Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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Ritualfokussierte (klassische) Exegese

      Dafür, dass theologische Studien „have been slow to attend to nonverbal, nontextual phenomena“1 sieht Grimes den Hauptgrund in deren Textzentrierung. Ritualwissenschaften hingegen versteht er als „a movement away from the dominance of these verbally oriented conceptions of religion“.2 Dennoch stellen die neutestamentlichen Texte die Primär- und zugleich Hauptquellen für die christliche Taufe und ihre Entstehung dar und keine ritologische Arbeit kann an einer eingehenden Textexegese vorbei. Eine Berücksichtigung sowohl diachroner als auch synchroner Aspekte legt dabei nicht nur die spezifische Kontextualisierung und Argumentation mit und zur Taufe offen, sondern bildet in der Zusammenschau mehrerer Texte auch die unverzichtbare Grundlage für eine Erfassung in ihren rituellen Spezifika.

      2.2.2 Beschreibung nach vergleichbaren Ritualaspekten

      Die Vielfalt und Vielheit von Ritualen bedarf vor jeder Interpretation einer einheitlichen Analyse- und Darstellungsmethode. Grimes verspricht sich von einer so umfangreich wie möglichen Beschreibung folgende vier Aspekte: 1) „[to] enable ritual to speak most fully for itself“,1 2) „ [to] aid interpreters in discerning the continuities and discontinuities between their symbols and those of participants in a ritual“,2 3) „[to] generate helpful theories of ritual “3 und 4) „[to] precipitate a sense of the living quality of ritual in written accounts of them“.4

      Neben der umfangreichen Erfassung jedes einzelnen Rituals bildet eine einheitliche Beschreibung zugleich die Grundlage für eine Vergleichbarkeit und damit Verhältnisbestimmung von Ritualen unterschiedlichen Vollzuges und Bedeutung in Ritualeinzelaspekten.5 Will man die christliche Taufe in sämtlichen ihrer rituellen Relationen erfassen, bedarf es Beschreibungs- und Argumentationsmuster, welche neben der Taufe etwa auch auf die Beschneidung anwendbar sind.

      Grimes bietet dazu einen sehr breit angelegten Fragenkatalog, an Hand dessen Rituale nach fünf Aspekten, welche typisch und aussagekräftig für nahezu alle Rituale sind, analysiert und beschrieben werden können: Ritual Space, Ritual Objects, Ritual Time, Ritual Sound and Language, Ritual Identity, Ritual Action.6 Im Sinne von Grimes ist der Katalog nicht als Frage-Antwort-Quiz zu verwenden, sondern themen- und quellenbezogen zu erweitern und anzupassen.7 Für eine Beschreibung der christlichen Taufe auf der Grundlage der biblischen Quellen sowie für eine Erfassung sämtlicher mit der Taufe in Relation stehenden Rituale erweisen sich m.E. die folgenden sieben Ritualaspekte als aussagekräftig: 1) die Ritualbezeichnung, 2) der Ritualursprung, 3) der Ritualleiter, 4) die Ritualteilnehmer, 5) der Ritualort und die Ritualzeit, 6) der Ritualablauf und schließlich 7) die Ritualfunktion und –deutung. Sie seien in ihrem Umfang und den für die Taufe zu erwartenden Fragen kurz expliziert.

      2.2.2.1 Die Ritualbezeichnung

      Ritualbezeichnungen können sich auf sämtliche Ritualaspekte beziehen. Gelegentlich besteht der Name – vermutlich mit der Absicht einer erhöhten Differenzierungsmöglichkeit – auch aus einer Kombination mehrerer Merkmale des Rituals, wie etwa bei τὸ βάπτισμα Ἰωάννου.

      So finden sich Ritualbezeichnungen 1) nach dem Ritualvollzug bzw. einer Teilhandlung während des Rituals, was vermutlich die typischste Variante ist, ein Ritual zu benennen, z.B. die Beschneidung; 2) nach dem Gründungsereignis bzw. Ursprung des Rituals, welches ggf. zu dessen Erinnerung bzw. als dessen Vergegenwärtigung begangen wird, z.B. das Pessachfest oder auch die christliche Abendmahlsfeier; 3) nach der Funktion, Bedeutung oder auch Anlass des Rituals, z.B. das Erntedankfest; 4) nach einer göttlichen Identität, der zu ehren bzw. auf die hin das Ritual vollzogen wird, z.B. Isisweihe oder auch Jahwe-Feste; 5) nach einem Menschen, zu dessen Erinnerung das Ritual gefeiert wird, z.B. sämtliche Heiligenfeiertage; weniger häufig sind Ritualbezeichnungen nach dem Ritualleiter oder auch Ritualentwickler, wie z.B. bei Johannestaufe; 6) nach dem Ritualort, an dem das Ritual selbst oder auch sein Gründungsereignis stattgefunden hat, z.B. Tempelbaufest, und schließlich; 7) nach der Ritualzeit, zu der das Ritual stattfindet oder auf die es sich bezieht, z.B. das Neujahrsfest.

