große Leute haben es doch immer viel besser als kleine Leute, und kleine Leute müssen sich doch so toll quälen.«
»Du brauchst dich doch nicht zu quälen, Goldköpfchen?«
»Immerzu schreit das Zwilling, und das muß Bärbel hören. Weißt du, Vati, das Zwilling ist gar nicht schön! Das hat ganz wenig Haare und hat nicht mal Zähne.«
»Die kommen noch.«
»Und dann sieht es ganz verschrumpelt aus, wie die ganz alte Frau Kreutzer.«
»Das ist nun eben nicht anders, du kleiner Quälgeist.«
»Du – Vati, – ich glaube, der liebe Gott hat uns mit dem Zwilling angeschmiert, – er hat uns alte Leute gegeben!«
»Aber, Bärbel, du mußt doch einsehen, daß ein Mensch, der noch wachsen will, eine ganz lockere Haut haben muß, damit er hineinwachsen kann.«
»Hat Bärbel auch ’ne lockere Haut?«
»Natürlich.«
»Nein, Vati, ich hab’ keine solche Schrumpeln wie das Zwilling.«
»Als der Vati geboren wurde, hatte er auch solche Schrumpeln.«
»Bist du auch dort oben in dem Bettchen geboren?«
»Nein, in Hamburg. Das ist eine große Stadt in Deutschland.«
»Ist die Mutti auch in Hamburg geboren?«
»Nein, in Dresden.«
»Und wo bin ich geboren?«
»In Dillstadt.«
»O-o-ch, Vati, das ist aber fein, daß ihr beide zu Bärbel gekommen seid, und daß wir uns gefunden haben!«
Inzwischen hatte Herr Wagner seine Einkäufe erledigt, man verließ den Laden, nachdem der Verkäufer versprochen hatte, die gekauften Sachen noch heute nach der Apotheke zu schicken.
Vor dem Geschäft stand ein Wagen. Ungeduldig scharrte das Pferd mit den Hufen. Da Herr Wagner sich in ein Gespräch mit einem Bekannten verwickelt hatte, hatte das Kind ausreichend Zeit, das ungeduldige Pferd zu betrachten.
Als man sich endlich auf den Heimweg machte, begann das Fragen von neuem.
»Vati, ich möchte furchtbar gern was wissen.«
»Was denn, mein Kind?«
»Vati – zieht sich das Pferd früh die Hufeisen immer selber an, oder kommt der Pferdemann und schnürt sie fest?«
»Die Hufeisen werden nur einmal angemacht und halten dann ein ganzes Jahr lang. Das Pferd braucht sie nicht auszuziehen.«
»Dann kauf’ mir auch so etwas, damit ich nicht immer die ollen Schuhe an- und ausziehen muß!«
Herr Wagner wollte etwas antworten, aber da machte die Kleine ganz plötzlich einen Freudensprung.
»Vati, – da geht ein Mann in Gelee.«
Herr Wagner schaute sich um und erblickte einen Herrn, der einen Mantel aus Aalhaut trug.
»Vati, hat den seine Mutti eingeweckt?«
Ehe es Herrn Wagner möglich war, Bärbel zurückzuhalten, war das Kind hinter dem Herrn hergestürmt, um die Geleehaut näher zu betrachten. Der Herr wandte sich um; da blieb auch Bärbel stehen und schaute ihn bewundernd von oben bis unten an.
»Was rennst du denn hinter mir her?« fragte der Reisende unfreundlich.
Bärbel erschrak über den heftigen Ton; dann fiel ihr ein, daß es bei Joachim stets das Richtige war, ihm, wenn er Bärbel anfuhr, eine dreiste Antwort zu geben. Vielleicht fürchtet sich der Mann in Gelee auch.
Das Kind legte beide Hände aus den Rücken, schaute den Fremden bitterböse an und rief die Worte, die es von Emil Peiske schon oft gehört hatte.
