Vera Nentwich

Tote Models nerven nur


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Tote Models nerven nur

      I

      Sie ist tot. Verdammt! Ich wollte mich entschuldigen, du blöde Kuh. Was mache ich jetzt nur? Die Polizei rufen wäre logisch. Aber ich zögere. Vor mir liegt die Leiche von Judith Schöller mit dem Kopf im Teich. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass das sportliche Starmodel mitten im Schwingbodenpark einen plötzlichen Herzinfarkt bekommen hat. Nein, die Zeichen deuten auf einen gewaltsamen Tod hin. Und wenn man die Menschen in Grefrath fragen würde, wer Judith am meisten hasst, dann würde wahrscheinlich nur ein Name fallen: meiner. Schließlich musste sie erst vor zwei Tagen wegen mir ins Krankenhaus gefahren werden. Das sieht nicht gut aus. Gar nicht gut.

      Es war vor der Bäckereifiliale am Deversdonk. Ich wollte mir eine Latte macchiato im Becher holen. Ich liebe es, mit so einem coolen Becher zur Kanzlei zu marschieren. Wenigstens für einen kurzen Moment habe ich dann das Gefühl, doch kein so langweiliges Leben zu führen. Da erschien Judith auf der Bildfläche. Wenn ich geahnt hätte, dass sie demnächst als Leiche vor mir liegen würde, hätte ich den Kaffeebecher sicher nicht nach ihr geworfen. Judith Schöller, das Supermodel aus Grefrath, das es in der großen weiten Welt zu etwas gebracht hat, in Begleitung eines erschreckend gutaussehenden Mannes, und ich, Sabine Hagen, die es nie aus der Gemeinde Grefrath hinausgeschafft hat. Als Judith vor mir stand, kamen wieder alle Erinnerungen aus unserer Jugendzeit hoch. Wie sie mir damals in den Rücken gefallen war. Sie, die ich doch für meine beste Freundin gehalten hatte. Als sie mich dann mit den Worten begrüßte »Da ist ja auch Biene, das Landei« konnte ich nicht anders. Ich musste etwas tun, und da ich gerade den Becher mit der noch dampfenden Latte macchiato in der Hand hielt, war es naheliegend, diesen nach ihr zu werfen. So flog er unaufhaltsam auf ihr makelloses Gesicht zu. Leider verfehlte der Becher mein eigentliches Ziel und traf nur ihren Oberkörper, der nun durch einen größer werdenden Kaffeefleck wenigstens etwas von seiner Perfektion einbüßte.

      »Bist du wahnsinnig, du blöde Gans? Das Shirt ist von Armani! Ich werde dir zeigen …« Judith machte einen Schritt auf mich zu und ließ mich in Abwehrhaltung gehen. Doch ihr charmanter Begleiter hielt sie im letzten Moment fest.

       »Sie hat es bestimmt nicht so gemeint.« Eigentlich sagte er »Ssie hatt esss besstimmt nikt sso gemeint.« Sein spanischer Akzent war unüberhörbar und richtig süß. Hatte etwas von einem jungen Antonio Banderas in Zorro.

       »Doch, sie hat das so gemeint«, stellte ich fest und versuchte meiner Stimme einen gelassenen Unterton zu geben.

       »Lass mich los!«, keifte Judith ihren Lover, oder was immer er war, an.

       »Ja, lass sie ruhig los.« Ich winkte ihr zu, so wie es Tom Cruise in den Actionfilmen tut, wenn er sich sicher ist, dem Gegner gleich den Todesstoß verpassen zu können. Lässig zückte ich dabei mein Handy. Das gab ein erstklassiges Foto für meinen Blog. Grefraths Starmodel, wie es die Contenance verliert. Dafür sollte ich mindestens den Pulitzer-Preis bekommen. Aber der süße Spanier hinderte sie mit aller Kraft daran. Ich machte erst mal ein Foto von ihm. »Bitte kein Foto«, flehte er und hielt sich die freie Hand vor das Gesicht. Doch die verbliebene Hand reichte nicht aus, um Judith festzuhalten. Sie riss sich von ihm los und stürzte sich auf mich. Ich konnte einige Male auf den Auslöser drücken, bis das Starmodel zum Würgegriff ansetzte. Meine Hände waren damit beschäftigt, das Handy nicht zu verlieren. Aber die Beine waren frei. Eines nutzte ich, um ihr einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein zu verpassen. Sie jaulte auf und der Würgegriff löste sich etwas. Es gelang mir, mich zu befreien und heftig nach Luft zu schnappen. Die Verschnaufpause dauerte aber nur einige Sekunden, denn Judith setzte zum erneuten Angriff an. Ihre Augen funkelten so wütend, dass ich jeden Moment mit einem Laserstrahl rechnete, der mir die Birne zum Schmelzen bringen würde. Glücklicherweise erwachte der Spanier aus seiner Schockstarre und versuchte nun wieder, Judith von einem Mord abzuhalten. Sie kreischte in einem Ton, der alles Glas im Umkreis zum Zerplatzen bringen müsste, es aber zu meiner großen Überraschung nicht tat.

      Da ist sie im wahrsten Sinne des Wortes noch quietschlebendig gewesen.

