würde ihnen der schöne Spaß verboten werden.
Bärbel horchte auf. »Wird dann der Vati böse?«
»Kein Gedanke!« beteuerte Emil, »dem ist das ganz gleichgültig; die Hauptsache ist Geldverdienen.«
Sehnsüchtig wurde die fünfte Nachmittagsstunde erwartet. Frau Lindberg betrachtete ihre Enkelkinder forschend.
»Du bist ja heute so unruhig, Bärbel, warum fragst du denn immerfort, wie spät es ist?«
Bärbel machte ein entzücktes Gesicht. »Großmama – hast du nicht eine ganz dreckige Schürze?«
»Wozu brauchst du sie?«
»Ach, Großmama, das sage ich dir später.«
»Du willst doch hoffentlich nichts Unartiges tun, Goldköpfchen? Du weißt, der liebe Gott sieht alles.«
»Der freut sich.«
»Nun, wenn er sich freut, dann ist’s gut. Aber denke stets daran, daß unartige und böse Kinder nicht in den Himmel kommen.«
»Kommst du auch in den Himmel, Großmama?«
»Ich hoffe es.«
»Und der alte Peters, kommt der auch in den Himmel?«
»Freilich.«
»O-o-ch Großmama, muß das ein alter, häßlicher Engel sein, so verschrumpelt. Und du bist dann wohl die Großmama von allen Engeln?«
»Dort oben sind alle Engel gleich hübsch, alle jung.«
»Wirst du dann wieder ein ganz kleiner Engel?«
»Ja, mein Kind.«
»Ach – Großmama, kann man das nicht sehen?«
»Nein, das macht der liebe Gott.«
»Der liebe Gott kann aber viel, Großmama, ich kann dich nicht klein und jung machen.«
»Du bist ja auch nur ein ganz kleines und dummes Mädchen, Goldköpfchen.«
»Aber eine dreckige Schürze möchte ich doch haben, Großmama.«
»Laß dir eine saubere geben, Kind.«
»Nein, Großmama, – laß nur, das verstehst du nicht.«
»Du willst dich wohl verkleiden?«
Bärbel verstand nicht, bis ihr die Großmutter die nötigen Erklärungen gab.
»Ja, ich will«, nickte das Kind, »aber ich darf davon nichts sagen.«
Frau Lindberg lächelte. »Nun, da will ich dir helfen. Wir suchen ein Kopftuch heraus, das binde ich dir über die Haare, dann zieh’ ich dir einen langen Rock an; pass’ auf, wir machen ein niedliches Mädchen aus dir.«
So half denn die ahnungslose Großmutter selbst, das Kind auf das drolligste herauszuputzen, und hatte auch nichts dagegen, als Goldköpfchen gegen fünf Uhr in einer recht wunderlichen Tracht aus dem Hause eilte.
Im Nachbarhause wurde sie mit Begeisterung empfangen.
»Ich beschmeiß’ dich noch mit Dreck«, sagte Emil, »dann siehst du noch besser aus.«
Aber das litt Bärbel nicht. Sie kam sich unendlich schön vor in dem langen, mit Nadeln gerafften Rock und dem roten Kopftuch.
Joachim dagegen hatte sich geradezu fürchterlich zurechtgemacht. Die zerrissene Hose Emils paßte wunderbar zu dem bunten Hemd, das er dem Hausdiener Felix mit List abgebettelt hatte. Auch das Hemd war mit Hilfe von Sicherheitsnadeln zusammengesteckt worden. Um den Hals hatte er einen Wollschal mehrfach geschlungen, aus dem Kopf saß eine viel zu große Mütze.
Emil war der schmutzigste. Er hatte eine alte ausrangierte Arbeitshose an, die ihm sein Freund Kurt, der Sohn eines Maurers, geliehen hatte. Die nackte Brust war mit bunter Farbe angemalt.
