Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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      Das Kind überlegte wenige Augenblicke, dann sagte es bestimmt: »Erst haben wir den Joachim bekommen, dann haben wir mich bekommen, und dann ist noch das Zwilling gekommen. Aber das Zwilling geben wir euch.«

      »Das Zwilling behalte nur selbst, Bärbel.«

      »Ich gebe es dir gern, das Zwilling schreit immerzu, und es ist so verschrumpelt.«

      »Jetzt setze dich hübsch ruhig in deine Ecke, Bärbel, nimm dir die Puppe vor; und wenn du brav bist, bekommst du nachher Keks.«

      Schon nach kurzer Zeit kam die Frage: »Darf ich nun Keks haben, Großmama?«

      »Jawohl, geh an die Schale und nimm dir drei Hände voll heraus.«

      Bärbel ging; aber bald ertönte ein leises Schluchzen.

      »Was hast du denn schon wieder, Bärbel?«

      »Du hast doch gesagt – ich soll mir drei Hände nehmen, und ich hab’ nur zwei Hände!«

      »Bist ein kleines Schäfchen, Bärbel. – Hier hast du noch eine dritte Hand voll, und nun geh ab!«

      Beladen mit ihren Schätzen eilte das Kind hinaus in die Küche, um dort den Keks bei Toni zu verspeisen, die viel netter war als der dicke Onkel Doktor, den sich Tante Agnes gekauft hatte.

      Es war für Bärbel ein langweiliger Tag. Ging sie zur Großmama, so hieß es bald wieder, sie möge sich mit Toni etwas erzählen; und auch Tante Agnes hatte heute gar kein Interesse für das Kind. Bärbel stellte fest, daß Tante Agnes nur mit dem dicken Doktor sprach, und war darüber beleidigt.

      »Hast du den Mann lieber als das Bärbel?«

      »Ich habe dich auch sehr lieb, Bärbel?«

      »Dann schick’ den Onkel weg!«

      Die Folge davon war, daß man Bärbel Spielzeug in die Hände drückte und damit in die Küche hinausschickte, in der sich eben Toni mit dem Briefträger unterhielt.

      Interessiert schaute Goldköpfchen auf den Mann, der eine so vollgestopfte Tasche umgehängt hatte. Sie wollte auch einen Brief haben.

      »Das geht nicht, Kleine, die Briefe muß ich in die Häuser tragen; wenn ich einen nicht abgeben würde, würden die Leute sehr traurig sein.«

      »Klingelst du bei allen Leuten?«

      »Jawohl.«

      »Darfst du das?«

      »Ja, wenn ich einen Brief für sie habe, darf ich das.«

      »Und gibst du allen Leuten einen Brief?«

      »Ja.«

      Als der Briefträger gegangen war, wollte Bärbel auch Briefträger spielen. Toni hing ihr eine Markttasche an den Arm, steckte ein Stück Zeitungspapier hinein und meinte, Bärbel solle ihr nun den Brief bringen.

      Goldköpfchen verneinte. Das Zeitungsblatt war kein Brief, Bärbel wollte einen richtigen Brief haben.

      »Ich habe keine, aber ich freue mich auch, wenn du mir das Zeitungsblatt bringst. Der Briefträger trägt auch Zeitungen aus.«

      Das Kind legte die Stirn in nachdenkliche Falten, dann stürmte es davon. Heute früh hatte es gesehen, daß Tante Agnes in einem Kasten eine Menge Briefe verwahrte. Der Kasten war bei Tante Agnes im Zimmer, und Bärbel wollte nun rasch diese Briefe holen, um auch Briefträger zu spielen.

      Der schöne, polierte Kasten stand auf der Kommode, ein kleiner Schlüssel steckte im Schloß. Bärbels Herz hüpfte vor Freude, als sie die vielen Briefe in ihre Markttasche schüttete. Nun konnte sie auch Briefträger spielen, durfte an allen Türen im Hause klingeln und die Briefe abgeben.

      Begeistert lief Bärbel hinaus in die Küche zu Toni, die eben den Mülleimer in der Hand hatte und im Begriff war, ihn hinunter in den Hof zu tragen.

      »Ich komme mit!«

      »Nein, Kind, bleib hier«, und schon eilte Toni mit dem Eimer die Treppe hinunter.

