Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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Kindergesicht, denn Bärbel hatte die Tränen mit den unsauber gewordenen Händen abgewischt.

      »Wo bist du gewesen?« wiederholte der Vater streng.

      Aufs neue begann Bärbel zu weinen. Sie war von der Begegnung mit dem fremden Herrn noch so sehr verängstigt, daß sie kein hartes Wort hören konnte.

      »Bärbel hat den Goldregen für den alten Großvater und die kranke Mutti geholt.«

      »Für welchen Großvater? – Was sind das für dumme Streiche, Bärbel?«

      »Bärbel will doch helfen«, weinte das Kind, »der Onkel Provisor hat es gesagt.«

      Senftleben, der ebenfalls in der Apotheke war und das Schluchzen gehört hatte, war in die Tür getreten und vernahm die letzten Worte. Im ersten Augenblick war ihm nicht klar, was Bärbel meinte.

      Aber bald stellte es sich heraus, daß er den Goldregen als einziges Mittel zur Linderung der Not bei der armen Familie Tischbein genannt hatte.

      Noch stand Goldköpfchen schuldbewußt vor dem Vater, den Goldregen fest an sich gepreßt. Sie erwartete eine Strafe und begriff nicht, daß sie plötzlich hochgenommen und herzlich geküßt wurde.

      »Mein Goldköpfchen mit dem goldenen Herzen«, sagte er tiefbewegt, »du hast es gut gemeint, aber du hättest nicht heimlich fortgehen sollen.«

      »Man darf es doch nicht sagen«, flüsterte die Kleine leise.

      Wieder fühlte sie die Lippen des Vaters auf ihrer Stirn, und das war ihr ein solcher Trost für all die ausgestandene Angst, daß sie sich in inniger Zärtlichkeit an den Vater schmiegte und ihm ins Ohr flüsterte:

      »Wird nun die fremde Mutti und der alte Großvati wieder gesund?«

      »Jawohl, mein Goldköpfchen«, sagte Wagner ernst, »du bist deinem Vater heute zum Vorbilde geworden. Heimlich helfen, keinem davon etwas sagen und den armen Leuten nach Möglichkeit den Goldregen bringen.«

      Bärbel bekam heute nicht einmal Vorwürfe wegen des stark zerrissenen Kleides. Sie mußte erzählen, wo sie den Goldregen hergenommen hatte, und berichtete gewissenhaft von der Schelte, die sie dafür erhalten hatte.

      »Mein kleines, tapferes Mädchen, heute nachmittag gehen wir zusammen aus und bringen deinen Goldregen der kranken Mutti und dem alten Großvater.«

      »Wird sie dann gesund, Vati?«

      »Ja, mein liebes Kind, dein Goldregen wird ihr helfen.«

      Kurz vor dem Ausgange gab es für Bärbel noch eine ganz besondere Überraschung. Der böse Herr, dem der Garten mit den blühenden Sträuchern gehörte, kam in die Apotheke; und schließlich rief man Goldköpfchen, dessen Herz vor Schreck fast stillstand, als es den Garteninhaber erkannte.

      Aber er schalt jetzt nicht mehr. Er brachte für das Kind eine Schachtel, in der viele kleine Tiere lagen, die aufzustellen gingen.

      »Das schenke ich dir, du kleines Mädchen mit dem goldenen Herzen und dem goldenen Köpfchen, für die Angst, die du heute früh ausgestanden hast.«

      Da saß nun Bärbel, hielt die Schachtel mit den schönen Tieren im Arm und dachte darüber nach, warum der fremde Mann erst so böse gewesen war und dann solche Freude bereitete. Aber das Kind fand die Lösung des Rätsels nicht.

      Es wurde Bärbel auch nicht klar, warum sich die kranke, fremde Frau so sehr über den Goldregen freute und Bärbel wieder die Hand drückte. Nur das eine war gewiß, daß die gelben Blüten Wunderblumen sein mußten, weil die Kinder jener fremden Frau gar nicht mehr traurig waren, und weil auch der alte Großvater so verklärt lächelte. Und in Bärbels kleinem Herzen war eine jauchzende Freude darüber, daß es doch den Goldregen wohlbehalten in das Haus der armen Leute getragen hatte.

      Das kleine Erlebnis mit dem Goldregen, der Besuch bei der Familie Tischbein hatten auf Goldköpfchen einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Die Kleine war schon immer nachdenklich gewesen, jetzt aber schien sie geradezu über die verschiedensten Dinge nachzugrübeln. Immer wieder ließ sie sich von der Großmama Geschichten erzählen, in denen einer dem anderen geholfen hatte; und wenn es nicht geschah, konnte das kleine Mädchen recht böse werden. Oft äußerte Bärbel, daß sie, wenn sie erst recht groß sei, jeden Tag allen Menschen helfen wolle, damit sich alle Kinder genau so freuen könnten wie kürzlich die Kinder der Familie Tischbein.

