Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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bieten originär kaum Anhaltspunkte, wie dem methodisch in angemessener Weise zu begegnen ist. Dass wiederum die historisch-kritische Methodik einer angemessenen Ritualanalyse und -interpretation grundsätzlich entgegensteht, scheint ebenso fraglich.6

      Seit einigen Jahrzehnten lässt sich, allerdings hauptsächlich in der alttestamentlichen Exegese, eine ganz neue Hinwendung zu rituellen Themen feststellen.7 Klingbeil macht dafür zwei allgemeine Tendenzen innerhalb der Exegese verantwortlich: 1) „There is a shift from text-oriented analysis to meaning-oriented interpretation.“8 2) Es gäbe kategoriale Neubewertungen von Ritualfunktionen, welche bis in die Exegese hineinwirken. Beispielhaft dafür wäre etwa die These Bells, dass Rituale keineswegs nur für politische und soziale Machtausübung instrumentalisiert würden, „rather, ritual practices are themselves the very production of power relations.“9

      2.1 Rahmenbedingungen und Herausforderungen ritologischen Arbeitens im NT

      Wenn auch die neutestamentlichen Schriften den detailreichen Kultanweisungen des Pentateuchs entsprechenden Ritualbeschreibungen ermangeln, so begegnen doch in den heilenden, segnenden und provozierenden Handlungen und Gesten Jesu oder den Beschreibungen und Problematisierungen von gottesdienstlichen und anderen Gemeindezusammenkünften in Apg und den Briefen eine erstaunliche Fülle an neu entwickelten oder auch lang tradierten, möglicherweise aktualisierten Ritualen und ritualisierten Handlungen. Neben diesen deskriptiven Texten finden sich solche, welche selbst rituelle Funktionen wahrnehmen, so zum Beispiel die Gruß- und Segenswünsche zu Beginn und Schluss der paulinischen Briefe – Texte, welche bisher kaum unter ritologischen Gesichtspunkten wahrgenommen wurden.

      Der einzige methodische Entwurf zum ritologischen Arbeiten in der biblischen Exegese stammt nun aber dennoch von einem Alttestamentler: Gerald A. Klingbeil, Bridging the Gap. Ritual and Ritual Texts in the Bible. Entsprechend gehen die von ihm formulierten fünf Herausforderungen jeder biblisch begründeten Ritualuntersuchung zwar erkennbar von der besonderen Quellensituation der Hebräischen Bibel aus, sie sollen im Folgenden aber dennoch der Ausgangspunkt für die Überlegungen bezüglich der neutestamentlichen Tauftexte bilden, da sie den wohl profiliertesten Versuch zu diesem Thema darstellen:

      1) „[…], biblical ritual must be studied nearly exclusively from texts.“1 Eine erste Kategorisierung dieser Texte könnte man mit Klingbeil in der Unterscheidung zwischen deskriptiven und preskriptiven Ritualtexten vornehmen,2 wobei sich allerdings die sechs Text-Ritual-Kategorien Streckers als wesentlich differenzierter erweisen.

      Die Kategorien richten sich auf die jeweilige Art und Funktion des Rituals in einem Text und lauten: 1. Texte, die zur Ausführung eines Rituals anweisen; 2. Texte, die den Vollzug einer rituellen Handlung schildern bzw. konstatieren; 3. Texte, die sich mit der Bedeutung, Funktion oder rechten Durchführung rituellen Handelns auseinandersetzen; 4. Texte, die direkt rituellen Gebrauch entstammen; 5. Texte, die eine unmittelbare rituelle Funktion besitzen; 6. Texte, die synekdochisch mit einem Ritual vernetzt sind.3

      Für die neutestamentlichen Tauftexte ist dabei weniger die Befürchtung einer teilweisen Fiktionalität von Relevanz, wie sie Klingbeil für viele alttestamentliche Ritualtexte konstatiert.4 Wohl aber ist zu erwarten, dass theologische Implikationen in die Darstellung eingeflossen sind. Die Vielfalt an Deutungsmotiven und Kontextualisierungen der Taufe allein in den paulinischen Texten kontrastiert diese allgemeine Annahme jedoch bereits insofern, als sie weniger eine unterschiedliche theologische Instrumentalisierung der Taufe als vielmehr eine Breite in Deutung und Funktion des Rituals vermuten lässt. Eine regelrecht tendenzielle Darstellung eines Rituals wird neutestamentlich lediglich für die Johannestaufe diskutiert.

      2) „[…] most of the texts containing rituals are not easily dated, a fact that obviously has repercussions if one attempts the historical reconstruction of the Religion of Ancient Israel or early Christianity.“5 Während die Datierung der neutestamentlichen Tauftexte weniger ein Problem darstellt, insofern sie sich mindestens in eine wahrscheinliche relative Reihenfolge bringen lassen,6 enthält die Frage der sicheren zeitlichen Verortung des Proselytentauchbades durchaus eine Brisanz, welche sich in der Unterschiedlichkeit der daraus abgeleiteten Thesen in der Verhältnis- und ggf. Abhängigkeitsbestimmung zur christlichen Taufe widerspiegelt.

