Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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froh sein, daß du solch eine gute Mutti hast.«

      »Aber das Zwilling hätte sie sich nicht schicken lassen sollen.«

      »Das Zwilling wird dir noch viel Freude machen. Es ist ein hübsches Spielzeug für dich, viel besser als der Hektor und die Mieze.«

      »O nein, die Mieze ist mir lieber!«

      Schließlich durfte Bärbel wieder das Bett verlassen und die Mutter besuchen. Sie hatte zunächst nur einen verächtlichen Blick für die Zwillinge, die wieder schliefen, aber um so zärtlicher wurde die Mutter begrüßt.

      »Hättest du nur das Zwilling umgetauscht, Mutti, dann brauchte der Onkel Provisor nicht immer zu dir zu kommen.«

      Das größte Interesse erregte es bei Bärbel, als die Zwillinge ins Bad mußten. Sie wollte durchaus feststellen, ob der Preis noch hinten zu lesen war. Und als nun Martin in der Wanne lag und von der Großmama gebadet wurde, verlangte Bärbel, daß man den Bengel mal umdrehe.

      »Warum denn, Goldköpfchen?«

      »Bärbel möchte wissen, was er gekostet hat.«

      Sie mußte eine Erklärung abgeben, und schließlich tat ihr die Großmama den Willen und zeigte ihr das kleine Hinterteilchen.

      Bärbel nickte. »Das habe ich mir ja gedacht, – der andere kostet was, und das Zwilling hier kriegten wir zu.«

      Höchst interessant war ihr auch das Einbündeln der beiden Säuglinge. Für alles wollte Bärbel eine Erklärung haben. Sie fand es viel netter, wenn die Babies mit den Beinen strampelten, und bestaunte die kleinen Hände und Füße; aber sie begriff sehr wohl, daß man die kleinen Schreihälse gut einpacken mußte, damit sie nicht auch Schnupfen oder Husten bekämen. Freilich konnte das kleine Mädchen recht böse werden, wenn beide zur gleichen Zeit losschrien. Dann schaute es besorgt nach der Mutti hinüber und schalt die Babies nach Leibeskräften aus. Aber das nützte gar nichts.

      »Gib ihnen doch einen Bonbon, Großmama, dann sind sie still«, riet sie, »oder hole den Hektor, damit er mit ihnen spielt.«

      Ganz allmählich fühlte sie sich aber doch von den beiden Brüderchen angezogen. Sie weilte oft im Schlafzimmer der Mutter, und als Frau Lindberg eines Nachmittags Bärbel aufforderte, mit ihr einen Spaziergang zu machen, erklärte das Kind energisch:

      »Geh nur allein, Großmama, ich bleibe lieber bei mir.«

      Aber sie mußte doch mitgehen. Es bereitete ihr schließlich Freude, denn die Großmama wußte soviel hübsche Dinge zu erzählen. Aufmerksam lauschte Goldköpfchen. Sie hatte dann tausend Fragen zu stellen, denn die erwachte Natur interessierte sie sehr. Immer wieder erhielt sie die Antwort, daß der liebe Gott die Bäume in jedem Jahr wieder grün werden ließe, und daß er der Schöpfer all dieser Pracht sei.

      »Macht das wirklich alles der liebe Gott?«

      »Ja, Bärbel.«

      Da kamen die beiden an einem Neubau vorüber, an dem eifrig gearbeitet wurde. Das Kind blieb stehen.

      »Macht der liebe Gott alles, Großmama?«

      »Ja, Goldköpfchen, das habe ich dir bereits gesagt.«

      Die blauen Augen glühten fast entrüstet auf. »Großmama, die Männer machen doch das Haus und nicht der liebe Gott!«

      Wieder erfolgte eine lange, schwierige Erklärung, die Bärbel aber nicht einleuchten wollte. Und als nun gar in einem Garten Blumen gepflanzt wurden, sagte das Kind mit einem tiefen Seufzer:

      »Das sind wohl alles Hausdiener vom lieben Gott, Großmama, denn allein kann er das alles doch nicht machen.«

      An einer Straßenecke stand eine alte Frau, die einen Kasten mit Schuhbändern und Streichhölzern umgehängt hatte, sehr kümmerlich aussah und die Vorübergehenden zaghaft um eine kleine Spende bat. Frau Lindberg blieb stehen, schenkte der armen Frau ein Geldstück und ging mit Bärbel weiter.

