wurde angst und bange. Da hatte es nun versprochen, artig zu sein, und beging schon wieder eine Sünde.
»Ich schenke dir Erdbeeren«, sagte das Kind verlegen, »ich habe auch nicht viel gegessen.«
»Ihr habt nicht in fremde Gärten zu sehen. – Kommt ihr nun endlich herunter, ihr Bengel?«
Statt aller Antwort warfen die beiden Knaben mit Kirschen und Steinen nach der Scheltenden, so daß der Zorn Frau Römers immer heftiger wurde.
»Ich schicke jetzt zu euren Eltern, die werden euch die richtige Antwort auf eure Frechheiten geben.«
»Du – Emil, – was machen wir jetzt?«
»Ach was, laß doch die Alte zetern!«
Frau Römer nahm Bärbel an der Hand und ging mit dem Kinde davon. Unterwegs machte sie der Kleinen heftige Vorwürfe, bis Bärbel schließlich zu weinen begann.
»Der Teufel hat gewollt, daß ich auf den Baum klettere.«
»Nein, das hast du selbst gewollt!«
Frau Römer, die wohl ahnte, daß die Knaben die gute Gelegenheit zur Flucht benutzen würden rief den Nachbarssohn und sagte diesem, er möge hinüber zur Apotheke gehen und Herrn Wagner bestellen, daß sein Sohn in ihrem Garten wäre und Kirschen stehle. Er möge auch noch weiter zu Schneidermeister Peiske gehen und die gleiche Bestellung machen. Dann kehrte sie in ihren Garten zurück.
»Nun werden wir ja sehen, ob ihr heruntersteigt, wenn eure Väter kommen.«
Das ging natürlich nicht, daß man hier oben im Kirschbaume ertappt wurde. So beschlossen die Knaben, hinabzusteigen und Reißaus zu nehmen.
»Die Olle kann doch nicht so schnell hinter uns her«, flüsterte Emil, »die kriegt uns nicht ein.« Dann kletterten die Knaben wie zwei Katzen, sprangen von beträchtlicher Höhe hinab zur Erde, liefen durch den Garten und waren schon nach wenigen Augenblicken verschwunden.
Apotheker Wagner hatte seine Schwiegermutter gebeten zu Frau Römer zu gehen. Als Frau Lindberg dort eintraf, konnte sie nur noch Bärbel abholen.
Das Kind weinte bitterlich, als es seine wohlverdiente Schelte bekam.
»Wenn du weiter so unartig bist, Goldköpfchen, darfst du nicht mit mir nach Dresden fahren. Durch solche Sachen betrübst du den Vater; und jeder Kummer, den du ihm bereitest, läßt ein graues Haar auf seinem Kopfe wachsen.«
»Ist auch ein Haar gewachsen, als wir gesungen haben?«
»Jawohl.«
»Großmama, wer hat dir denn so viel Kummer gemacht? Du hast doch so viele graue Haare?«
»Die grauen Haare kommen auch, wenn man alt wird.«
»Großmama, haben dich deine kleinen Kinder auch so viel geärgert?«
»Manchmal auch, aber sie sind lange nicht so unartig gewesen, wie du, Bärbel.«
»Vati hat aber nicht so viele graue Haare wie du.«
»Wenn du weiter so unartig bist, wie in den letzten Tagen, bekommt er sie.«
Schweigend ging Bärbel neben der Großmutter her.
»Hör’ mal, Goldköpfchen, wie schön die Vöglein singen!«
»Ja, Großmama, die derfen singen und wir nicht.«
»Bei den Vögeln ist das ganz anders, und daheim darfst du auch singen.«
»Großmama, kannst du deinen Kopf aufmachen?«
»Nein.«
»Wie gibst du denn aber dem kleinen Vogel Futter?«
»Welchem Vogel?«
»Der Joachim sagte doch, du hast im Kopf einen Vogel? – Singt der auch?«
»Der Joachim ist ein unartiger Junge.«
»Das derf man wohl nicht wissen, daß du einen Vogel im Kopfe hast? – Kann der gar nicht raus?«
»Nein«, klang es kurz zurück.
