgangs.

      Sie streckte die Füße unter der Decke hervor, erschauderte vor der Kälte und zog sie rasch wieder zurück. Irgendwo im Haus sprachen zwei Männer miteinander. Sie lauschte und meinte, die eine Stimme als die Coridans zu erkennen. Der andere war vermutlich Dendar, oder sprach Coridan noch einmal mit Riehm? Sicher nicht, er hatte ja den Brief, den er niemandem zeigte.

      Aber sie selbst könnte mit Riehm sprechen. Von ihm erfahren, worüber Coridan sich ausschwieg.

      Sie quälte sich nun doch aus dem Bett und tastete sich über die eisigen Dielen zum Fenster vor. Als sie die Läden aufstieß, lag da tatsächlich ein heller Streif am Himmel.

      Sie schob das Kleid unter die Decke, damit der Stoff ein wenig aufwärmen konnte, dann durchstieß sie mit den Fingern die dünne Eisschicht, die sich auf dem Wasser im Waschkrug gebildet hatte. Inzwischen hatte sie Übung darin, sich ohne Blinthes Hilfe anzukleiden, und so schlich sie bald darauf aus ihrer Kammer.

      Die beiden Männerstimmen kamen aus dem Raum neben dem ihren, aber Riehm hatte man, soweit sie sich erinnerte, in die Küche gebracht. Vermutlich sprachen Coridan und Dendar miteinander.

      In der Küche war es warm, im Herd glomm noch ein Rest des Feuers. Riehm lag, vermutlich eher unbequem, auf einer hölzernen Bank, und als sie eintrat, wandte er ihr den Kopf zu. Vermutlich hatten die Verletzungen ihn wachgehalten. Die gefesselten Arme waren dick verbunden, und auch sein blasses, verkniffenes Gesicht sprach von Schmerzen. Es war fraglich, ob er die gebrochenen Arme je wieder würde benutzen können. Vielleicht wäre es barmherziger gewesen, ihn dem Tod in der eisigen Umarmung der Thulmark zu überlassen.

      Als er sie erkannte, wollte er ausspucken, doch er war zu schwach, und so rann ihm der Speichel bloß übers Kinn. Zumindest seine Worte spie er ihr entgegen: »Willst du mich nun doch in deinen Bann zwingen?«

      Zuerst verstand sie nicht, was er meinte, doch dann wurde es ihr klar: Er fürchtete, sie würde den No’Ridahl vor ihm enthüllen. Einen Moment lang dachte sie über diese Möglichkeit nach. Wenn das Mal auf ihrer Stirn in Riehms verbittertem Herzen Liebe zu ihr erwecken würde, dann wüsste sie zumindest, dass es seine Macht nicht verloren hatte. Dann wäre lediglich Coridan von Thul gegen seine Wirkung gefeit.

      Doch die Liebe eines Mannes wie Riehm wollte sie weder wecken noch kennenlernen.

      »Nein«, sagte sie kühl. »Ich will nur wissen, was Ihr dem Grafen gesagt habt. Wer ist Euer Auftraggeber?«

      Er sah sie abschätzig an, als frage er sich, ob sie die Wahrheit ertragen könne. »Prinz Hasenfuß war mein Auftraggeber. Siluren der Zauderer.«

      Das ergab keinen Sinn. Sie waren doch bereits auf dem Weg zum Prinzen gewesen. »Warum sollte er das tun?«

      »Der Graf wollte mir auch nicht glauben, aber ich weiß, was ich weiß. Tu damit, was du willst.« Er wandte den Kopf ab und schloss die Augen.

      »Wohin hättest du mich bringen sollen?«

      Er regte sich nicht, war offenbar nicht gewillt, mehr zu sagen.

      Sie trat einen Schritt näher. »Willst du mich wirklich zwingen, den Schleier zu heben?«

      Er öffnete die Augen, und ein hasserfüllter Blick traf sie.

      »Burg Drahl«, stieß er hervor.

      »Wo ist das?«

      »Im Süden. Zwischen T’Dor und Mirin.«

      Nachdenklich kehrte Lynn in ihre Kammer zurück. Sie waren auf dem Weg nach Norden, in die Hauptstadt Varkaspol. Wenn dieser Krieg auch im Norden tobte, dann war es sicher klug, sie in der Sicherheit des Südens zu lassen. Doch warum diesen Befehl einem Mann wie Riehm geben? Wa­rum nicht Coridan, der doch ohnehin ihre Eskorte stellte?

      Coridan und Dendar sprachen noch immer miteinander, lauter mittlerweile. Nun konnte Lynn Worte durch die Wand hindurch verstehen.

      »Dies wird nicht der letzte Krieg sein!« Das war Dendar. »Du kannst das Schicksal des Reiches nicht allen Ernstes in die Hände eines Schwächlings legen wollen!«

      »Er ist nicht schwach! Er ist der Kronprinz!« Etwas leiser fügte Coridan grollend hinzu: »Außerdem ist mein Vater noch nicht tot.«

      Sie sprachen über Siluren. Dendar war nicht der Einzige, der dessen Fähigkeit in Zweifel zog, das Reich zu führen. Überall nannte man ihn Prinz Hasenfuß oder den Zauderer. Nicht nur in Dendars Augen mochte Coridan die bessere Wahl sein, doch als Bastard des Königs hatte er kein Anrecht auf den Thron.

      Coridan selbst schien unverrückbar an seinen Bruder zu glauben. Wie merkwürdig das war. Er, der Held von Carondim, der Sieger der drei Turniere, sang des Lob des Mannes, über den das ganze Reich bereits sein Urteil gefällt hatte. Was war das für eine seltsame Hingabe?

      Hinzu kam: Sollte Siluren der Zauderer tatsächlich ihre