Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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Regelbefolgung selbst zum Zweck werden.“33 Diese Definition beeinflusst sodann nicht allein das Verständnis, sondern auch seine Überlegungen zur Entstehung von Taufe und Abendmahl. Ob seine Thesen zur Symbolhaftigkeit der Taufhandlung und ihrer Bezugnahme auf das Begräbnis Jesu34 tatsächlich zutreffen, wäre ebenfalls zu prüfen.35

      Schließlich gibt es eine Reihe an ntl.en ritualwissenschaftlichen Studien, welche hier nicht in ihrer Breite dargestellt werden können. Der Fokus soll auf denjenigen liegen, welche mindestens ansatzweise die christliche Taufe als Ritual behandeln:

      Strecker, Christian, Liminale Theologie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive:36 Strecker untersucht die urchristlichen Ritual- und Gemeinschaftsstrukturen und deutet sie unter grundlegender Inanspruchnahme der Ritual- und Gesellschaftstheorie Victor Turners. Die Anwendung von etablierten Ritualtheorien zur Deutung ritueller Zusammenhänge ist einerseits ein dezidiert ritualwissenschaftliches Vorgehen, anderseits bleibt zu fragen, inwieweit eine unter Beobachtung von Ureinwohnervölkern wie modernen Gruppierungen entwickelte Theorie „anwendbar“ auf die urchristliche Gemeinschaft ist – selbst dann, wenn Turner diese als Beispiel seiner Theorie benennt.37

      In weiteren Veröffentlichungen v.a. zur Taufe verfolgt Strecker sodann auch andere ritualwissenschaftliche Ansätze, indem er der ntl. mit der Taufe in Verbindung gebrachten Motivik ritualwissenschaftlich nachspürt: Strecker, Christian, Taufrituale im frühen Christentum und in der Alten Kirche. Historische und ritualwissenschaftliche Perspektiven;38 ders., Auf den Tod getauft – ein Leben im Übergang. Erläuterungen zur lebenstransformierenden Kraft des Todes bei Paulus im Kontext antiker Thanatologien und Thanatopolitiken;39 ders., Macht – Tod – Leben – Körper. Koordination einer Verortung der frühchristlichen Rituale Taufe und Abendmahl.40

      Jensen, Robin M., Baptismal Imagery in Early Christianity. Ritual, Visual and Theological Dimensions:41 Jensen untersucht und interpretiert die vielfältige Taufmotivik vom Neuen Testament bis in die Patristik u.a. unter ritologischen Gesichtspunkten, indem sie etwa andere Reinigungsrituale oder Inkorporationsrituale vergleichend heranzieht. Die von ihr untersuchten Motive sind „Baptism as Cleansing from Sin and Sickness“,42 „Incorporation into the Community“,43 “Baptism as Sanctifying and Illuminative”, “Baptism as Dying and Rising”44 sowie “Baptism as the Beginning of the New Creation”.45 Mit ihrer inhaltlichen Herangehensweise verfolgt sie die Deutungsmotive durch die Entwicklungsgeschichte der Taufe hindurch. Andere ritualwissenschaftliche Ansätze, wie etwa der Vergleich mit funktional ähnlichen Ritualen, werden dieser Prämisse untergeordnet und treten dadurch nur am Rande auf.

      DeMaris, Richard E., The New Testament in its Ritual World:46 Nach einer Einführung in „Ritual Studies and the New Testament“ unterteilt DeMaris seine Ausführungen in „Entry Rites“ und „Exit Rites“ und geht innerhalb dessen sowohl Ritualelementen als auch -motiven nach. Er legt damit eine inhaltlich wie methodisch dezidiert ritualwissenschaftliche Studie vor. Die christliche Taufe stellt dabei eines der untersuchten Rituale dar.47

      Eine Reihe von Studien und Aufsätzen beschäftigt sich allgemein mit der Ritualwelt des Neuen Testaments oder auch konkret mit Ritualaspekten und -elementen der christlichen Taufe in ihren Anfängen. Wenn daraus auch einzelne inhaltliche wie methodische Anstöße hervorgehen, so fehlt es dennoch an einer umfassenden Erfassung des Rituals Taufe. Die nachfolgende Arbeit stellt sich der Herausforderung, dies erstmalig durchgehend und dezidiert unter Zuhilfenahme ritualwissenschaftlicher Methodik zu vollziehen. Den Weg dahin wird das nachfolgende Methodenkapitel aufzeigen.

      Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese

      1 Rituale und Ritualwissenschaften

      1.0 Wahrnehmung, Präsenz und Brisanz von Ritualen in modernen Gesellschaften

      Es galt lange Zeit als Gemeinplatz innerhalb der Sozialforschung, „daß Rituale in modernen Gesellschaften an Bedeutung verloren haben – als Ergebnis des Siegeszuges des Rationalismus oder der Technik, oder weil man den Individualismus, die Spontaneität, Authentizität und Aufrichtigkeit zunehmend höher bewertete“.1 Max Weber etwa assoziierte Ritual mit Magie und konstatiert, „daß alle beide in der modernen, ‚entzauberten‘, rationalen Welt an Bedeutung verlieren“.2 Max Gluckman spricht gar von einem allgemeinen Rückgang der Ritualisierung sozialer Beziehungen.3

      Doch die Tendenz zur Marginalisierung von Ritualen ist erheblich älter als Weber und Gluckman. Wesentlich geprägt und mitbegründet wird sie bereits seit dem 16. Jh. von der evangelischen Theologie in ihrer gesamtgesellschaftlichen Wirkung: „The Protestant Reformation produced an ideological stance that was openly hostile toward ritual.“4

      In seiner (theologie-)geschichtlich angelegten Ursachenforschung macht Gorman drei Aspekte evangelischer Theologie aus, welche zu einer Abwertung von Ritualen führten: 1) „the emphasis on inner experience as central to the authentic Christian existence“; 2) „a Christocentric and Christological interpretation of the Bible and history“ und 3) „anti-Judaistic and anti-Catholic biases and polemics“.5 Einige dieser (Über-)Interpretationen sind als direkte Reaktion auf das teilweise magische Ritualverständnis und -praxis der vortridentinischen katholischen Kirche zu verstehen und führen zu einer allgemeinen Distanzierung von ritualisierten, körperlichen Formen der Glaubensausübung.

      Später verstärken nach der Meinung von Douglas antiritualistische Thesen tradierende, religiöse Erweckungsbewegungen, welche das Ritual stets als „leeren Konformismus“ kritisieren, die Marginalisierung des Rituals v.a. im evangelischen Bereich und davon geprägten Gesellschaften.6

      Dass nun in den vergangenen 30 Jahren gehäuft die Beobachtung gemacht wird, Rituale seien wieder „in“ bzw. „schön“,7 hat m.E. zwei miteinander korrespondierende Ursachen:

      1) Es ist ein erweiterter, nicht allein auf religiöse Rituale und den Ritualablauf fokussierender Ritualbegriff wahrzunehmen. Rituale werden (wieder-)entdeckt in sämtlichen Gesellschafts- und Lebensbereichen.

      2) Es entstehen tatsächlich viele neue Rituale bzw. werden bewusst gesucht und entwickelt. Diese „neuen“ Rituale unterscheiden sich jedoch teilweise erheblich in Art, Intension wie gesellschaftlicher bzw. privater Verortung von bisherigen Ritualen und deren Funktionen. Als Anlass vieler der v.a. privaten Rituale muss die sich so schnell wie nie verändernde, verkomplizierende und ständige Entscheidungen, Flexibilität und Erreichbarkeit fordernde Lebenswelt eines Menschen des digitalen Zeitalters gelten. Entsprechend werden Rituale zum Arbeiten im homeoffice, zur Ehescheidung,8 zum Umgang in Patchworkfamilien9 sowie zu individuellen oder auch gemeinschaftlichen Offline-Zeiten entwickelt: „Die ‚neuen Rituale‘, so darf man aus all dem schließen, sind Handlungen, die vornehmlich der Psychohygiene dienen und darin ihren Sinn wie ihre Rechtfertigung – ihre raison d’etre – finden.“10 Selbst wenn dazu auf ältere Ritualformen zurückgegriffen wird, „werden sie nicht als Selbstverständlichkeiten des gesellschaftlich-religiösen Lebens fraglos wahr- und hingenommen, sondern in einer Art ‚Kaufentscheidung‘ bewußt gewählt, häufig auch erst in einem kreativen Prozeß hergestellt, um- und ausgestaltet. Immer weniger wird ihre Plausibilität durch kulturelle Gewohnheiten bzw. durch religiöse und gesellschaftliche Institutionen garantiert.“11

      Daneben werden aber auch im öffentlichen Raum – in Politik, Sport, Musik oder auch an Universitäten – Rituale vermehrt entwickelt bzw. werden (wieder) als solche erkannt. Diesbezüglich ist gelegentlich die These zu hören, alle Gesellschaften seien gleichermaßen ritualisiert, sie würden lediglich unterschiedliche Rituale praktizieren. Burke mahnt diesbezüglich an, dass es wesentlich schwieriger sei, eigene Rituale zu erkennen als die der anderen, und empfiehlt daher, lediglich die Einstellung gegenüber Ritualen in der eigenen Gesellschaft zu beschreiben.12 Er kommt dabei zu dem Schluss: „Selbst wenn viele Menschen Rituale weiterhin ernst nehmen und es möglich ist, daß neue Medien […] auf ihre Art zur Mystifikation von Autoritäten beitragen, so steht dennoch fest, daß eine distanzierte, ja ablehnende Einstellung zu ‚bloßen‘ Ritualen in der westlichen Kultur feste und tiefe Wurzeln geschlagen hat.“13

      Als aktuelle Grundtendenzen moderner Gesellschaften – ob evangelisch geprägt oder nicht –