ziemlich direkten) Fragen gegeben haben, die ich mir zu den verschiedensten Lebens- und Beziehungsthemen ausgedacht habe. Ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, was auf mich zukommt, denn ich schreibe diese Vorbemerkungen, ohne dass ich die Antworten auf die anonyme Umfrage kenne, die ich in Auftrag gegeben habe. Lassen wir uns also gemeinsam überraschen. Immerhin werde ich mehr als 3500 Gedanken mitgeteilt bekommen, die wie ein Schatz sind, den ich heben darf.
Eine solche Umfrage zu starten, birgt einige Risiken. Sie muss anonym sein, und damit meine ich absolut anonym. Die Liebste oder der Liebste darf einem nicht über die Schulter blicken, wenn man Fragen beantworten muss wie Was ist Ihnen an ihr oder ihm richtig peinlich? Voraussetzung ist also, dass man allein ist, wenn man sein Inneres freigibt. In jedem Fall ist es erheblich leichter, einem Computer intime Dinge anzuvertrauen als einem Menschen, dem man dabei in die Augen schauen muss. Egal, wieviel Vertraulichkeit einem zugesichert wird, selbst einem neutralen Interviewer gegenüber würden immer noch einige der geheimen Gedanken auch geheim bleiben.
Ich habe mich dafür entschieden, eines der bekannten Umfrageinstitute einzubinden, damit diese Neutralität gewährleistet ist. Außerdem konnte ich mich dadurch auf einige Vorgaben verlassen, damit die Authentizität gewahrt blieb. Hierzu gehören der Beziehungsstatus, also ist die befragte Person verheiratet oder lebt sie in einer Beziehung (Singles blieben außen vor, denn schließlich geht es in der Mehrzahl der Fragestellungen um Partnerthemen), das Alter und das Geschlecht sowie die Region, aus der die- oder derjenige stammt. Da man aus diesen Angaben wahrlich keine Rückschlüsse auf eine bestimmte Person ziehen kann, sollten die Antworten offen genug ausgefallen sein.
Das Thema an sich hat mich monatelang beschäftigt. Welche Gedanken gehen eigentlich jeden Tag durch meinen Kopf? Welche davon lasse ich raus und welche bleiben besser drin? Ich bin mir sicher, dass Sie in diesem Moment genau das Gleiche denken. Wieviel von dem, was wir tagtäglich denken, kann man, darf man oder sollte man überhaupt preisgeben? Sagen Sie ihm: Du hast Mundgeruch! oder halten Sie durch und warten, bis er Zähne geputzt hat? Sagen Sie ihr: In diesem Schlabberpulli siehst du aus wie eine Schlampe! oder verkneifen Sie sich das?
Nun sollen wir alle die Wahrheit sagen. Das bläut man uns als Kind immer wieder ein. Doch schon als Kind merkt man, dass das nicht immer gilt. Da saß ich einmal mit meiner dreijährigen Tochter in der U-Bahn und uns gegenüber saß ein recht beleibter Mann. Da schoss es aus meinem Kind heraus: „Du, Papa, der Mann ist aber fett!“ Mit hochrotem Kopf erklärte ich meiner Tochter, dass man das nicht sagt. „Stimmt doch aber!“, beharrte sie. „Na ja“, flüsterte ich ihr zu, „man sagt nicht fett.“ „Dann ist der Mann eben dick!“, krähte sie, und ich beeilte mich, mit ihr aus der Bahn zu verschwinden.
Hätte ich ihr sagen sollen, dass ein bisschen lügen bisweilen besser ist als die Wahrheit kundzutun? Na ja, ich habe ihr halt erklärt, dass es Gelegenheiten gibt, da sollte man die Wahrheit nur sehr leise von sich geben. Oder ganz verschweigen. Das wiederum lernen wir alle im Laufe unseres Lebens von ganz allein.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie sitzen bei einem wichtigen Vorstellungsgespräch. Ihr vielleicht zukünftiger Chef hinterfragt gerade wohlwollend Ihre Qualifikation. Da bemerken Sie, dass dem Mann ein Popel aus der Nase hängt. Würden Sie in diesem, vielleicht für Ihre Zukunft entscheidenden Moment zu ihm sagen: „Entschuldigen Sie, aber da hängt ein Popel aus Ihrer Nase!“?
Zu Hause wird man da schon ehrlicher. Je länger eine Beziehung dauert, desto wahrhaftiger wird sie. Wie sagen die Berliner doch so schön: Wandert ein frisch verliebtes Paar über einen steinigen Feldweg. Sagt der junge Galan: „Liebste, da kommen Steinchen, heb die Beinchen!“ Nach 10 Jahren Ehe derselbe Spaziergang, derselbe Weg. Sagt er: „Achtung, Kleine, heb die Beine, da kommen Steine!“ Nach zwanzig Jahren Ehe: „Ey, Olle, heb die Botten, da kommen Klamotten!“
Zugegebenermaßen ein etwas deftiger Vergleich, außerdem geht es hierbei um das Verhalten untereinander, aber das Gedankengut ändert sich in ähnlicher Weise. Im Stadium der Verliebtheit sieht man die Dinge, die einen eigentlich stören müssten, sehr wohl, man nimmt sie aber nicht wahr. Nach einiger Zeit jedoch werden manche Verhaltensweisen des Partners oder der Partnerin zunehmend … sagen wir … störend. Das leise wohlige Schnaufen wird nach einigen Jahren zum nervtötenden Schnarchen, das Aufräumen zum Putzfimmel, die 20 Tiegelchen auf der Ablage oder die Barthaare im Waschbecken zum kriegsauslösenden Moment. Jahrelang denken wir: Das muss doch nicht sein, dann folgt: Könntest du bitte die Haare aus dem Waschbecken spülen? Und in der Endphase heißt es: Hab ich dir nicht schon hundertmal gesagt, dass du deine Barthaare wegmachen sollst?!
