E. S. Schmidt

Welt der Schwerter


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Coridan winkte hinter einem Vorhang hervor, das Holzschwert an der Seite, das schwarze Haar in wilder Unordnung. »Ich warte hier auf dich!«

      Siluren winkte zurück, wünschte sich, Cor könne ihn begleiten. Doch Agga zog ihn unbeirrbar weiter, und sein Bruder blieb zurück.

      Eine weiße Tür in einem ebensolchen Stuckrahmen, die sich für sie öffnete. Da stand sein Vater. Er wandte ihnen den Rücken zu und war trotzdem so einschüchternd wie immer. Doch als er sich umdrehte, war es gar nicht sein Vater. Es war Magus Inselm.

      »Hoheit, wir haben nicht viel Zeit. Wir suchen nach Kira Idrastochter.«

      Ja, sie suchten Kira. Siluren sah sich um. Außer ihm und Inselm war niemand im Raum. »Sie ist nicht hier.«

      »Nein, das ist sie nicht. Aber vielleicht könnt Ihr sie hören?«

      Siluren lauschte. Was sollte er hier in diesem Raum schon hören? Da war das Geräusch seines eigenen Atems, das Knarren der Dielen, der Gesang der Vögel vor dem Fenster.

      »Ihr müsst durch die Dinge hindurchhören.«

      Seltsame Worte. Durch die Dinge hindurchhören. Siluren wollte gerade etwas sagen, als er für einen winzigen Moment meinte, einen Duft wahrzunehmen. Einen vertrauten und doch erregenden Duft, der sein Herz schneller schlagen ließ.

      Er wandte sich zur Tür: farbig bemaltes Schnitzwerk in einer Wand aus gemauerten Ziegelsteinen.

      »Sehr gut.« Magus Inselm nickte anerkennend. »Ihr habt sie gefunden. Folgt mir.«

      Der Raum, den sie betraten, war sehr hoch. Balken formten schräge Wände, die sich weit über ihnen in einem spitzen Winkel vereinigten. Von der höchsten Stelle hingen zwei Käfige herab. Der eine war leer, aus dem anderen hingen Arme und Beine heraus wie die Gliedmaßen einer Puppe.

      Viel bedrohlicher jedoch waren die Wände. Sie waren merkwürdig durchscheinend. Nicht wie Glas oder Eis. Mehr wie Nebel, der sich zu der Form von Backsteinen zusammengeballt hatte, und der doch jederzeit von einem Windhauch auseinandergetrieben werden könnte. Siluren schauderte. Diese Wände boten kaum Schutz. Aber wovor eigentlich?

      »Wir haben nicht viel Zeit.« Magus Inselm trat zu einer Kette und ließ den einen Käfig hinab. Kira lag darin, schlaff wie eine Puppe. Mühsam wandte sie den Kopf. »Hoheit! Ihr dürft nicht hier sein! Dieser Traum kann jederzeit enden!« Sie sah hinauf zu dem leeren Käfig, als wäre der ein Hinweis darauf, wie nah die Gefahr bereits war.

      Doch Siluren war viel zu fasziniert von den Wänden. Er trat näher an eine heran und mühte sich, durch den Nebel hindurchzuspähen. Was er dahinter sah, ließ ihn erstarren: kreischender Schmerz und ein bedrohliches Nichts. Plötzlich wusste er, wovor ihn diese durchscheinenden, sich auflösenden Nebelwände schützten. Die Schwärze dort draußen war der Tod.

      Unbändige Furcht erfasste ihn. »Wir müssen fort von hier!« Doch wohin? Die ganze Welt war erfüllt vom Tode, und Sicherheit war nur hier, in dieser winzigen, gefährdeten Zuflucht, deren Wände immer weiter verblassten und zugleich zusammenrückten.

      »Hoheit!« Magus Inselm klang befehlend. Er wies auf den Käfig, der nun auf dem Boden stand. »Wir müssen sie hier heraustragen!«

      »Es gibt keine Tür mehr«, sagte Kira.

      Siluren drehte sich um, und tatsächlich: In keiner der Wände gab es eine Tür – und wohin hätte sie auch führen sollen? Das kreischende Nichts kam von allen Seiten näher.

      Inselm schüttelte verärgert den Kopf. »Sprecht nichts aus, das nicht in unser aller Geist Gestalt annehmen soll!« Er sah hinauf zu den Gaubenfenstern in beträchtlicher Höhe. Obgleich hinter den Wänden der Tod lauerte, leuchtete durch die Fenster ein strahlend blauer Himmel. »Sie scheinen auf ein Dach zu führen«, stellte Siluren fest.

      »Zumindest hinaus.« Inselm griff erneut nach der Kette. »Steigt auf den Käfig und lasst ihn schwingen, sodass er durch eines der Fenster bricht.«

      Siluren gehorchte. Er kletterte über Kira, stellte die Füße auf die Querstreben und hielt sich an der Kette fest. Während Inselm sie beide hinaufzog, versetzte er den Käfig in Schwingung wie eine Kinderschaukel. Doch es war nicht einfach, mit all dem Gewicht genug Schwung zu bekommen.

