Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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Herausforderungen die Deutung des gewaltsamen Leidens und Sterbens Jesu Christi sowie der Umgang mit der einsetzenden Heidenmission und damit nichtjüdischen Christusgläubigen sind – zwei Aspekte, welche in grundlegender Weise die christliche Taufe wie auch die ältesten Tauftexte bestimmen. Geradezu ein Paradebeispiel für einen Ritualtransfer stellt später die Verbreitung der christlichen Taufe in der hellenistischen Welt im Rahmen der heidenchristlichen Mission v.a. durch Paulus dar. Betz leitet daraus die These ab: „We are suggesting that the apostle Paul should be viewed as analogous to these Hellenistic founder figures […] The transferral and concomitant re-interpretation of baptism provide us with a classical example of this process.“14 Dies wäre ebenso zu untersuchen wie auch die Frage, auf welche ggf. bereits bekannten Ritualelemente und -deutungen Paulus für seine (Neu-)Interpretation zurückgreift und mit welcher Intention.

      1.4 Missverständnisse, Fehler und Protest

      Der Ritualablauf kann allerdings auch durch bewusste Verletzungen oder Fehler eine Veränderung erfahren.1 Rehberg spricht sogar davon, es seien wie bei allen Normen erst „die Verletzungen, die Nichtbefolgung, durch welche ihre normative Struktur sichtbar wird.“2 Dies gilt einerseits für die Beteiligten am Ritual: „Oft veranlassen erst Regelverstöße die Akteure dazu, die zugrundeliegende Regel zu thematisieren, die sonst unausgesprochen und selbstverständlich gilt. Erst ein Fehler bringt die Akteure dazu zu reflektieren, inwiefern dadurch die Wirkung des Rituals gefährdet oder zunichte gemacht worden sein könnte.“3 Dabei können über Fehler beim eigentlichen Ritualvollzug hinaus auch Missverständnisse, Unwissen und Fehlverhalten in mit dem Ritual in enger Verbindung stehenden Bereichen oder auch bei korrespondierenden Ritualen zu Beeinträchtigungen oder gar dem Misslingen des ursprünglichen Rituals führen. Gedacht sei etwa an den Vollzug der Beschneidung an Heidenchristen in Galatien, welche für Paulus in direktem Verhältnis bzw. Missverhältnis zu deren christlicher Taufe steht. Andererseits gibt die Analyse derartiger Fehler sowie v.a. des Umgangs mit ihnen Ritualwissenschaftlern ritologische Einsichten in Rituale und deren intendierter Wirkung, welche nicht direkt in den überlieferten Quellen thematisiert und dokumentiert sind. Stollberg-Rilinger weist dabei mit Recht darauf hin, dass die Beurteilung eines möglichen Fehlers zwischen Ritualleiter und Ritualadressaten durchaus unterschiedlich ausfallen kann,4 z.B. abhängig von der jeweils intendierten Ritualwirkung, wie nicht zuletzt die galatische Auseinandersetzung zeigt.

      Stollberg-Rilinger listet insgesamt acht verschiedene Arten der Abweichungen bzw. Fehler bei Ritualen5 und Lösungsmöglichkeiten dazu auf:6 1) Das Missgeschick,7 welches entweder taktvoll übersehen; mit einer rituellen Gegenmaßnahme korrigiert oder auch als übernatürlicher Eingriff ausgelegt werden kann; 2) der Konflikt (über den richtigen Ablauf) im Ritual bes. bezüglich Darstellung und damit Herstellung der sozialen Rangordnung der Teilnehmer,8 auf welchen mit Abreise, Protest oder einer Ausnahmeregelung reagiert werden kann; 3) die Abwesenheit von Ritualteilnehmern;9 4) die ironische Distanz von Ritualteilnehmern,10 was die Frage nach dem Verhältnis von äußerlichem Vollzug und innerer Akzeptanz stellt; 5) die Verweigerung der erwarteten Reaktion v.a. in dialogisch angelegten Ritualen;11 6) Entgleisungen durch emo­tionale Überreaktionen;12 7) die Usurpation oder der Missbrauch als die Störung von außen bzw. die „rituelle Lüge“ eines der Ritualteilnehmer;13 sowie 8) der demonstrative Ritualbruch, der „darauf zielt, die Institution, die das Ritual repräsentiert, grundsätzlich anzugreifen“.14 Stollberg-Rilinger leitet daraus ab: „Wird ein traditionelles Ritual ungestraft entweder ignoriert oder demonstrativ verletzt, dann wird vor aller Augen sichtbar, dass seine performative Kraft […] allein von der Anerkennung der Beteiligten abhängt und dass diese ihm auch entzogen werden kann.“15