»Wat kieck’ste denn, – willste ’ne Backpfeife?«
Wagner, der diese Worte hörte, war sprachlos. Das hatte er seinem sanften Goldköpfchen doch nicht zugetraut. Aber auch der Fremde hatte Mühe, das Lachen zu unterdrücken. So etwas war ihm noch nicht passiert, daß ein solcher Dreikäsehoch ihm eine Ohrfeige anbot.
Herr Wagner stellte sich dem Herrn vor und entschuldigte die Ungezogenheit seiner Tochter. Dann aber bekam Bärbel Schelte. Das Kind war ganz kleinlaut geworden, es wußte genau, daß es derartiges nicht sagen durfte. Nur die Angst vor dem finsteren Blick des Mannes hatte es all seinen Mut zusammennehmen lassen.
Ganz still und brav ging Goldköpfchen von nun an neben dem Vater her, um keinen Anlaß zu weiteren Vorwürfen zu geben. Nur als man kurz vor der Apotheke angelangt war, fragte Bärbel schüchtern:
»Bärbel möchte der Mutti auch etwas schenken, weil sie das Zwilling geholt hat.«
»Sei du nur recht brav und sprich nicht so häßliche Worte zu fremden Leuten, dann freut sich die Mutti.«
»Bärbel möcht’ ihr aber was kaufen, Vati.«
»Kleine Mädchen haben kein Geld zum Kaufen. Das besorgt der Vati.«
»Bärbel möcht’ ihr aber so gern was kaufen.«
»Man kann erst etwas kaufen, wenn man etwas verdient.«
»Kauft ihr der Felix auch was, – der verdient doch Geld.«
»Geh jetzt hinauf zur Großmama, der Vati hat zu arbeiten.«
Als der Hausdiener nach wenigen Augenblicken dem kleinen Mädchen in den Weg lief, forschte es ihn sogleich aus, ob er der Mutti auch etwas schenke, weil er doch das Zwilling mitbekommen hätte.
Felix lachte laut auf. »Das Zwilling kannst du behalten, Bärbel, das will ich nicht haben, ich nehme mir lieber ein Mädel.«
»Ein Mädel hält’ ich mir auch lieber genommen, aber der liebe Gott hat uns doch das Zwilling gemacht. – Verdienst du dir viel Geld?«
»Nee, nur wenig.«
»Kann ich auch viel Geld verdienen?«
»Du? Bist ja noch viel zu klein.«
»Verdienen sich kleine Leute nicht auch mal Geld?«
»Freilich!«
»Was machen sie denn da?«
»Sie tragen Zeitungen aus, verkaufen Streichhölzer, fahren Koffer zur Bahn. Da gibt es allerlei.«
»Die Zeitungen, die der Vati bekommt, verkaufen sie?«
»Ja, jede Zeitung.«
Bärbel überlegte. In der einen Kammer lag ein großer Stoß Zeitungen.
»Wie machen sie denn das?«
»Nun, sie tragen in jedes Haus eine Zeitung, das wird bezahlt. Oder sie gehen auf die Straße und rufen Zeitungen aus. Hast du das noch nicht gehört?«
Bärbel schrie freudig auf. »Manchmal kommt abends ein kleiner Junge mit der Zeitung. Felix, verdient man da viel Geld?«
Der Hausdiener lachte belustigt. »Wenn du mit den Zeitungen losgehst, verdienst du massenhaft!«
An diesem Abend wartete das Kind auf den Zeitungsjungen.
Richtig! Der Knabe hatte einen ganzen Stoß unter dem Arm und brachte ein Blatt in die Apotheke.
»Gehst du noch weiter?«
»Ja.«
»Bekommt jeder eine Zeitung?«
»Sehr viele.«
»Und dann kriegst du Geld?«
»Ja.«
»Doch, da hast du wohl viel Geld?«
»Nötig«, lachte der Junge und lief davon.
Von nun an ließen die Zeitungen Bärbel nicht mehr los. Immer