      »Schneller!«, rief Kira, deren Arme und Beine noch immer kraftlos zwischen den Streben hingen. »Die Wände!« Tatsächlich hatten diese sich an manchen Stellen nahezu aufgelöst. Schwärze troff in den Raum hinein, zerfraß den Boden, kroch hinauf zu den Fenstern, die nun ebenfalls zu verblassen begannen. »Schneller!«

      Noch einmal holte Siluren Schwung, und plötzlich war Inselm hinter ihnen. Wie ein schwarzer Vogel flatterte er durch die Luft und gab ihnen am Scheitelpunkt noch einmal einen zusätzlichen Stoß. Gemeinsam flogen sie durch das Fenster, hinein in einen strahlend blauen Himmel. Dann fiel der Käfig, polterte auf ein Dach und zerbröselte dabei, als bestünden die Stangen aus Asche. Kira setzte sich auf, betrachtete mit offensichtlicher Freude ihre Hände. »Ich kann mich wieder bewegen!«

      Ein Schatten streifte sie, und als Siluren den Blick hob, zog ein riesiger, leinenbespannter Flügel vor der Sonne vorbei. Sie waren auf das Dach einer Mühle gelangt. Ein Baum stand neben der Mühle, und in seinen Zweigen zeterte ein Schwarm Vögel. Gelbe Kiras.

      Kira stand auf. »Ich weiß, wo wir langmüssen.« Sie wollte losgehen, doch der Magus hielt sie zurück.

      »Wir haben den Traum des Sterbenden verlassen, und Ihr könnt nun erwachen. Aber zuerst sagt mir, ob Ihr etwas erfahren habt, das ich für Euch durch den Schleier retten soll.«

      Sie sah ihn verwirrt an, doch dann huschte ein Lächeln über ihre Lippen. »Er hätte mich wohl besser nicht zusammen mit seiner Mutter eingesperrt.«

      ***

      Kira erwachte mit einem Gefühl von Dringlichkeit, als müsse sie sich an etwas Wichtiges erinnern, aber es war, als stünde ihr Geist vor einem Dickicht, unfähig, den Rückweg zu dem gerade verlassenen Ort zu finden. Stattdessen kehrte die Erinnerung an den vergangenen Tag zurück: die Schlacht um Bethelgard, die Siegesfeier und die Zärtlichkeit danach – und mit der Erinnerung kam auch der Schmerz zurück. Die Enttäuschung darüber, nicht enttäuscht worden zu sein.

      Die gemeinsame Nacht hatte nichts geändert. Sie wollte Prinz Siluren noch immer, womöglich sogar mehr als zuvor. Voll Sehnsucht dachte sie an das gegenseitige Berühren und Liebkosen und an seinen Blick, diesen klugen, mitfühlenden Blick, der sie sah, wirklich sah, und sie doch nicht verurteilte. Wie mochte es wohl sein, das ganze Leben bei diesem Mann zu verbringen, der sie sein ließ und leben ließ und sich an ihr freute? So gerne wollte sie ihm alles sein, denn er begann, ihr alles zu werden.

      Doch er war der Kronprinz, und er war einer anderen verpflichtet.

      Fort mit diesen Gedanken! Sie schlug die Augen auf. Über ihr spannte sich der Baldachin eines Bettes. Nicht des ihren. Dies war die Schlafstatt des Prinzen. Aber sie hatte sein Zimmer doch verlassen?

      Sie wandte den Kopf. Er lag schlafend neben ihr auf dem Rücken, angekleidet, die Finger mit den ihren verschränkt. Ertappt zog sie die Hand zurück und richtete sich auf.

      Magus Inselm saß in einem Sessel neben dem Bett. Außerdem waren Leron und Finny im Raum. Kira wischte sich über das Gesicht. »Was ist denn geschehen?«

      Magus Inselm antwortete: »Der Mann, den Ihr fürchtet, hat Euch in den Traum eines Sterbenden gesperrt, um Euch zu töten.«

      Krolan! Hatte sie ihm Wichtiges verraten? Etwa von Trenkars Niederlage in Bethelgard erzählt? Sie erinnerte sich an nichts!

      »Glücklicherweise«, fuhr Inselm fort, »haben wir Euch rechtzeitig befreien können.« Er nickte zu dem Prinzen hin, um anzuzeigen, wer mit »wir« gemeint war.

      »Aber der Prinz … er schläft ja noch! Ihr müsst ihn aufwecken!«

      »Keine Angst. Sein fester Schlaf ist traumlos, nur noch die Nachwirkung eines Trunkes. Er wird bald erwachen.« Inselm erhob sich, aber Leron stellte sich ihn in den Weg. »Ihr bleibt, bis