E. S. Schmidt

Welt der Schwerter


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      In den vergangenen Tagen hatte er weit mehr erreicht, als er jemals von sich selbst erwartet hätte – als irgendjemand von ihm erwartet hätte. Irgendwie hatte er sich gewünscht, es möge genug sein. Er hatte es sich und anderen bewiesen: Er konnte mehr sein als ein Zauderer und Feigling. Reichte das nicht? Durfte er nun nicht zurückkehren zu seinen Büchern?

      Aber es ging nicht um ihn. Dies war kein Parcours, den Coridan für ihn ersonnen hatte, sondern ein echter Krieg, und es ging um Galathräa.

      Elim schüttelte den Kopf. »Ich hätte nach allem, was Woring mir erzählt hat, mehr von dir erwartet.«

      Siluren sah auf. »Du hast mit Woring gesprochen?«

      »Natürlich habe ich das.« Woring war ein bürgerlicher, aber die Stadtoberen von Bethelgard hatten ihm den Oberbefehl gegeben. Auch wenn Siluren als Prinz über ihm stand, so wusste doch Elim so gut wie jeder, dass Woring die Schlacht um Bethelgard geführt und gewonnen hatte.

      »Woring hat mir berichtet, wie du Trenkar zum Narren gehalten und wie du die Bresche verteidigt hast – mit eigener Hand. Dein Vater wird stolz auf dich sein. Aber glaube nicht, du hättest damit deine Pflicht gegenüber deinem Land, gegenüber deinem König bereits erfüllt. Dieser Krieg hat gerade erst begonnen.«

      Womöglich wäre sein Vater heute tatsächlich stolz auf ihn gewesen. Aber all das würde sich in sein Gegenteil verkehren, wenn er den nächsten Schritt tat und scheiterte.

      Was Kira jetzt wohl gesagt hätte? »Am sichersten scheitert Ihr, wenn Ihr es gar nicht erst versucht.« Ihre Sicht auf die Welt war so völlig ohne Umwege, ohne Raffinesse. Vermutlich war es genau das, was er brauchte. Er durfte sie nicht gehen lassen. Ohne sie säße er jetzt auf Krailenhost beim Frimm-Spiel mit Leron.

      »Nun gut.« Siluren straffte die Schultern. »Dann rufen wir jetzt die Offiziere herein.«

      Elim hob die Brauen. »Was willst du ihnen sagen?«

      »Ich mag Zeit vergeudet haben, aber ich habe mir durchaus bereits Gedanken gemacht.«

      Zufriedenheit zeichnete sich in Elims Gesicht ab, und er nickte dem Türdiener auffordernd zu.

      Die Offiziere nahmen die Nachricht, dass sie im Morgengrauen unter Silurens Oberbefehl losmarschieren würden, stoisch zur Kenntnis. Als sei es unter ihrer Würde, eine Reaktion zu zeigen. Vermutlich hatten sie das bereits erwartet.

      Siluren gab jedem von ihnen die Hand, und Elim verlor einige Worte über jeden Mann. Sie alle waren altgediente Vasallen des Herzogtums von Etharold, Grafen und Barone, sie alle hatten schon oft mit Elim auf dem Schlachtfeld gestanden, außer dem Jüngsten vielleicht, der noch jünger schien als Siluren selbst, und der hier war, um die Stelle seines erkrankten Vaters auszufüllen. Sie alle waren wortkarg, und vermutlich hatten sie sich ihre Meinung über ihren zukünftigen Befehlshaber bereits gebildet. Siluren der Zauderer, den den Oberbefehl einem Bürgerlichen wie Woring überlässt. Es würde schwer werden, diese vorgefassten Meinungen zu verändern.

      Aber warum sollte er das auch? Er war nun einmal der, der er war, und hatte er nicht genau damit Bethelgard lange genug halten können, bis sie und Onkel Elim gekommen waren, um die Schlacht zu wenden? Er fasste die Männer scharf ins Auge. »Man sagt mir nach, ich sei ein Mann der Worte, nicht der Taten.« Nach einer kurzen Pause entstehen fügte er an: »Ich fürchte, das entspricht der Wahrheit.«

      Ihre Verunsicherung war geradezu greifbar. Welcher Befehlshaber würde sich selbst als schwach darstellen, und wozu? Doch Worte waren keine Schwäche, das war Siluren heute bewusster als je zuvor, und so fuhr er fort: »Nach Herzog Etharolds Bericht seid ihr alle Männer der Tat, und mir scheint daher, wir ergänzen uns gut. Um Erfolg zu haben, müssen Denken und Tun zu einer Einheit finden. Ich bin euer Befehlshaber, der Kronprinz, und daher erwarte ich Euren Gehorsam. Aber da ich ein Mann des Wortes bin, erwarte ich auch, dass ihr eure Gedanken und Bedenken aussprecht. Ich hoffe auf den Rat gerade der Erfahrenen unter euch, und ich habe sicherlich noch vieles zu lernen. Ich bin bereit dazu. Aber wenn eine Entscheidung getroffen, ein Befehl erteilt wurde, erwarte ich Gehorsam und Pflichterfüllung. Von euch wie von jedem Mann in der Truppe.«

      Hatte er sie damit für sich gewonnen? Zweifelhaft. Aber zumindest hatte er seinen Standpunkt klar gemacht. Alles andere würde folgen – so hoffte er zumindest. Als er ihnen eröffnete, sie sollten den Männern noch an diesem Abend den Monatssold auszahlen, zeigten die auf Elim gerichteten Blicke ihre Verwunderung.

