Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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war beruhigt. Das Kind schaute immer wieder zum Himmel empor, ob nicht wieder einmal ein Vogel vorüberflog; und wenn das geschah, wanderte jedesmal eine schöne rote Beere in den kleinen Mund.

      »Bärbel!«

      Das Kind senkte den Kopf.

      »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht naschen?«

      »Hm.«

      »Der liebe Gott sieht alles, und der Schutzengel ist nun sehr böse auf dich.«

      Bärbel kam ganz dicht an die Großmutter heran, wischte verstohlen ihre nassen Händchen an den Rock Frau Lindbergs und sagte verschüchtert:

      »Ich wollte nicht naschen; aber der Teufel wollte nicht anders.«

      Frau Lindberg unterdrückte ein Lachen. Erst vor wenigen Tagen hatte sie dem Kinde vom Teufel erzählt, der stets das Böse wollte, und daß man ihn bekämpfen müsse. Nun wurde ihr jetzt diese Antwort, auf die sie nicht so schnell eine richtige Erwiderung fand.

      Bärbel ließ ihr zum Überlegen auch gar keine Zeit.

      »Großmama, – jetzt weiß ich auch, daß uns der Teufel das Zwilling gebracht hat. Der liebe Gott wollte uns ein Ziegenböckchen schicken; aber der Teufel hat daraus das Zwilling gemacht.«

      Frau Lindberg ließ einen leisen Seufzer hören. Wenn das Gespräch auf die Zwillinge kam, war sie machtlos. Die beiden kleinen Bübchen hatten es noch immer nicht vermocht, sich die Gunst Goldköpfchens zu erringen. Im Gegenteil, – erst gestern war Bärbel zugegen gewesen, als man die Zwillinge in neue Windeln legte. Dabei gab es wieder großes Wundern.

      »Wenn ich mir die Höschen vollmache, krieg’ ich Haue, und das Zwilling darf es.«

      »Das sind auch noch keine Höschen, das sind Windeln.«

      »Dann gib mir auch eine Windel.«

      Frau Lindberg hatte darauf erklärt, daß Bärbel einst eben so klein gewesen war und auch die Windeln schmutzig gemacht habe.

      Endlich war die Arbeit des Erdbeerpflückens beendet; Bärbel folgte der Großmutter in die Küche, um beim Waschen der Früchte zugegen zu sein.

      »Großmama?«

      »Nun?«

      »Müssen kleine Mädchen ihr Wort halten?«

      »Natürlich.«

      »Und große Leute?«

      »Die müssen auch ihr Wort halten.«

      »O, das ist sehr schön, dann bekomme ich jetzt eine Erdbeere.«

      »Habe ich dir eine versprochen?«

      »Du hast doch gesagt, wenn die Erdbeeren gewaschen und gezuckert sind, kann man sie essen.«

      Das Kind bekam eine Frucht; dann wurde die Schüssel ins Eßzimmer auf die Anrichte gestellt. Warnend hob Frau Lindberg den Finger.

      »Kann ich dir die Erdbeeren anvertrauen, Goldköpfchen?«

      Treuherzig schaute das Kind die Großmutter an. »Nein, Großmama, wir können uns die Erdbeeren nicht anvertrauen.«

      »Warum denn nicht?«

      »Ich wollte schon; aber der Teufel will immer anders.«

      »So jage den Teufel hinaus, wenn er kommt.«

      »Und wenn der Joachim kommt?«

      »Dann sage ihm, er darf auch nicht davon essen.«

      »Sagen will ich’s ihm schon, aber er eßt doch!«

      So schloß Frau Lindberg die Schüssel mit den Beeren ein, um Bärbel nicht in Versuchung zu führen.

      Im Wagnerschen Hause war man übereingekommen, daß Frau Lindberg, die in acht Tagen nach Dresden zurückkehren wollte, Bärbel für zwei Wochen mitnahm. Frau Lindberg konnte nicht länger bleiben, weil sie daheim dringend benötigt wurde, und da auch Herr Wagner in der nächsten Zeit einige kurze Reisen zu machen hatte, lag die Gefahr nahe, daß Bärbel, die jetzt ohnehin wenig Aufsicht hatte, ganz verwilderte. Joachim sorgte stets dafür, daß etwas ausgeheckt wurde; und so war es das richtigste, daß Bärbel in der Zeit, in der die Mutter noch leidend war, das Elternhaus verließ und in Dresden in der Obhut der Großmutter blieb.