»Pickt der Vogel in deinem Kopfe?«
»So etwas darfst du nicht mehr fragen, Bärbel, denn der Joachim hat da etwas sehr Ungezogenes gesagt.«
»Kann dein Vogel gar nicht singen?«
»Die Großmama hat keinen Vogel – und wenn du jetzt weiter solch dummes Zeug redest, wird die Großmama krank, dann stirbt sie, man legt sie in einen schwarzen Sarg; und dann kommt ein solch großer Wagen, wie du ihn neulich gesehen hast. Darauf fährt man die Großmama hinaus.«
Bärbel sprang an Frau Lindberg hoch. »Wenn du fährst, Großmama, dann sitz ich auf ’m Kutscherbock.«
»Willst du denn, daß die Großmama stirbt?«
»Dann kommst du in den Himmel und wirst ein Engel, – ein ganz großer Engel! Na, Großmama, du kannst nicht zu dem kleinen Fenster rein, du mußt ganz große Flügel haben, sonst plumpst du auf die Erde.«
Frau Lindberg sah ein, daß nach dieser Richtung hin mit dem Enkelkinde nichts anzufangen war. So ermahnte sie Bärbel ernsthaft, artig zu sein, weil sonst die Reise nach Dresden fraglich würde.
»Der olle Teufel will nicht, daß Bärbel fährt. Da kommt er immerzu und macht Bärbel unartig. – Nicht wahr, Großmama, der Teufel ist böse?«
Frau Lindberg war froh, daß man die Apotheke erreicht hatte. Sie ließ das Kind zunächst laufen und berichtete ihrem Schwiegersohn von den Klagen der alten Frau Römer.
»Wir müssen dafür sorgen, daß der Junge nicht dauernd mit Emil Peiske zusammen ist, er hat doch genügend Schulfreunde. Was soll denn aus dem Knaben werden, wenn es so weitergeht.«
Erst zum Abendessen fand sich der Gesuchte ein. Er sah jämmerlich aus, hatte Tränen in den Augen und eine große Beule an der Stirn.
»Wo bist du gewesen?« herrschte ihn der Vater an. »Wie siehst du aus, und woher kommt die Beule?«
»Der Emil – der Emil …«
»Habt ihr euch wieder geprügelt?«
»Ach nein, – er ist doch mein bester Freund, – er hat mich mit einer Blume geworfen.«
»Und davon hast du die Beule bekommen?«
Nun heulte der Knabe los. »Wenn doch noch ein Topf dran hing. Ach, ich hab’ ja solche Leibschmerzen!«
»Vom Kirschenessen!«
»Ich hab vierzig Steine mit runtergeschluckt.«
»Du müßtest solche Leibschmerzen haben, daß du nicht gehen und stehen kannst«, schalt der Vater. »Nach dem Abendessen kommst du hinüber in mein Zimmer!«
»Wenn ich doch solche Leibschmerzen hab’.«
»Ich will dir einen Denkzettel geben, mein Sohn, damit du nicht anderen Leuten in die Gärten gehst und Obst stiehlst. Passiert das noch einmal, höre ich in den nächsten vierzehn Tagen noch irgendeine Klage über dich, kommst du zu Oktober in Pension, aber in strenge Zucht. Das merke dir!«
Nach dem Abendessen bekam Joachim seine wohlverdienten Prügel. »Weißt du auch, warum ich dir die Schläge gegeben habe?«
»Wenn du es nicht weißt, warum haust du mich denn dann?«
»Bengel, ich rate dir, nimm dich zusammen!«
Als Joachim verweint ins Schlafzimmer kam, denn er mußte heute zur gleichen Zeit wie Bärbel zu Bett gehen, kam Goldköpfchen leise zu ihm ins Zimmer und streichelte die Wange des Bruders.
»Wir haben’s ja gar nicht gewollt, Joachim, das hat alles der böse Teufel gewollt.«
»Laß mich in Ruhe!«
»Hat er sehr gehaut?«
»Geh doch schlafen,