keine Käfer gefangenhalten, die Käfer wohnen doch in den Bäumen und nicht in einer Kiste.«
»Du brauchst dich um meine Maikäfer gar nicht zu kümmern. Mit denen kann ich machen, was ich will!«
»Nein, das darfst du nicht!« rief die Kleine entrüstet, »du darfst den Tieren nicht weh tun; und wenn du sie einsperrst, wenn sie nicht zurück zur Mutti können, dann weinen sie. Man muß gut zu den Tieren sein.«
Joachim hörte nicht darauf, er lief bereits hinter einem erspähten Käfer her. Er hatte die Zigarrenkiste, in der sechs Käfer summten, auf das Fenstersims gestellt.
Bärbel legte das Ohr an die Kiste. Sie hörte das Brummen und Summen, und es wurde ihr ordentlich traurig zumute. Die Tierchen riefen gewiß nach den Eltern. Sie hatten Angst, daß man ihnen ein Leid zufügen könnte. Wie häßlich von Joachim, daß er sie die ganze Nacht in diesem Kasten einsperren wollte. Bärbel dachte schaudernd daran, wie sie einmal für wenige Augenblicke im Keller eingesperrt gewesen war. Wie hatte sie gezittert und sich gefürchtet!
Sie wagte aber nicht den Deckel der Zigarrenkiste zu öffnen, denn der Bruder würde sehr schelten, wenn sie die Maikäfer freiließ. Es war wohl richtiger, wenn sie sich bei großen Leuten erst Rat holte.
Eben stand die Großmutter im Flur und sprach mit Lina. Bärbel griff nach ihrer Hand.
»Großmama, darf man kleine Tiere und Vögelchen in einen finsteren Kasten sperren?«
»In einen Kasten, – nein, aber unser Mätzchen hat einen Käfig.«
»Nein, in einen Kasten, der keine Fenster hat.«
»Wer macht denn das?«
»Der Joachim fängt alle Maikäfer weg und steckt sie in den dunklen Kasten.«
»Das ist nicht hübsch vom Joachim. Wenn er sie fängt und ihm das Freude macht, muß er sie aber wieder fliegen lassen.«
»Dann freuen sich die Tiere, – nicht wahr, Großmama?«
»Freilich, Goldköpfchen! Ich habe einmal einen kleinen, kranken Vogel gehabt, den fand ich im Gebüsch. Ich habe ihn einige Tage in den Bauer gesetzt, aber als es ihm wieder besser ging, habe ich den Bauer aufgemacht. Dann ist das Vöglein hinausgeflogen und später noch oftmals an mein Fenster gekommen und hat dort so lieb gesungen.«
»Da hat es wohl ›danke‹ gesagt, Großmama?«
»Freilich, mein liebes Goldköpfchen, das Vöglein hat sich herzlich bedankt, daß ich es wieder freiließ.«
»Sagen die Maikäfer auch ›danke schön‹?«
»Natürlich, sie brummen dann gar lustig, und das heißt in ihrer Sprache: ich danke dir, mein gutes Kind, daß du mir die Freiheit schenktest.«
Bärbel eilte davon. Es wollte den Dank der Maikäfer hören. Joachim war nicht zu sehen, der war mit seinem Busch in einer Querstraße und rannte einem Maikäfer nach.
Bärbel nahm die Kiste, lauschte einige Augenblicke daran. Wie traurig doch das Brummen darin klang! Kurz entschlossen öffnete sie den Deckel; einige Augenblicke krabbelten die Käfer noch im Innern des Kastens umher, dann spreizten sie die Flügel und – fort ging es!
Mit verklärten Blicken schaute ihnen das Kind nach.
»Jetzt fliegen sie zur Mutti und sind so froh, ach, so froh!«
Als Joachim zurückkehrte, zeigte ihm Bärbel strahlend den leeren Kasten.
»Das ist eine Gemeinheit, – was fällt dir denn ein, an meine Sachen zu gehen! Kümmere ich mich um deine Puppen?«
Es wären vielleicht noch härtere Worte gefallen, wenn nicht in demselben Augenblicke ein Maikäfer um die Köpfe der Kinder schwirrte.