      Auch diese kleine Episode sollte an Goldköpfchen nicht eindruckslos vorübergehen. Sie sprach zu dem Kinde von der Not der Jetztzeit und daß man an armen Leuten, die sich kümmerlich ihr Brot verdienten, nicht interesselos vorübergehen dürfe.

      »Die Menschen sind da, um zu helfen, und wenn einer darbt und hungert, muß man ihm etwas geben.«

      »Dann können sie alles haben, was mir nicht schmeckt«, meinte Bärbel begeistert.

      »Das ist nicht das Richtige, Goldköpfchen, man muß auch mitunter etwas fortgehen, was man gern hat, von dem man sich nicht so leicht trennt. Da ist manch eine Frau, manch ein Mann, die allein im Leben stehen, keine Freunde und keine Geschwister und keine Eltern haben. So etwas ist sehr, sehr traurig.«

      »Weißt du so einen, Großmama?«

      »Freilich, bei mir daheim, in Dresden, ist ein altes Fräulein, das wohnt allein.«

      »Ich hab’s«, sagte das Kind strahlend. »Wir gehen setzt rasch heim und schenken ihr das Zwilling.«

      »Aber mein Kind, das sind doch deine Brüderchen.«

      Erstaunt schaute die Kleine die Großmutter an. »Du hast doch gesagt, man soll etwas schenken, was einem ganz lieb ist?«

      Da sah Frau Lindberg ein, daß es nicht so einfach war, einem vierjährigen Mädchen klarzumachen, was man unter Hilfsbereitschaft zu verstehen hatte. Sie wußte wohl, daß Bärbel ein goldenes Herz hatte, und daher hieß es doppelt vorsichtig sein, um die Kleine nicht zu einer unüberlegten Handlung anzuregen.

      Goldköpfchen will helfen

      Bärbel stand schon ein ganzes Weilchen regungslos, fest an den Türpfosten gedrückt. Irgendein Gefühl, das dem Kinde bisher unbekannt gewesen war, beherrschte es. Am liebsten hätte Bärbel geweint, aber es wagte nicht, den Tränen freien Lauf zu lassen; das Kind ängstigte sich vor etwas Unbekanntem, und die kleinen Händchen krallten sich in seelischer Erregung fest ineinander.

      Bärbel begriff nicht, was hier in der Apotheke der Onkel Provisor mit dem großen Mädchen sprach. Sie sah wohl, daß jener immer wieder die Tränen aus den Augen rollten, Bärbel hörte die tröstenden Worte Senftlebens und erschrak, wenn in stoßweisem Schluchzen aus dem Munde der vierzehnjährigen Gertrud die Worte erklangen: »Sie wird auch sterben, dann sind wir ganz allein!«

      Der Provisor hatte dem Mädchen eine Flasche in die Hand gedrückt, er versprach ihm auch, mit Herrn Wagner Rücksprache zu nehmen, man würde gewiß helfen.

      Bärbel traute sich erst vor, als der Onkel Provisor wieder bei anderer Arbeit war. Nun aber hielt sie mit ihrer Neugierde nicht länger zurück.

      »Warum hat das große Mädchen geweint?«

      »Es hat eine kranke Mutter, Goldköpfchen, einen sehr kranken Großpapa und noch viele kleine Geschwister. Die armen Kinder haben nichts zu essen.«

      »Da hast du ihnen eine Flasche gegeben?«

      »Das ist Medizin gewesen, für die kranke Mutter.«

      »Wird sie nun wieder gesund, Onkel Provisor?«

      »Hoffentlich.«

      »Wenn sie aber stirbt? Dann ist das große Mädchen allein?«

      »Wir wollen versuchen, der armen Frau zu helfen. Die Leute sind sehr bedürftig. – Denke dir nur, Goldköpfchen, die Kinder dort bekommen keine Butterbrötchen, keine Wurst darauf, und kein Fleisch. Die essen immer nur Suppen aus Brotrinden.«

      Bärbel verzog das Gesicht. »Ach – Suppe aus Brotrinden!«

      »Nicht wahr, Goldköpfchen, das ist schlimm. – Die armen Leute haben gar kein Geld. Früher hatten sie auch einmal recht viel, aber heute haben sie gar nichts mehr.«

      »Hat der Vati denn Geld?«

      »Jawohl, mein Kind.«

      »Dann soll ihnen der Vati Geld geben.«

      »Mit etwas Geld