Vorsichtig hielt Joachim Ausschau, ob man ungesehen hinaus auf die Straße könne. Aber da immer wieder Bekannte kamen, wählte man den mühsameren Weg durch den Garten, über die Hecke zum Nachbar, über einen Drahtzaun, wieder ins nächste Grundstück; schließlich war die Nebenstraße erreicht, und nun ging es im Laufschritt nach dem »Grünen Baum«. Bärbel stolperte mehrfach über den langen Rock, fiel auch unter hellem Gelächter der beiden Knaben einmal in eine Pfütze; und endlich kamen die drei Musikanten zu dem am Anfang des Ortes gelegenen Gasthaus.
In dem großen Hofe nahmen sie Aufstellung, und bald erklang der jammervolle Gesang, in den auch Joachim voller Begeisterung einstimmte.
»Wenn wir wären Zwillinge, so sind wir unser zwei, Wenn wir wären Drillinge, dann sind wir unser drei!«
Es dauerte gar nicht lange, da öffneten sich die Fenster, auf den Hof hinaus traten einige Frauen, die mit neugierigem Staunen die drei verwahrlosten Gestalten musterten.
Joachim war der dreisteste. Mit ausgestreckter Hand ging er auf die Zuschauer zu.
»Ich bin lahm, und der dort, mein Bruder, ist blind. Die Schwester ist ein Krüppel. – Geben Sie uns zehn Pfennige.«
»Du bist doch der Wagner?«
»Nee, der bin ich nicht. Der Wagner ist in der Apotheke.«
»Macht, daß ihr heimkommt, sonst hol’ ich den Stock!«
»Laß sie doch«, ertönte eine Stimme.
Unentwegt sang Bärbel weiter. Sie machte dazu ein so treuherziges Gesicht, daß sich schließlich auch die Gastwirtin wieder beruhigte.
»Wollt ihr ’ne Stulle haben?«
»Nee, Geld«, schrie Emil.
Einer der Umstehenden gab fünf Pfennige.
»Das lohnt nich«, sagte Emil verächtlich, »wir brauchen mehr!«
»Ich denke, du bist blind?«
»Bin ich«, versetzte Emil schnoddrig, »aber mein Hühnerauge hat gesehen, daß es nur fünf Pfennige sind.«
»Geben Sie uns nur Geld, wir brauchen Sirup«, flötete Bärbel.
»Was sagen denn die Eltern dazu, wenn du umherläufst und singst?«
»Das geht Sie nischt an«, warf Emil Peiske dazwischen. »Jetzt singen wir weiter.«
»Dir werde ich was auf deinen großen Mund geben, du Bengel!« Die resolute Gastwirtsfrau ging auf Emil zu, worauf dieser Reißaus nahm.
»Macht, daß ihr wieder heimkommt«, zürnte sie, »die Eltern müssen sich ja schämen, wenn ihr so umherlauft.«
Da nahm Joachim die Schwester an die Hand, zerrte sie vom Hofe herunter, sie vereinten sich draußen wieder mit dem wartenden Emil und gingen dann in das gegenüberliegende Grundstück hinein, um dort ihr Glück zu versuchen.
Aber auch hier erregten die Kinder nur Staunen. Ein Herr kam an sie heran. Da stieß Emil einen kurzen, schrillen Laut aus und lief wie gehetzt davon.
Das hatte er freilich nicht erwartet, daß sein Lehrer zufällig in diesem Hause war. Nun würde es morgen eine schöne Tracht Prügel in der Schule setzen.
Joachim, der sich ohne den Anstifter unbehaglich fühlte und die rasche Flucht des Freundes noch nicht erklären konnte, unterbrach den Gesang gleichfalls, lief Emil nach; und so blieb Bärbel allein auf dem Hofe zurück.
Verängstigt schaute sie von einem zum anderen.
»Wer schickt dich denn hierher, Bärbel?«
»Wir wollten singen und viel Geld bekommen.«
»Weiß das deine Mutti?«
»Nein.«
»Dann geh nur rasch heim und laß dich umkleiden, denn es ist gar nicht nett, wenn ein kleines Mädchen so umherläuft.«
»Die Großmama hat Bärbel so angezogen.«
»Deine