Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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sich außerdem auf Ereignisse in der Vergangenheit beziehen oder auch Zukünftiges erwarten und erbitten. Und gleichzeitig sind sie oft von einem „Zeit(ablauf)plan“ geprägt.2

      2.2.2.6 Der Ritualablauf

      Ein Ritual definiert und konstituiert sich über die vollzogene Handlung. Dieser kann – muss aber nicht – im Ganzen oder auch in Einzelaspekten eine symbolische Qualität eignen. Sie kann in der Handlung selbst oder aber darin begründet liegen, welcher Ritualteilnehmer in welcher Rolle die Handlung durchführt. In vielen, wenn auch nicht allen Ritualen, werden zur Durchführung Gegenstände benötigt, welche – ähnlich dem Ritualort – auf ihre Beschaffenheit, Funktion und ggf. sonstige Symbolik und Verwendung außerhalb des Rituals hin zu befragen sind.1

      Je ausdifferenzierter sich ein Ritual gestaltet, desto größere Bedeutung kommt der Abfolge und gegenseitigen Bezogenheit der Teilrituale zu.2 Eine Veränderung in der Reihenfolge oder auch das Weglassen einer Teilhandlung kann zu Verwirrung oder gar zum Misslingen des Rituals führen.3 Insofern kommt der Frage besonderes Gewicht zu, ob es nötig ist, die Ritualteilnehmer vorher über den Ablauf zu unterweisen oder ob sie diesen samt seiner Bedeutung vo­rausahnen bzw. verstehen und nachvollziehen können.

      2.2.2.7 Die Ritualfunktion und –deutung

      Mit Blick auf die christliche Taufe eignet sich eine Differenzierung in eine grundsätzliche Funktion, welches das Ritual für den Teilnehmer und die Gemeinschaft übernimmt sowie ausgeführte Deutungen und Bedeutungen dieser Grundfunktion. Erster Anhaltspunkt jeder Funktionsbestimmung sind die (Symbolik der) Handlung sowie ggf. im zeitlichen Umfeld des Rituals gegebene Erklärungen oder Deuteworte.1 Da viele der Ritualklassifikationen nach Ritualfunktionen unterteilen, können nach einer grundsätzlichen Bestimmung deren Beschreibungen und Interpretationen etwa von Initiationsritualen vergleichend herangezogen werden.2 Jedoch erschöpft sich die Ritualbedeutung längst nicht allein in der Zuschreibung einer Grundfunktion oder der Interpretation einer Deutungsmetapher, sondern kommt in jedem einzelnen der Ritualaspekte und deren besonderer Ausprägung im jeweiligen Ritual zum Tragen. Klingbeil spricht diesbezüglich von bis zu zehn Dimensionen, welche einem Ritual zu eigen sein und welche sämtliche Teilaspekte der Ritualbedeutung darstellen können.3

      2.2.2.8 Alternative Beschreibungskategorien

      Ähnlich den hier auf die neutestamentliche Taufe und ihrer Quellen abgestimmten Ritualaspekten wählt etwa auch Babcock in seiner Studie zu den Festkalendern1 und Al-Suadi in ihrer Untersuchung zu Mahlgemeinschaften2 Beschreibungskategorien, welche sich von dem jeweiligen Ritual her ableiten. Ganz andere, themenungebundene Vorschläge für Beschreibungsmerkmale finden sich etwa bei Klingbeil, welcher eine Orientierung an linguistischen Kategorien als sinnvoll erachtet,3 oder auch bei Theißen.4

      2.2.3 Ritualvergleich1

      Oben wurde bereits die These Klingbeils dargestellt, die Interpretation eines Ritualtextes gelinge am sichersten über einen Vergleich mit anderen, vorzugsweise schriftlichen Quellen zu Ritualen, welche ersterem entweder in ihrem historischen Kontext oder aber in ihrer Typologie ähneln.2

      Wenn auch ein vergleichender Ansatz im Grundsatz vielversprechend erscheint, so sind die von Klingbeil beschriebenen Prämissen dennoch in drei Punkten anzufragen: 1) Wenn ein historical comparison angestrengt werden soll, stellt sich die Frage, wie viele den christlichen Tauftexten vergleichbare Ritualtexte sich überhaupt finden ließen. 2) Mit Blick auf ein typological comparison ist fraglich, wie weit „the common religious conscience of humanity“3 reicht und wie aussagekräftig demnach ein entsprechender Vergleich sein kann, wenn Rituale – wie grundsätzlich bei Klingbeil – als „empty containers“ beschrieben werden. 3) Das Ritualverständnis Klingbeils lässt sich vielleicht vereinfacht auf die Formel bringen „Ritual = Handlungsablauf + dessen Deutung“, und demnach würden lediglich Rituale, welche der Taufe in ihrem Ablauf ähneln, als mögliches Vergleichsmaterial in Frage kommen.

