Vera Nentwich

Tote Models nerven nur


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und ich steckte es schnell wieder in die Hosentasche.

       »Tja, wie soll ich das sagen«, stammelte ich. Ja, wie sollte ich das sagen, damit ich nicht allzu schlecht dastand? Es fiel mir erschreckend schwer. Nun hatte Jochen die vor mir liegende Judith entdeckt.

       »Was hast du getan?«, fragte er mich. Noch bevor ich die Empörung über diese Unterstellung äußern konnte, beugte er sich zu ihr.

       »Judith? Kannst du sprechen?« Judith nickte und öffnete den Mund. Ich konnte nicht hören, was sie sagte. Sie zeigte aber mit einem Finger sehr energisch in meine Richtung.

       »Der Krankenwagen ist gleich da«, sagte Jochen und drehte sich dann zu mir.

       »Komm mal mit!« Er packte mich an der Schulter und schob mich durch die Menschenmenge.

      »Was hast du verdammt nochmal getan?« Jochen schaute mich mit einem Blick an, den ich nicht so recht deuten konnte. Wir hatten gerade wieder eine Getrennt-Phase in unserer wechselvollen gemeinsamen Geschichte. Und wie immer hatte ich Schluss gemacht. Eine Tatsache, die Jochen sich jedes Mal schwer zu Herzen nahm. Ich sollte also alle seine Blicke kennen, aber den konnte ich nicht einordnen.

       »Was ist los mit dir? Du bringst dich in Teufels Küche!«

       Immerhin schien er sich aber noch Sorgen um mich zu machen.

       »Wieso schimpfst du mit mir? Die blöde Zicke hat mich beleidigt und gewürgt. Schau hier.« Ich zeigte ihm meinen Hals in der Hoffnung, er würde noch Würgemale erkennen können.

       »Da ist nichts.«

       »Sie hat mich aber gewürgt. Ich konnte mich nur knapp befreien.«

       »Und dann versuchst du, sie umzubringen?«

       »Also das ist jetzt echt übertrieben. Sie ist auf mich losgegangen und ich habe mich nur gewehrt. Dabei ist sie gegen irgendwas geknallt. Das war wirklich nicht meine Schuld.«

       »Ja, ja, es ist ja nie deine Schuld. Jeder weiß doch, dass du Judith zutiefst hasst und ihr die Pest an den Hals wünschst. Was soll ich denn da denken, wenn ich hier ankomme und du stehst über der leblosen Judith?«

       »Jetzt hör aber mal auf. Du denkst doch nicht wirklich, dass ich ihr etwas antun würde?«

       »Wieso nicht? Hast du doch oft genug angedroht.«

       »Das, das war wirklich nur Spaß«, murmelte ich, und wenn ich Pinocchio gewesen wäre, hätte meine Nase auf einen Meter anwachsen müssen. Nicht auszudenken, was er sagen würde, wenn er mich jetzt hier neben der Leiche stehen sehen würde.

      Jeder in Grefrath weiß, dass Judith und ich in einem immerwährenden Streit verbunden sind. Ich hasse diese blöde Zimtzicke, seit sie überall rumerzählt hat, mein Vater sei an dem Unfall schuld gewesen, bei dem meine Eltern und das Ehepaar Wolters ums Leben gekommen sind. Wie konnte sie das tun? Schließlich war sie damals meine beste Freundin gewesen. Aber seitdem ist sie für mich gestorben und unser ewiger Streit begann. Wäre sie doch in Mailand geblieben, oder wo sie sonst gerade so jetsetete. Aber ich beteuere noch einmal, Mord gehört nicht zu meinem Repertoire. Ich muss allerdings zugeben, dass es vorgestern von außen betrachtet anders ausgesehen haben musste.

      »Wenn sie dich anzeigt, Biene, dann kriegst du richtig Ärger. Körperverletzung ist kein Pappenstiel.« Jochen ist die Korrektheit in Person. Welch eine Herausforderung muss ich für ihn sein?

       »Soll sie ruhig. Dann zeige ich sie auch an. Schließlich hat sie mich beleidigt. Es gibt lauter Zeugen.«

       »Ach Biene.« Jochen seufzte. Wie meinte er das? Er musste doch nicht wegen mir seufzen. Ich wollte gerade etwas sagen, als der Krankenwagen eintraf und die Sanitäter zu Judith stürmten.

       »Wir reden später«, sagte Jochen und wendete sich ebenfalls dem Geschehen zu.

      Die Sanitäter packten Judith auf eine Trage, während diese theatralisch litt und laut aufstöhnte. Ich hatte große Lust, ihr noch einen Schlag zu verpassen, damit sie wirklich etwas zu leiden hatte. Blöde Kuh. Jochen sprach kurz mit ihr, dann kam er wieder auf mich zu.