      Als der Vater dem Kinde die Mitteilung machte, daß es in eine große Stadt reisen werde, jubelte das Kind hellauf.

      »Du mußt natürlich sehr artig sein, Goldköpfchen, sonst darfst du nicht fahren; und auch die Großmama darfst du nicht erzürnen, desgleichen die andere Tante in Dresden nicht.«

      »O, Bärbel wird sehr artig sein!«

      »Das erwarte ich auch, mein Kind.«

      Die Aussicht auf die Reise veranlaßte Goldköpfchen, wirklich artig zu sein. Es brachte sogar den Zwillingen seine Puppe, damit das Zwilling damit spiele.

      »Gerne gebt sie Bärbel nicht«, erklärte das Kind, »aber Bärbel muß artig sein; und da kann das Zwilling jetzt mal damit spielen.«

      Doch der Versucher stand schon wieder auf der Lauer. Joachim und Emil hatten ausgekundschaftet, daß bei der alten Frau Römer die Kirschen bereits anfingen, reif zu werden.

      »Kommst du mit?« hatte Joachim gefragt. »Du paßt auf, daß sie uns nicht sieht, und wir klettern auf den Baum.«

      Bärbel überlegte; als man ihr aber eine Handvoll Kirschen versprach, glaubte sie, ohne weiteres mitgehen zu dürfen.

      So wanderten die drei Verbündeten wieder einmal heimlich aus dem elterlichen Grundstück, um sich behutsam in den großen Obstgarten der alten Frau Römer zu schleichen.

      In der Tat zeigten sich dort schon vereinzelt leuchtend rote Kirschen in den Zweigen; sehnsüchtig blickten die Knaben an dem Baume empor.

      Emil ging auf Streife. Es war niemand zu sehen.

      »Ich glaube, die Olle schläft jetzt. Wir können’s riskieren!«

      Bärbel wollte natürlich auch auf den Baum; aber die beiden Knaben bedeuteten ihr, daß sie dazu noch zu klein wäre. Man werde ihr von oben herab Kirschen zuwerfen.

      Bald saßen die beiden Knaben im Baume und schmausten lustig. Nicht nur die wenigen reifen, auch die halbreifen Kirschen wurden gegessen, auf Bärbel spuckte man die Steine herab.

      Goldköpfchen aber verlangte sein Recht; und als sich die Knaben nicht weiter um das Kind kümmerten, begann es auf eigene Faust emporzuklimmen.

      »Bleib doch unten«, rief Joachim.

      »Ich will auch hinauf«, erwiderte die Kleine; und nun entspann sich ein regelrechter Streit, der den Hund der Gartenbesitzerin anlockte. Bellend kam er zum Baume gelaufen, um dort einen Höllenlärm zu vollführen.

      »Schmeiß ihn doch mit Steinen«, rief Emil, der immer höher in die Zweige des Baumes stieg.

      »Wenn uns die Alte hier sieht?«

      Da kam die Gartenbesitzerin auch schon daher. Anfangs erblickte sie nur Bärbel, dann aber, beim schärferen Hinschauen, auch die beiden Knaben im Kirschbaume.

      »Ihr abscheulichen Kirschendiebe! Was fällt euch ein, meinen Kirschbaum zu plündern?«

      Bärbel saß in zitternder Angst auf einem Ast, denn Frau Römer hatte sich einen Stock aufgelesen und drohte nun mit bösem Gesicht hinauf zu den Kindern.

      »Ihr kommt sofort herab!«

      »Hol’ mich doch«, schrie Emil.

      »Frecher Junge!«

      Goldköpfchen versuchte, von ihrem Sitz hinabzusteigen, glitt aus und fiel zu Boden. Sie wäre vielleicht zu Schaden gekommen, wenn unter dem Baume das Erdreich nicht gelockert und weich gewesen wäre.

      »Da hast du deine Strafe«, schalt Frau Römer, »ich werde es euren Eltern sagen, ihr habt Obstbäume genug im Garten.«