      Gegen diese fehlgehenden Prämissen Klingbeils erscheint es mit Blick auf die christliche Taufe in den neutestamentlichen Texten jedoch zunächst sinnvoll, nicht einen einzelnen Tauftext mit einem anderen Ritualtext zu vergleichen, sondern auf der Grundlage mehrerer Texte das Ritual selbst zu einem anderen Ritual ins Verhältnis zu setzen. Sodann ist zu bedenken, dass die neutestamentlichen Tauftexte weder das Wasserritual im Allgemeinen, noch seinen Ablauf im Besonderen, in den Fokus stellen, sondern vielmehr eine bestimmte Funktion oder einen konkreten, anderen Ritualaspekt. Insofern liegen Rituale, welche der Taufe in diesen Punkten gleichen, als mögliche Vergleichsrituale mindestens ebenso nah wie andere Wasserrituale. Hebt beispielsweise ein Text nachdrücklich auf den initiativen Aspekt der Taufe ab, ist nicht zuerst die Johannestaufe als ähnliches Wasserritual, sondern sind andere Initiationsrituale vergleichend heranzuziehen.

      3 Aufbau und Fragestellung(en) der Arbeit

      3.1 Gegenstand und Ziel der Arbeit

      Die Untersuchung versteht sich als eine erste dezidiert ritologische Beschreibung der christlichen Taufe in ihrem Wesen als Ritual. Sie unterscheidet sich daher von den vielfältigen bisherigen neutestamentlichen Arbeiten zur christlichen Taufe sowohl in ihrem methodischen Vorgehen, welches ritualwissenschaftliche Methoden für die biblische Exegese adaptiert, als auch in ihrer Zielsetzung, die christliche Taufe erstmals in der Fülle ihrer neutestamentlich belegten Ritualaspekte zu beschreiben, zu analysieren und zu interpretieren.

      Die biblische Textgrundlage bilden dazu die paulinischen Tauftexte, welche als die ältesten Belege zwar bereits den Vollzug der Taufe voraussetzen, allerdings noch in die Entstehungsphase des Rituals zu rechnen sind. Dementsprechend richtet sich das Augenmerk der Untersuchung nicht allein auf Erhebung und Beschreibung der Taufe in der Zeit und in der Theologie des Paulus, sondern ebenso auf die dem vorangehenden und noch anhaltenden Entwicklungstendenzen bezüglich sämtlicher Ritualaspekte.

      3.2 Aufbau der Arbeit

      Der methodischen Einleitung folgen fünf inhaltliche Kapitel, wobei im Verlauf der Arbeit entsprechend der Entwicklung der Fragestellung die Quellenbasis ausgeweitet wird.

      Kapitel II „Begrifflichkeiten“ beinhaltet semantische sowie traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den wesentlichen griechischen Begriffen und Formulierungen, welche im Kontext der Taufe Verwendung finden: βάπτω und βαπτίζω sowie die sog. Tauf- bzw. Namensformel in den Varianten βαπτίζειν εἰς Χριστὸν und βαπτίζειν εἰς τὸ ὄνομα Χριστοῦ.

      Kapitel III „Die paulinischen Tauftexte“ untersucht eingehend die ältesten schriftlichen Zeugnisse zur christlichen Taufe und konzentriert sich dazu auf vier Haupttexte, welche in besonderer Weise die Taufe thematisieren bzw. problematisieren: Gal 3,23–29; 1Kor 1,10–17; 1Kor 12,12–20; Röm 6,1–11. Weitere paulinische Tauftexte werden in Exkursen kurz dargestellt.1

      Kapitel IV „Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche“ stellt zunächst die vorgängigen und neutestamentlich gegenwärtigen Vorstellungen zum Element Wasser und den damit verbunden Ritualen im jüdisch-christlichen Kontext dar. Sodann werden drei jüdische Rituale ausführlich dargestellt, welche entweder in ihrem Ritualablauf oder aber in ihrer Ritualfunktion und –deutung in einem direkten Verhältnis zur christlichen Taufe stehen: die Johannestaufe, die Beschneidung und das Proselytentauchbad. Die Ergebnispräsentation folgt dabei den oben bereits eingehend vorgestellten2 sieben Ritualaspekten. Schließlich werden vier der bedeutendsten Vertreter der sog. Täufersekten – die Gemeinschaft von Qumran, die Elchasaiten, die Mandäer sowie die Ebioniten – mit einem besonderen Fokus auf die von ihnen verwendeten Rituale untersucht. Auch wenn es sich dabei mehrheitlich um Phänomene handelt, welche nach der Etablierung der christlichen Taufe entstehen, bilden diese in ihrer Fokussierung auf Wasserrituale eine interessante Vergleichsfolie für die christliche Gemeinde, welche die Taufe als Initiationsritual vollzieht. Auf Grund der teilweise sehr beschränkten Quellenlage können die Wasserrituale dieser