Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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der Unwissenheit und des profanen Zustands.“37 Petersen formuliert diesbezüglich vorsichtiger: „The relationship between the two non-liminal phases and the liminal one is expressed through the use of analogical, binary contrasts.“38 Der von Eliade beschriebene Ini­tiationstod mit folgender Neu- bzw. Wiedergeburt ist aus anthropologischer Sicht der deutlichste und augenfälligste Ausdruck eines solchen Kontrastes.39

      1.3 Ritualveränderungen und -neuentwicklungen

      Die Veränderung oder gar Neuentwicklung1 von Ritualen scheint deren ur­eigenem Wesen zunächst zu widersprechen, denn „rituals tend to present themselves as the unchanging, time-honored customs of an enduring community.“2 Entsprechend scheinen Beobachtungen zu bestätigen, dass „ritual activities generally tend to resist change and often do so more effectively than other forms of social custom.“3 Gleichzeitig zeigen genauere Untersuchungen, dass dies keinesfalls selbstverständlich ist: „Es kostet Mühe und ist aufwendig zu verhindern, dass Rituale sich verändern; formale Konstanz ist keineswegs selbstverständlich.“4

      Und so hat sich in den vergangenen Jahren innerhalb der Ritualwissenschaften ein eigener Forschungsschwerpunkt herausgebildet, welcher unter den Stichworten „ritual dynamic“5 und „ritual design“6 Anlässe und Prozesse von Ritualveränderung, -weiterentwicklung und -neuentwicklung untersucht und interpretiert. Im Folgenden kann und soll es nicht um eine ausführliche Darstellung des Phänomens, sondern lediglich um einen kleinen Einblick in die Problematik gehen.

      1.3.1 Anlässe und Ursachen für Ritualveränderungen und -neuentwicklungen

      Die Hauptursache von Ritualveränderungen liegt in ihrer starken Kontextabhängigkeit begründet. Jede Art von Veränderung einer Gruppe bzw. des Umfeldes eines Rituals tritt in eine Wechselwirkung mit diesem. Konkret kann dies geschehen „[…] aufgrund interner oder externer Faktoren, von oben gesteuert, von unten erzwungen oder zwischen den Beteiligten ausgehandelt.“1 Zwei Sonderfälle sind zu beachten: 1) der Ritualtransfer und 2) die Neuentstehung bzw. -entwicklung von Ritualen.

      1.3.1.1 Der Ritualtransfer

      Ein Ritualtransfer stellt eine Übertragung von Ritualen in andere Kontexte und Gesellschaften dar, bei welchem das Ritual zwar im Ganzen fortbesteht, jedoch normalerweise „seine Form, Funktion und Bedeutung im Laufe des Transferprozesses veränd[ert].“1 Widengren betont zwar einerseits das teilweise hohe Alter von Ritualen trotz derartiger Transfers, hält aber andererseits eine völlig unveränderte Übernahme eines Rituals samt des daran gebundenen Mythos in eine andere Religion für unmöglich.2 Für die Neukontextualisierung ganzer Kulte samt deren Ritualinventars prägte Schmidt den Begriff der „Kultübertragung“.3 Werden hingegen lediglich einzelne Ritualelemente in einen anderen Kontext transferiert, spricht man heute eher von „Interritualität“:4 „Der springende Punkt dabei ist, dass diese Elemente als ‚Zitate‘ erkennbar sind und auf ihren Herkunftskontext verweisen; dadurch werden die verschiedenen Rituale untereinander symbolisch verknüpft.“5

      1.3.1.2 Die Neuentstehung bzw. -entwicklung von Ritualen

      „The tendency to think of ritual as essentially unchanging has gone hand in hand with the equally common assumption that effective rituals cannot be invented.“1 Entsprechend werden offensichtlich neue Rituale gelegentlich abgewertet,2 durch die Forschung ignoriert oder aber ihnen wird mit einer hohen Erwartungshaltung begegnet: „There is increasing pressure for the invented rite to show that it ‚works‘; this is what legitimates the rite since there is no tradition to do this.“3

      Myerhoff sieht den Grund dafür im Ritual selbst: „the invisibility of ritual’s origins and its inventors is intrinsic to what ritual is all about“.4 Bell widerspricht ihr darin, dass dies für alle Rituale zutreffen würde.5 Zudem betont sie, dass es sich bei der Ritualentwicklung keineswegs um ein ausschließlich modernes Phänomen handelt.6 Auch Stollberg-Rilinger verweist darauf, durch die Geschichte seien gerade in Umbruchssituationen Rituale erfunden worden, um etwa Brüche zu überbrücken.7 Zumeist handelt es sich dennoch nicht um eine „[…] creation ex nihilo. Various familiar symbols and traditions were evocative while still espousing sentiments in keeping with official directives.“8

      1.3.2 Umstände und Abläufe von Ritualveränderungen

      „Doch Rituale wandeln sich nicht zwangsläufig, wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern. Einige Rituale werden mit neuen gesellschaftlichen Erfordernissen obsolet. Andere funktionieren als Folie, an der sich gesellschaftliche Debatten und Kämpfe entzünden.“1 Die Art und Weise, in der sich Rituale verändern bzw. aktiv umgestaltet werden, kann sehr vielfältig sein.