      1.5 Ritualkritik

      Es ist bereits erwähnt worden, dass Ritualkritik einer der wesentlichsten Motoren für die (Weiter-)Entwicklung von Ritualen ist und auch einige der Fehler und Störungen innerhalb von Ritualen – von ironischer Distanz über Verweigerung bis hin zum offenen Ritualbruch – aus der Kritik am Ritual oder seiner Umsetzung entspringen können. Entgegen der landläufigen Meinung, Kritik und Ablehnung von Ritualen seien ein modernes Phänomen,1 lassen sich verschiedene Arten von Kritik und deren Auswirkungen bereits für die Antike belegen,2 was zu der These führt, dass mit jedem Ritual mindestens das Potential zur Ritualkritik gegeben ist.3

      Hotz beschreibt in seinem einführenden Artikel drei zu unterscheidende Arten der Ritualkritik: 1) die „Skepsis und offene Kritik an der Wirksamkeit von Ritualen“4 allgemein, welche das Ziel hat, das bzw. die Rituale abzuschaffen; 2) die Kritik „gegen einzelne Elemente der rituellen Praxis, ohne dabei grundsätzlich die Wirksamkeit von Ritualen in Zweifel zu ziehen“,5 sondern auf die Reform des Rituals in dem kritisierten Ritualaspekt drängt;6 und 3) die Er­setzung oder Ergänzung der „als unzureichend empfunden rituellen Handlungen“ um „eine verinnerlichte und ethische Frömmigkeit“.7 Ob dies zur kompletten Abschaffung,8 Ersetzung9 oder möglicherweise zu einer besseren Bezugnahme und Integration von Ritual und innerer Haltung führt, hängt – wie bei sämtlichen Kritikformen – wesentlich davon ab, ob die Kritik als legitim wahrgenommen und aufgenommen wird oder ob von Anfang an Strategien vorhanden sind, mögliche Kritik zu vermeiden bzw. zu unterbinden.10

      Der letzteren Art der Kritik ist die Äußerung des Paulus zuzuordnen, dass nicht der ein Jude sei, der es äußerlich ist, sondern derjenige, der es innerlich sei (Röm 2,28f). Die argumentative Struktur der paulinischen Tauftexte lässt vermuten, dass sie teilweise als Ritualkritik des Apostels am Tauf-, aber eben auch Beschneidungsverständnis der Adressaten oder bestimmter Gegner des Paulus zu verstehen sind. Da weder Beschneidung noch Taufe als Ritual an sich zur Diskussion stehen, dürfte es sich entweder um Kritik an Einzelaspekten, z.B. dem Bedeutungsumfang und der Wirkung des Rituals oder aber am Fehlen einer inneren Entsprechung im Lebensalltag handeln. Die Auseinandersetzung um Taufe und Beschneidung, aber auch die Selbstaussagen Johannes des Täufers über seine Taufe und diejenige dessen, der nach ihm kommen wird, sind Beispiele für die besondere Art der Ritualkritik über einen Ritualvergleich.

      Am Ende dieser allgemeinen methodischen Einführung ist festzuhalten, dass der Untersuchungsgegenstand „Ritual“ ein komplexes und in der Forschung kontrovers diskutiertes Feld eröffnet. Dennoch konnten erste Kategorien und methodische Ansätze ausgemacht werden, mit Hilfe deren die christliche Taufe in ihrem Entstehungsstadium grundsätzlich einzuordnen und zu interretieren sein wird. Offen ist dabei bisher geblieben, welche Methodik dem Gegenstand und der Quellenlage am besten gerecht wird.

      2 Die Methodik der Arbeit

      2.0 Marginalisierung des Rituals in der Exegese?

      Obwohl sich in den biblischen Texten vielerlei Rituale in ganz unterschiedlichen Kontexten ausmachen lassen, blieb die Anzahl der Studien zu Ritualen oder gar dezidierte ritologische Untersuchungen in der Exegese lange Zeit überschaubar. Gorman sieht die Ursache allgemein für die Theologie in einem von der Aufklärung geprägten Bild einer „reasonable and rational religion“,1 welches zu einer regelrechten Abwertung von Ritualen beigetragen habe. In der Exegese erschwere die historisch-kritische Methode ein ritologisches Arbeiten zusätzlich durch „its efforts to be objective and reasonable“2, „its focus on texts“3, „its basic understanding of the nature of historical analysis and historical thinking“.4

      „Recognition of the distance between biblical texts and contemporary readers began to grow, and the ‚alien‘ nature of the texts, their ‚otherness,‘ was emphasized. It becomes common to separate the historical settings and cultural trappings of texts from their ‚true‘ meaning. The ‚meaning‘ of texts came to be located either ‚behind‘ or ‚above‘ them.“5 Gormans Meinung nach führe diese Suche nach “ewiger Wahrheit” zu einem Abtun von Ritualtexten, da diese als lokal, kulturell spezifisch und zeitgebunden keine universell gültigen Äußerungen von Religion wären und damit zur „Wahrheitssuche“ nichts beizutragen hätten.

      Beiden ist insofern zuzustimmen, als dass mangelndes und fehlgehendes Wissen um die Vielfalt, Wirkmacht sowie möglichen Funktionen ritualisierten Handelns zur Zurückhaltung gegenüber ritualfokussierten Untersuchungen beigetragen haben. Andererseits scheint die schwierige Quellenlage, wie etwa das fast vollständige