»Er bedankt sich!« rief Bärbel voller Begeisterung, während Joachim hinter dem Käfer einherstürmte.
Die Großmutter rief das Kind, weil es Zeit war zum Schlafengehen. Aber Bärbel hatte heute wenig Lust und überhörte den Anruf. Sie wollte gern noch aufbleiben und auf Joachim warten, der noch immer hinter den Maikäfern herstürmte.
Frau Lindberg rief zum zweiten und zum dritten Male; und erst als ihre Stimme einen energischen Klang annahm, kam Bärbel angelaufen.
»Hast du nicht gehört, Goldköpfchen, daß ich dich mehrere Male gerufen habe?«
»Ich glaube, ich habe es erst gehört, als du dreimal gerufen hast.«
»Ist das wahr, Goldköpfchen?«
Das Kind schmiegte sich an Frau Lindberg und sagte kleinlaut: »Jetzt hat Bärbel gelügt, Großmama.«
»Sollst du das tun?«
»Nein, – aber wir beten zusammen, und dann wird der Schutzengel nicht böse sein.«
»Ich will dir einmal etwas sagen, Goldköpfchen. Man muß immer gehorsam sein und den Eltern und der Großmama folgen.«
»Auch dem Großpapa?«
»Natürlich, allen erwachsenen Leuten. Du weißt doch, was dann geschieht, wenn ein Kind ungehorsam ist.«
Bärbel nickte. »Ja, dann gibt es Haue.«
»Nun komm, es ist die allerhöchste Zeit, daß du zu Bett gehst. Nun lauf rasch noch zur Mutti und den Brüderchen, sage ihnen ›Gute Nacht‹ und gehe dann zum Vati. Ich warte auf dich.«
Folgsam begab sich das Kind ins Schlafzimmer der Eltern.
Frau Wagner, die noch immer das Bett hüten mußte, küßte Bärbel zärtlich.
»Mußt du denn immer noch krank sein, Mutti?«
»Bald stehe ich auf.«
»Siehst du, Mutti, das haben wir nun davon, weil das olle Zwilling gekommen ist. Wir hätten doch viel anderes notwendiger gebraucht. – Ich habe keinen Esel mehr. – Verkauf’ doch das Zwilling!«
In demselben Augenblick begann einer der Knaben zu schreien. Bärbel warf dem Säugling einen zornigen Blick zu.
»Ekliges Ding!«
»Aber, Bärbel«, mahnte die Mutter, »deine kleinen Brüderchen kommen aus dem Himmel.«
»Ja, Mutti, aber dort haben sie sie rausgeschmissen, weil das Zwilling immerzu schreit. Da haben die Englein gesagt: schrei nicht, oller Zwilling, oder du mußt runter. Ach«, ein tiefer Seufzer hob des Kindes Brust, »nun haben wir sie gekriegt.«
»Du irrst, Goldköpfchen, gerade weil es die allerniedlichsten Bübchen waren, darum hat der liebe Gott gesagt: bringt die beiden Knaben der kleinen Bärbel als Spielzeug.«
Goldköpfchen rümpfte die Nase, aber es schwieg. Noch einmal wurde es von der Mutter zärtlich geküßt, dann ging es, ohne sich um die Babys zu kümmern, aus dem Zimmer.
Beim Ausziehen hatte die Großmutter ihre liebe Not. Bärbel spielte Schmetterling, breitete beide Arme aus; und so war es unmöglich, ihm das Nachtröckchen anzuziehen.
»Jetzt sei vernünftig, mein Kind, und laß die Arme hängen.«
Das Nachtröckchen wurde angezogen, aber auf Bärbels Stirn stand schon wieder eine nachdenkliche Falte.
»Was hast du denn?« fragte Frau Lindberg, die genau wußte, daß die Kleine von einer neuen Idee gequält wurde.
»Großmama!«
»Nun?«
»Hättest du mir das Nachtröckchen nicht anziehen können, wenn ich die Arme weit aufgemacht hätte?«
»Nein.«
»Großmama, wer zieht denn den Engeln die Nachtröckchen an?«
»Die kleinen Engel werden von den großen Engeln angezogen.«
»Wie machen es denn die großen Engel, um die Nachtröckchen über die Flügel zu bekommen?«
»Die