      »Seht nicht ihn an«, forderte Siluren. »Fragt mich.«

      Es dauerte einen Moment, bis der älteste unter ihnen – Brigum von Bleyhardt – zu sprechen wagte. »Wir marschieren erst seit wenigen Tagen, und es ist nicht üblich, den Soldaten mehr als das Handgeld im Voraus zu zahlen.«

      »Dieser ganze Marsch über den Niedersee wird mehr als unüblich, und wir müssen uns davon verabschieden, Dinge aus dem einzigen Grund zu tun, weil man sie schon immer so gemacht hat. Wir werden durch Dörfer und Marktflecken ziehen, die ihre Wintervorräte nahezu aufgezehrt haben, und Trenkars Truppen werden nicht zimperlich gewesen sein. Unsere Männer werden weder stehlen noch plündern. Gebt den Befehl aus: Die Soldaten werden bezahlen, was sie nehmen. Wer stiehlt oder Raub erpresst, wird behandelt wie ein gemeiner Dieb.«

      Nicht alle schienen zufrieden mit der Antwort. Insbesondere Bleyhardt schien noch etwas auf der Zunge zu brennen, doch er sprach erst, als Siluren ihn dazu aufforderte.

      »Hoheit, die meisten von ihnen sind schlichte Männer. Sie kennen das nicht – so viel Geld zu besitzen, ohne es zumindest teilweise sofort zur Begleichung von Schulden verwenden zu müssen.«

      Das immerhin war ein gutes Argument. Es durfte nicht noch eine durchzechte Nacht geben. »Wohlan denn, den halben Monatssold. Das dürfte die Gefahr im Zaume halten. Erst recht, wenn sie wissen, dass wir im Morgengrauen losmarschieren.«

      Nun wagte auch ein andrer, zu reden. »Was geschieht mit den Gefangenen?«, fragte er. »Wir haben fast zweitausend Tote und Verwundete zu beklagen. Mit den Oneräern könnten wir unsere eigene Truppe stärken.«

      Siluren widerstand der Versuchung, seinen Onkel anzusehen. Er musste sich daran gewöhnen, solche Dinge mit seinen Offizieren selbst auszuhandeln. Seine Offiziere. Große Göttin, was tat er hier bloß? »Ist das nicht ein Risiko? Wir hätten potenzielle Verräter in unseren Reihen.«

      Wieder antwortete Bleyhardt. »Das wäre richtig, wenn man mit ihnen ein eigenes Regiment schaffte. Wir werden sie aber unter unsere eigenen Männer stecken. Das hält sie unter Kontrolle. Für den Rest sorgt die militärische Disziplin, und in der Schlacht zählt nur noch der Wunsch, am Leben zu bleiben.«

      Siluren nickte. »Wir bieten ihnen den gleichen Sold wie unseren Männern.«

      Bleyhardt lächelte. »Unterschiedliche Listen zu führen, würde unseren Zahlmeister ohnehin überfordern.«

      Als sie gegangen waren, sah Siluren seinen Onkel an. »Nun?«, fragte er.

      Elim nickte. »Ihre Herzen wirst du erst gewinnen, wenn du sie in einer Schlacht zum Sieg führst. Aber für heute ist es genug.«

      ***

      Kira kehrte in ihre eigene Kammer zurück. Jemand hatte das Bett gemacht. Vermutlich die gleiche Person, die auch das Kleid aufgehängt hatte, das sie gestern achtlos auf den Boden geworfen hatte. Kira strich hilflos über die scharfen Falten, die sich über Nacht in dem Stoff gebildet hatten. Hoffentlich würde Finny das wieder hinbekommen.

      Sie wandte sich ab, wollte nicht an ihn denken, doch das war hoffnungslos. Wohin auch immer sie den Blick wandte: da war das Mieder, das er ihr ausgezogen hatte, da lag ihr Dolch – Dolch und Buch. Da waren die Tiegel mit dem Puder, mit dem man sie schön gemacht hatte – für ihn. Da war die Schildjacke, die er ihr geschenkt hatte, und dort der Helm. Das Schwert, mit dem sie gekämpft hatte – an seiner Seite.

      »Hör auf!«, befahl sie sich selbst. Sie fand den Spiegel und blickte sich ins Gesicht. Die Farben waren fort, weggeweint und ins Kissen gewischt. Sie sah wieder aus wie sie selbst – Kira, die nur sich selbst gehörte. Die stark genug war, ihr Leben alleine zu