      Da demnach sämtliche Ritualaspekte Ausgangspunkt für eine Ritualbezeichnung werden können, ist demjenigen, auf den sie letztlich Bezug nimmt, in der Analyse besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Mit Blick auf die Übernahme und Weiterentwicklung von Ritualabläufen und -bedeutungen ist die Weiterführung, aber auch die Abänderung der Ritualbezeichnung ein besonderes Indiz, da sie z.B. ein Hinweis auf eine entsprechende Bedeutungsverschiebung unter Beibehaltung des Ritualablaufes sein kann.

      2.2.2.2 Der Ursprung des Rituals

      Der „Ursprung“ eines Rituals kann und soll im Folgenden unter zwei unterschiedlichen Aspekten verhandelt werden, welche zunächst nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, aber spätestens in der Interpretation des Rituals in eine Relation zu setzen sind:

      1) Der ritologische Ursprung – das Vorgängerritual: Zu erheben ist, in welcher Weise das untersuchte Ritual auf andere Rituale zurückgeht, worin die Abänderung oder auch die Weiterentwicklung besteht und ggf. was der Anlass dafür gewesen ist.1

      2) Der inhaltliche Ursprung bzw. Bezugspunkt – das Gründungsereignis: Ein Ereignis, an welches das Ritual erinnert, kann ein historisches Geschehen oder auch ein Mythos sein. Der zeitliche Abstand zwischen diesem Ereignis und dem ersten Vollzug des Rituals kann nur wenige Wochen (so vermutlich bei der ersten christlichen Abendmahlsfeier), ein Jahr (aus Anlass des 1. Jahrestages) oder auch wesentlich länger betragen.2 Unter Ritualursprung sind auch Ereignisse und Erzählungen zu rechnen, welche die Durchführung des Rituals in grundlegender Weise ermöglichen, wie z.B. das Schicksal der Göttin bei der Einweihung in die Isismysterien.

      2.2.2.3 Der Ritualleiter

      Die von Grimes gewählte Beschreibungskategorie „Ritual Identity“ trägt der Beobachtung Rechnung, dass ein Ritual wesentlich von den an ihm beteiligten Personen, der Verteilung verschiedener Rollen und Funktionen unter ihnen und den Voraussetzungen, unter denen man dazu Zugang gewinnt, lebt. Diese Interaktion der Beteiligten, gerade wenn sie während des Ritualverlaufes eine Veränderung durchmacht, hat nicht nur Bedeutung für den Zeitraum des Rituals, sondern kann auch über diesen hinaus wirken.1

      Dass bezüglich der christlichen Taufe grundsätzlich zwischen Ritualleiter und -teilnehmern differenziert werden soll, liegt einerseits darin begründet, dass die Taufe selbst klar zwischen diesen beiden Rollen unterscheidet und andererseits in der Wahrnehmung, dass Ritualleitern bei Initiationsritualen eine besondere, den Ritualteilnehmern gegenüber wirkmächtige Position einnehmen.2 Besonders zu beachten ist dabei das ggf. wechselnde Verhältnis von Aktivität und Passivität der verschiedenen Personen.

      2.2.2.4 Die Ritualteilnehmer

      Bezüglich der Ritualeilnehmer – in Abgrenzung zum Ritualleiter – ist zu fragen, ob es grundsätzliche Voraussetzungen für die Teilnahme am Ritual gibt und ob die z.B. in vorbereitenden Handlungen und Ritualen erbracht werden müssen oder möglicherweise von grundsätzlicher, nicht zu beeinflussender Natur sind. Ist das Ritual z.B. geschlechts- oder altersspefizisch? Führt dies zu einem beschränkten Zugang zum Ritual oder beispielsweise zu Differenzierungen im Ritualablauf? Ist das Ritual einzeln oder nur in Gruppen bzw. unter Zeugen durchführbar?1

      2.2.2.5 Der Ritualort und die Ritualzeit

      Die Raumdimension eines Rituals umfasst zum einen die Beschaffenheit und die Strukturierung des Ortes, an dem ein Ritual vollzogen wird: drinnen oder draußen, an einem zufälligen oder einem besonderen, möglicherweise symbolischen Ort mit Geschichte, ob dieser speziell dem Ritual vorbehalten ist oder auch profan genutzt wird. Zum anderen ist nach den Positionierungen und Bewegung(srichtung)en der Beteiligten zu fragen und inwiefern diese auf Ablauf und Bedeutung des Rituals einwirken.1

      Rituale können von Jahres- oder auch Tagesrhythmen bestimmt werden und dabei in alltägliche, aber auch besondere Zeiten fallen und diese ggf. (um)prägen. So kann der Vollzug