      3) „[…] rituals in themselves are rather empty containers and need to be understood in their specific cultural, historical, and religious context, often requiring advanced studies and skills.“7 Um seine auf die Vorstellung hinauslaufende These „The actions that constitute a ritual do not have inherent meanings …“8 zu veranschaulichen, führt Klingbeil interessanterweise an dieser Stelle eines seiner wenigen neutestamentlichen Beispiele an: Bei dem (einen) Taufritual des NT würden erhebliche Bedeutungsunterschiede zwischen der Johannestaufe und der christlichen Taufe gemacht werden.9 Wenn seine These auch hauptsächlich auf die Warnung davor hinauszulaufen scheint, heutige Deutung in die antiken Texte einzutragen, so tritt die dahinterstehende Ritualdefinition von einer zunächst an sich „meaningless“ bzw. auch „mit Bedeutung frei zu füllenden“ Handlung deutlich hervor. Es ist bereits dargestellt worden, dass diese Auffassung keineswegs konsensfähig ist.10 Bezüglich der Taufe würde sie gegen jede symbolische Implikation des Taufvollzuges und damit auch gegen jede Erwartung einer Wirkung der Taufe sprechen, welche oft mit dem sensitiven Gedächtnis der Ritualteilnehmer in Verbindung gebracht wird. Diese hinge sodann allein an der vorherigen (!) Taufkatechese – eine Vorstellung, die modernen Ritualdefinitionen eher fremd ist und wofür m.E. in den neutestamentlichen Tauftexten auch nicht ausreichend Indizien vorhanden sind. Zu prüfen wäre vielmehr, ob die unterschiedlichen Deutungen des Taufaktes, sowohl der Johannestaufe als auch der christlichen Taufe, nicht eher auf eine (schrittweise) Veränderung bzw. Entwicklung im Taufverständnis zurückzuführen sind. Erkennt man Ritualabläufen in diesem Sinne ein Mindestmaß an inhärenter Bedeutung – neben und mit den je abhängigen Bedeutungszuschreibungen – zu, ist dies für die Interpretation der Weiterentwicklung der Johannestaufe zur christlichen Taufe zu bedenken, bei welcher der Ritualablauf trotz eines Wechsels von Ritualleiter, Zielgruppe und Funktion gleich bleibt.11

      4) „[…] one has to deal with the often abbreviated nature of ritual in the Bible.“12 Klingbeil bringt dafür zwei mögliche Gründe vor: „Writing, for the professional ritual specialist, did not require all the minute details but rather focused on the larger picture. If a general audience was envisioned, it could be argued that this group also understood intuitively most basic elements […] or ritual building blocks.“13 Diese beiden Begründungen finden sich – neben der These über die allgemeine Nichtbedeutsamkeit des Ritualablaufes – gemeinhin auch für das Fehlen von Ablaufbeschreibungen für die Taufe im NT. Die folgende Untersuchung hat jedoch genau zu ergründen, ob die neutestamentlichen Tauftexte tatsächlich jeder Beschreibung eines Ritualablaufes ermangeln – v.a. angesichts der Entstehungssituation, in welche mindestens die paulinischen Texte noch zu rechnen sind und für welche im Gegensatz zu ausdifferenzierten alttestamentlichen Festritualen noch kein umfangreiches Gesamtritual mit vielfältigen Teilritualen zu erwarten ist. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die vielseitigen Deutungsmotive und Kontextualisierungen der Tauftexte nicht auch ein aussagekräftiger Hinweis bezüglich des Fokus dieser Texte sind: Strittig, mindestens diskutabel sind demnach nicht Details eines komplizierten, möglicherweise symbolischen Ritualablaufes, sondern die Funktionen und Deutungen der christlichen Taufe in ihren rituellen Relationen.

      5) „[…] comparative material is generally helpful and beneficial […]“14 Der methodische Ansatz Klingbeils, den Herausforderungen zu begegnen, sieht eine vergleichende Arbeitsweise vor, bei welcher er schriftlichen Texten grundsätzlich den Vorzug vor anderen Quellen gibt und dabei sowohl „historical comparison“15 als auch „typological comparison“16 grundsätzlich für potentiell aussagekräftig hält. Mit Blick auf die Taufe wären demnach Wasser-Ritual(text)e im Allgemeinen und solche mit einem ähnlichen geographischen und zeitlichen Hintergrund im Besonderen vergleichend heranzuziehen und diesen jederzeit den Vorzug gegenüber sämtlichen sonstigen Quellen,17 aber auch modernen Ritualinterpretationsmodellen18 zu geben.19

      In welcher Weise den gerade beschriebenen Herausforderungen und Rahmenbedingungen in dieser Arbeit methodisch begegnet werden soll, ist im Folgenden zu bedenken.