      Bärbel benützte diese günstige Gelegenheit, um durch die nur angelehnte Tür zu entwischen. Das Kind stieg zunächst empor und klingelte an den beiden gegenüberliegenden Türen.

      Man öffnete.

      »Der Briefträger bringt dir einen Brief.« Mit ernsthafter Miene reichte Bärbel den aufgeschnittenen Brief hin und stieg, sich seiner Würde vollkommen bewußt, eine Treppe höher hinauf. Auch hier klingelte Goldköpfchen, um den verdutzt Lächelnden die Briefe auszuhändigen.

      Bärbel hatte damit aber noch nicht genug. Es machte so großen Spaß, überall zu klingeln.

      Toni, die auf dem Hofe mit einem anderen Mädchen sprach, bemerkte es nicht, daß das Kind das Haus verließ, das Nachbargrundstück betrat und hier ebenfalls die Rolle des Briefträgers spielte.

      Unten im Laden wurde Goldköpfchen schließlich angehalten. »Diese Briefe hast du wohl deiner Großmutter fortgenommen?«

      »Bärbel ist Briefträger«, erklärte das Kind stolz. »Bärbel hat noch viele Briefe.«

      Der Geschäftsinhaber, der den Briefbogen herausgezogen hatte, die erste Seite des Schreibens flüchtig las, hielt das Kind zurück.

      »Geh nur rasch mit den Briefen wieder heim, kleines Mädchen, oder – gib mir alle Briefe her.«

      Energisch schüttelte Bärbel den Kopf. »Die anderen Leute wollen auch Briefe haben, sonst weinen sie.«

      »Ich kauf’ dir die Briefe ab, ich gebe dir dafür eine Tafel Schokolade, und du gibst mir die Briefe.«

      Auf diesen Handel ging Goldköpfchen schließlich ein. Es übergab dem Kaufmann alle Briefe, nahm die Schokolade in Empfang und kehrte dann stolz nach Hause zurück.

      Freudestrahlend berichtete es Toni, daß es überall Briefe abgegeben habe.

      »Woher hast du denn Briefe gehabt?«

      »Aus dem schönen Kasten.«

      »Um Himmels willen, zeige mir rasch, woher hast du die Briefe genommen?«

      Lächelnd führte Goldköpfchen Toni ins Zimmer der Tante und wies auf den leeren Kasten.

      »Und die Briefe hast du im Hause ausgetragen?«

      »Ja, alle haben einen Brief bekommen. – Jetzt gib mir noch mehr!«

      Toni schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. »Das Fräulein läßt doch sonst nie den Schlüssel stecken! – Ach, du liebe Güte, – was wird daraus werden!«

      Da klingelte es auch schon, der Kaufmann schickte sauber eingewickelt die Briefe herauf. Toni stellte mit dem Kinde ein Verhör an, aus dem hervorging, daß das nur ein Teil der Liebesbriefe war, die Tante Agnes im letzten Jahre von Dr. Wendt erhalten hatte.

      Toni wußte sich keinen anderen Rat, als Frau Lindberg herauszurufen und ihr das Vorgefallene zu erzählen.

      Die Großmama war ernstlich böse.

      »Darfst du etwas fortnehmen, Bärbel? Du darfst weder die Sachen der Großmama noch die von Tante Agnes anrühren. Du bist ein recht unartiges Mädchen, Bärbel!«

      Schließlich bekam das Kind noch einige Schläge auf die Hände, und zürnend entfernte sich die Großmama.

      Tante Agnes war entrüstet. Natürlich würde man nun im ganzen Hause diese Briefe aufmerksam lesen, ihr süßes Geheimnis würde überall bekannt werden. Das junge Mädchen weinte darüber bitterlich; und es war gut, daß der anwesende Verlobte ihr Trost zusprechen konnte.

      »In wenigen Tagen wird unsere Verlobung doch bekannt, liebe Agnes; wir haben uns nichts Unrechtes geschrieben, gräme dich also nicht weiter. Liebesbriefe hat man von jeher geschrieben! Bestraft auch die Kleine nicht weiter; hat sich gelangweilt und wollte Unterhaltung haben.«

      Durch Toni wurden die Briefe zurückerbeten. Bärbel war recht kleinlaut geworden, zumal