       »Wie es scheint, hast du Glück. Sie wird keine Anzeige erstatten, wenn du dich bei ihr entschuldigst.«

       Ich starrte ihn an. Er schien das ernst zu meinen.

       »Ich mich entschuldigen? Niemals!«

       »Biene, sei vernünftig. Wenn sie dich anzeigt, kriegst du richtig Ärger.«

       »Wir müssen los.« Ein Sanitäter winkte Jochen zu. Der winkte zurück, die Sanitäter stiegen in den Krankenwagen und fuhren los.

       Anscheinend hatte ich noch mal Glück gehabt. Vorerst. Es sollte ja schlimmer kommen, aber das ahnte ich da noch nicht.

      Der Spanier stand etwas bedröppelt da und schien mit sich zu ringen, was er nun tun sollte. Ich hätte ihm einen Tipp geben können. »Vergiss die blöde Zicke«, hätte ich ihm geraten. Aber ich war mir recht sicher, dass er dies in diesem Moment nicht hören mochte. Er sprach mit Jochen und stieg dann in seinen edlen Sportwagen. Hatte nicht James Bond das gleiche Model? Der Motor startete und mit einem leisen Blubbern setzte sich das Traumauto in Bewegung Richtung Krankenhaus in Kempen.

      Die Schaulustigen gingen wieder ihres Weges. Einige setzten sich zurück an die Tische in der Bäckerei und begannen, das Geschehene genauer zu erörtern. Andere wendeten sich wieder ihren Besorgungen zu. Ein normaler Dienstagmorgen am Deversdonk. Ich hätte auch längst in der Kanzlei sitzen sollen. Aber was sollte aus einem Tag werden, wenn man seine erste Latte macchiato jemanden an den Kopf schmeißen musste? Da konnte nichts Gutes mehr kommen. Ich kämpfte mit dem Bedürfnis, gleich wieder nach Hause zu gehen und mich ins Bett zu legen. Hätte ich vielleicht tun sollen, doch dann fielen mir die Fotos ein.

      »Machst du mir eine neue Latte?« Auch Michaela war wieder an ihren Platz hinter der Theke der Bäckereifiliale zurückgekehrt.

       »Wem willst du sie denn jetzt an den Kopf schmeißen?« Sie grinste.

       »Pass auf, dass es dich nicht erwischt.«

       »Das würdest du glatt fertigbringen.« Wir mussten beide lachen. Micha ließ die Espressomaschine aufgurgeln.

       »Was macht Judith überhaupt wieder hier in Grefrath?« Man hätte mich ruhig mal vorwarnen können. Micha stellte mir den Kaffeebecher hin.

       »Hast du es nicht gehört?«

       »Was nicht gehört? Ich beschäftigte mich eher wenig mit dem Tratsch um sie. Eigentlich versuche ich, sie zu ignorieren.«

       »Na, es heißt doch, dass sie ihren Verlobten den Eltern vorstellen will.«

       »Du meinst, der Spanier ist ihr Verlobter?«

       »Na klar, was denkst du denn? Soll mächtig Kohle haben. Ist übrigens kein Spanier, sondern Argentinier. Sein Vater ist ein hohes Tier dort und Sohnemann verprasst das Geld im hiesigen Jetset.«

       »Woher weißt du das alles?«

       »Ich war gestern beim Friseur. Steht alles in der Regenbogenpresse.«

       Ich legte das Geld auf die Theke und griff den Kaffeebecher.

       »Dann werde ich der Regenbogenpresse mal neues Material liefern.« Ich hatte zwar gerade keinen Spiegel, aber ich war mir sicher, dass mein Grinsen diabolisch war. Zumindest fühlte es sich so an. Ein richtig gutes Gefühl.

       »Wie meinst du das?« Micha schien meinen Blick ähnlich zu interpretieren und wirkte besorgt.

       »Na ja, mein Blog lechzt nach neuen Artikeln und ich habe ein paar richtig gute Fotos gemacht.« Micha schüttelte den Kopf.

       »Ach Biene«, seufzte sie. Warum seufzten nur alle?

      II

      Mein Chef war nicht da. Dienstags war er sonst meistens im Büro. Heute hatte er allerdings einen unheimlich wichtigen Termin, wie er angekündigt hatte. Wahrscheinlich war er nur auf dem Golfplatz und machte einen auf dicke Hose. Manfred Schmitz, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, stand auf dem hochnäsigen Bronzeschild rechts neben der Tür. Dabei ist die einzige Wirtschaft, die er prüft, die Stammkneipe seiner Jagdkumpanen beim »Ansitzen«. Aber mir war