      1) Rituale reagieren in unterschiedlicher Weise auf Veränderungen ihres Bezugskontextes:2 a) Sie passen ihre Form an. b) Sie bleiben in ihrer Form gleich und werden neu gedeutet. c) Rituale werden in neue Kontexte transferiert. d) „Die Rituale bleiben äußerlich unverändert, geraten in ein Spannungsverhältnis zu ihrer Umwelt und erstarren zum ‚leeren Ritualismus‘.“3 Stollberg-Rilinger stellt zu Recht fest, dass sich die einzelnen Varianten nicht immer klar trennen lassen.4

      2) Selten geht die Ritualveränderung offen und für alle erkennbar vonstatten. Dies hat seine Ursache entweder darin, dass sich ein Ritual unmerklich nach und nach verändert oder aber darin, dass die Veränderung gezielt verschleiert wird: „Neues wird als Altes, Innovation als Tradition ausgegeben.“5 Für religiöse Rituale begründet dies Schwedler folgendermaßen: „Ein von höherer Macht bestätigter und gewollter Kult kann nicht so einfach ‚erneuert‘ werden, ohne in den Verdacht zu geraten, etwas Ursprüngliches und damit Legitimierendes zu verfälschen.“6 Dahingehend stellt sich auch die Frage, inwieweit Neuerungen von allen als solche erkannt und empfunden werden.7

      3) Die jeweilige Beschaffenheit eines Rituals hat Einfluss auf dessen Verände­rungsprozess. „Dabei spielen etwa ihre Sakralität, ihre zeitliche Frequenz, die Handlungsmacht ihrer Regisseure und vor allem die Art und Weise der Weitergabe eine zentrale Rolle.“8 Während eine rein individuelle mündliche Weitergabe sowie große Zeitspannen zwischen den Ritualvollzügen eine schleichende Veränderung begünstigen, kann die Veränderung eines schriftlich fixierten und von Spezialisten archivierten Rituals nur herbeigeführt werden.9

      4) Nicht allein Ritualneuentwicklungen, sondern auch Ritualveränderungen greifen in einem gewissen Maße auf bereits bekannte Ritualelemente bzw. Ritualbausteine zurück. Stollberg-Rilinger betont gar die Notwendigkeit dessen: „Nur so erfüllt sie die Funktion, in Umbruchssituationen, etwa bei der Etablierung eines neuen Regimes, eines neuen Amtes, eines neuen Kultes, eines neuen politischen Programmes usw., von der Legitimität der Tradition zu profitieren und das Neue als weniger neu, gefährlich, beunruhigend und irritierend erscheinen zu lassen.“10 Dies ist dahingehend anzufragen, ob Ritualinnovationen und -veränderungen tatsächlich allein durch die Bewältigungsnotwendigkeit von veränderten Kontexten motiviert sind oder nicht gerade neue Situationen durch Ritualveränderungen geschaffen und gedeutet werden können.

      5) Die Bedeutung desjenigen, der ein Ritual verändert, in einen neuen Kontext transferiert, umdeutet oder gar neu entwickelt, ist kaum zu unterschätzen. Bell fasst diejenigen, welche die Autorität haben, Rituale zu leiten, aber auch zu verändern, unter dem Begriff „agency“ zusammen.11 Eine solche Autorität kann abgeleitet sein „[a]us einer göttlichen Quelle, aus institutioneller Autorität, aus gemeinschaftlicher Übereinkunft aufgrund von Aushandlung, aus einer Kombination von all dem“.12 Eine Unterkategorie davon stellen die sog. „founder figures“, wie sie Betz nennt, dar, welche im Zuge von Ritualtransfers Rituale in ihren neuen Kontext einführen, begründen und ggf. die Anpassungen sowie Neuinterpretationen vornehmen.13

      Blickt man unter diesen Voraussetzungen auf die christliche Taufe, ergeben sich eine Reihe an Fragen: Handelt es sich dabei tatsächlich um ein neues Ritual, um einen Ritualtransfer oder aber um eine bloße Weiterentwicklung der Johannestaufe? Welche konkreten Kontextveränderungen führen zur Entstehung und Deutung der christlichen Taufe. In welcher Weise reagiert das Ritual auf diese