      Ich sehe noch die Menschenmenge, die sich um uns versammelt hatte. Mann, was haben wir denen eine Show geliefert, nicht wahr Judith? In Grefrath passiert schließlich nicht so viel und mit unserer daraufhin folgenden Prügelei kann man die Gespräche für mindestens eine Woche interessant gestalten. Ich hatte mein Handy in die Hosentasche gesteckt und war abwehrbereit. Judiths Sprung konnte ich nach rechts lenken, so dass sie meinen Hals nicht zu fassen bekam. Ich erreichte dafür wenigstens ihre Taille und griff zu. Wir fielen. Einer der Stühle flog zur Seite und die Menschenmenge jauchzte auf. Wir rollten hin und her. Gerade war dummerweise Judith über mir. Ihr schönes Armani-Shirt war nun nicht mehr nur durch einen großen Kaffeefleck veredelt, sondern hatte auch durch einen Riss von unten links in die Mitte einen extravaganten Touch bekommen. Sie sah das aber anders. Statt sich darüber zu freuen, dass sie durch mich als Modeikone in die Geschichte eingehen könnte, versuchte sie mich zu würgen. Ich bin nicht sonderlich gelenkig, daher verlangte mir die Abwehrbewegung alles ab. So schwungvoll ich nur konnte, versuchte ich meine Beine und den Po nach oben zu schleudern. Okay, es wirkte nicht so recht wie ein Schleudern. Bei den vermaledeiten Bauch-Beine-Po-Übungen versage ich immer jämmerlich. Aber auch wenn es kein wirkliches Schleudern wurde, so genügte die Bewegung dennoch, Judith etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nun nur noch eine beherzte Seitwärtsbewegung. Es klappte. Judith löste sich von meinem Hals und fiel zur Seite. Es gab ein dumpfes Klong. Dann war Stille. Mühsam befreite ich mich von Judiths Extremitäten, die auf mir lagen. Sie wehrte sich nicht. Stattdessen lag sie reglos vor mir. Genau wie jetzt auch.

      »Du hast sie umgebracht«, stöhnte der süße Spanier auf und kniete sich zu ihr. Sein Blick sah mich mit einer Mischung aus Empörung und etwas an, das ich nicht einordnen konnte. Verdammt, ein Katzenbaby hätte in diesem Moment keine tieferen Gefühle in mir auslösen können.

       »Hab ich gar nicht«, stellte ich trotzig fest. Und um dies zu beweisen, rüttele ich kräftig am leblos daliegenden Körper des Starmodels. Er bewegte sich tatsächlich nicht.

      Ich erinnere mich, wie ich kurz befürchtete, sie wirklich umgebracht zu haben. War das eine Art Prophezeiung?

      Ich versuchte aufzustehen. Die Menschen starrten mich an. Der Spanier kniete neben meiner Rivalin und legte sein Ohr an die Stelle, wo bei anderen Menschen das Herz ist. Ich bezweifelte, dass dort auch bei Judith etwas Menschliches zu hören war. Ich wurde eines Besseren belehrt, denn er rief erleichtert aus: »Sie lebt!«

      Vor zwei Tagen habe ich noch mal Glück gehabt und sie nicht umgebracht. Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht: Ich neige nicht zur Mörderin. Ich habe sie auch jetzt nicht umgebracht. Ehrlich. Wenn eine Fliege in meinem Schlafzimmer nervt, reiße ich bei kältesten Temperaturen alle Fenster und Türen auf, bis sie mein Zimmer freiwillig verlassen hat. Nie käme ich auf die Idee, sie zu töten. Ich bin wirklich friedliebend. Na gut, ich hasse Judith. Ich habe sie gehasst. Aber umbringen? Nein, das kann niemand ernsthaft glauben.

      Aber der feurige Spanier, der sich so herzzerreißend um Judith kümmerte, kannte mich nicht und hatte nun einen denkbar schlechten ersten Eindruck von mir bekommen. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Aber schließlich hatte Judith auch die Nachricht erreicht, dass sie noch lebte, denn sie bewegte sich. Und sie stöhnte.

       »Bleib liegen Schatz«, forderte der Spanier sie auf. Schatz? Ich muss jetzt noch den Kopf schütteln, wenn ich daran zurückdenke. Dann zog er zu allem Überfluss auch noch sein schickes Jackett aus, knubbelte es zusammen und legte es ihr unter den Kopf. Dadurch kam ich wenigstens in den Genuss, seinen makellosen Oberkörper genauer in Augenschein nehmen zu können. Ich wollte unbedingt noch ein Foto machen. Als ich mein Handy wieder aus der Hosentasche holte, schimpfte der Spanier los. Er war wirklich wütend, denn er verfiel in seine Muttersprache. Ich verstand kein Wort, aber wütend war er definitiv. Das merkte ich daran, dass er aufsprang und versuchte, mir das Handy zu entreißen. Ich konnte aber noch ein paar Mal auf den Auslöser drücken. Gerade als er mich fast erreichte, kam Bewegung in die Menschenmenge. Sie gab einen Gang frei und hindurch kamen zwei Polizisten.

      »Was ist denn hier los?« Jochen stand da in seiner blauen Uniform und an seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er versuchte, das Bild, das sich ihm bot, zu analysieren. Dann erblickte er mich. Ich muss dazu sagen, dass Jochen und ich eine wechselvolle Geschichte haben. Wir kennen uns von Kindheitstagen an. Er ist immer da, wenn ich ihn brauche.