      Apotheker Wagner hatte auch wirklich einen kleinen Goldregen über die Familie niedergehen lassen. Er hatte nach Möglichkeit geholfen, hatte dafür gesorgt, daß die Frau in ein Erholungsheim kam, und daß währenddessen die Kinder gute Pflege hatten. Nun war er dabei, der Familie eine Existenz zu schaffen, und setzte sich dafür mit aller Energie ein. Sprach man ihm dafür anerkennende Worte aus, wies er jedes Lob zurück mit dem Bemerken, daß man es einzig und allein seinem Goldköpfchen zu danken habe, wenn bei Tischbeins die Not aus dem Hause gejagt werde.

      So war das kleine Mädchen des Apothekenbesitzers Wagner eine ganze Zeit lang in Dillstadt zum Gesprächsstoff geworden, und Bärbel hatte manch eine Tafel Schokolade erhalten.

      Joachim versuchte nach Möglichkeit, auch etwas davon für sich zu profitieren.

      »Wenn ich Sträucher abreiße, bekomme ich kräftige Prügel, und du bekommst Schokolade«, brummte er voller Mißgunst. »Deine Dummheit wird noch belohnt.«

      Bärbel trug solche häßliche Worte dem Bruder nicht nach. Verlangte er etwas von den erhaltenen Süßigkeiten, so gab sie ihm das Geforderte bereitwilligst. Als einzigen Gegendienst verlangte sie, daß Joachim ihr von Zeit zu Zeit ein Märchen vorlesen sollte. Er tat es nur widerwillig, suchte die kürzesten aus und überschlug obendrein noch ganze Seiten. Das blieb natürlich von Bärbel nicht unbemerkt, und wenn sie dagegen Verwahrung einlegte, erklärte Joachim wegwerfend:

      »Das sind eben moderne Märchen, die verstehst du noch nicht.«

      Schließlich machte Joachim einen anderen Vorschlag.

      »Du bist ein furchtbar kleines, dummes Mädchen, du weißt vom Leben noch gar nichts. Ich werde dich jedesmal, wenn du mir etwas schenkst, belehren, damit du klug wirst.«

      Bärbel begriff zwar nicht, worüber sie von Bruder Joachim belehrt werden sollte, aber es gab so manches, was ihr durch das Köpfchen ging, und so kamen die Kinder überein, daß Joachim, wenn sie einmal wieder etwas wissen wollte, ihr Aufklärung geben sollte.

      Bereits am nächsten Tage fand sich dazu Gelegenheit. Die kleinen Kücken, die vor einer Woche aus den Eiern geschlüpft waren, bildeten das ganze Entzücken Goldköpfchens. Das Kind konnte eine halbe Stunde und länger vor dem Drahtgitter stehen und die Tierchen bewundern. Merkwürdig war es freilich, daß die Tiere in dem Ei gesessen hatten und daß in den Eiern, die Bärbel zu essen bekam, kein solches Hühnchen war. Darüber mußte ihr Bruder Joachim Aufklärung geben.

      »Bist du dumm!« sagte er überlegen. »Du hast doch gesehen, daß die Glucke auf den Eiern gesessen hat. Dabei sind die Eier warm geworden, und aus dem Eigelb ist der Kopf entstanden, aus dem Weißen alles andere.«

      »Und wie werden die schwarzen Hühnerchen?«

      »Das ist einerlei, die haben eben mehr im Schatten gelegen.«

      »Wenn man auf den Eiern sitzt, kommen dann auch kleine Hühner heraus?«

      »Wenn du darauf sitzest, kommen Gänse ’raus!«

      Bärbel klatschte entzückt in die Hände. »Kleine Gänschen? – O, wie schön! – Wie lange muß ich auf den Eiern sitzen, Joachim?«

      Der Bruder lachte listig. »Nicht lange, wenn du nur einige Augenblicke aus den Eiern sitzt, gehen die Schalen gleich auf.«

      »O, ich möchte kleine Gänschen haben«, bettelte Bärbel, »ich will zu Wanda gehen, damit sie mir Eier gibt.«

      Joachim lachte schallend. »Na, dann zieh dir dazu aber das Sonntagskleid an, und dann setze dich auf die Eier. Wirst was Feines ausbrüten.«

      Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als seinem Freunde Emil die Dummheit