Diese Art von Gedanken bleibt nicht für immer verborgen. Irgendwann brechen sie aus, verlassen manchmal unseren Mund, ohne dass wir es wollen und richten eine Menge Unheil an. Solch ein Ausbruch kann natürlich auch angenehme Folgen haben, nämlich dann, wenn wir froh sind, den Kerl oder die Tante endlich los zu sein.
Schweigen oder lügen? Die Wahrheit sagen oder verbergen, verbiegen, ausblenden oder umgehen? Die Antworten hierauf sind vielfältig und situationsabhängig. Eine Regel für das Reden oder das Schweigen lässt sich nicht aufstellen. Manchmal ist es besser, man hält die Klappe, manchmal sollte man sie besser aufmachen.
Doch mit seinen Gedanken allein klarzukommen, ist nicht jedermanns Sache. Man braucht ein Ventil. Kann man etwas weder seinem Partner noch dem besten Freund anvertrauen, schreibt man es sich vielleicht in einem Tagebuch von der Seele. Als Kind hat beinahe jeder von uns ein solches geführt und dabei mehr oder weniger lange durchgehalten. Wenn wir es heute auf dem Dachboden wiederfinden, amüsieren wir uns meistens, welchen Weltschmerz das arme Buch damals aushalten musste oder was für Kleinigkeiten doch in der Kindheit von so enormer Wichtigkeit waren, dass niemand davon erfahren durfte.
Die Tagebücher sind oft mit einem winzigen Schloss gesichert, das ein Kanarienvogel aufbekommen würde. Also … würde ich heute ein Tagebuch führen, dann müsste ich eines kaufen, das man nicht einmal mit Plastiksprengstoff aufkriegen könnte. Da es so eines nicht gibt, lasse ich das mit dem Tagebuchschreiben lieber.
Was ich als Kind hineingeschrieben habe, das betraf eher die ungerechten Dinge des Lebens als die schönen. Immer, wenn ich stinksauer war, schrieb ich es nieder. Wenn meine Mutter dachte, dass ich was angestellt hätte, es aber gar nicht war. Oder wenn ich doch was angestellt hatte, was Mutter nicht erfahren durfte. Na gut, da gäbe es heute auch ein paar Sachen, die ich reinschreiben könnte … aber meine Frau ist stärker als Plastiksprengstoff.
Traut man der Schriftform nicht, kann man sich an den einzigen Menschen wenden, der garantiert die Klappe hält. Denn tut er das nicht, landet er in der Hölle. Sie müssen allerdings katholisch sein, wenn Sie diesen Mann (geht leider nur mit einem Mann) aufsuchen, denn es handelt sich um einen Priester. Sie können also zur Beichte gehen, um das, was Sie getan oder auch nur gedacht haben, aber nicht hätten denken dürfen, bei jemandem loszuwerden. Das geht allerdings nur mit schlechten Taten oder Gedanken, also nach katholischem Denken sündhaften. Wenn Sie also denken, dass Sie Ihre Frau oder Ihren Mann am liebsten umtauschen würden, dann können Sie dies entweder tun oder Sie gehen zu einem Priester, lassen sich die Beichte abnehmen, erhalten Absolution und eine kleine Buße, meinetwegen müssen Sie 10 Ave Maria beten, und dann ist Ihnen die kleine Sünde vergeben. Ja, ich weiß, funktioniert nur so lange, bis Sie nach Hause kommen.
Gott sei Dank habe ich einen Freund, dem ich alles sagen kann. Alles. Wirklich. Und das Beste ist, dass ich keine 10 Ave Maria beten muss. Da ich dieses Buch weder mit einem Schloss noch mit Plastiksprengstoff sichern kann, werde ich den Teufel tun und hier meine geheimen Gedanken offenbaren. Sie können mir ja mal einen anonymen Fragebogen schicken …
Als ich an einem bierseligen Abend mit diesem Freund namens Thomas Dannenberg (lassen Sie mich Danny sagen, denn anders nenne ich ihn nicht) zusammensaß, erklärte er mir die Grundlagen der Psychoanalyse, jedenfalls so wie Sigmund Freud sie sah. Sie und ich, wir bestehen aus drei Typen. Hatte ich ja zu Beginn dieser Vorbemerkungen schon erwähnt. Diese drei Typen nennt Freud das Ich, das Es und das Über-Ich. Von denen haben Sie vermutlich schon einmal gehört. Das Ich ist der vernünftige Kerl, das Es will immer einen draufmachen und Blödsinn veranstalten, und das Über-Ich ist der Spielverderber, der