Als das Kind am Abend von Frau Lindberg zu Bett gebracht wurde, gab es noch einmal ernsthafte Ermahnungen.
»Dein Schutzengel wird sehr betrübt sein, Goldköpfchen.«
»Kommt er heute bestimmt?«
»Er kommt immer in der Nacht.«
»Wenn er immer in der Nacht da ist und wacht, dann schläft er wohl am Tage, Großmama? Ja, er schläft bestimmt. – Siehst du, Großmama, wenn er nicht geschlafen hätte, hätte er heute auf Bärbel aufgepaßt.«
»Der Schutzengel ist immer bei dir.«
»Auch wenn ich geklingelt hab’?«
»Auch dann!«
»Warum hat er denn dann nicht gesagt, ich soll nicht klingeln?«
»Er hat eben gedacht, daß du es von allein unterlassen wirst.«
»Ich glaube, Großmama, dem Schutzengel hat es auch dollen Spaß gemacht, daß wir überall geklingelt haben.«
»Wenn du auf dein Herzchen gehört hättest, hättest du fühlen müssen, daß du unrecht getan hast.«
»Großmama, Bärbel hat am Herzen gar nichts gefühlt.«
Frau Lindberg seufzte. »Jetzt schlaf, Bärbel, und bitte nochmals den lieben Gott, daß er dir wieder gut sein möge.«
»Weil ich unartig war, schickt er mir nun wohl nur einen ganz kleinen Schutzengel?«
»Du hast immer denselben großen Schutzengel.«
»Wer hat denn dann die kleinen, nackten Engel?«
»Die werden auch groß.«
»Wenn sie größer werden, bekommen sie dann die weißen Kleider?«
»Ja.«
»Großmama, – das Zwilling ist doch auch ganz klein und ist auch schon in ein Kleid eingewickelt.«
»Bei kleinen Engeln ist das anders.«
»Schämen sich die kleinen Engel nicht, wenn sie nackend sind.«
»Das haben die Engel nicht nötig.«
»Warum denn nicht?«
»Frage nicht so viel, Bärbel. – Wenn du ein Engel sein wirst …«
»Kann ich dann auch nackend ’rumlaufen?«
»Ja.« Frau Lindberg hatte keine Lust mehr, ausführliche Antworten zu geben; so fertigte sie das Kind kurz ab.
»Morgen spiel’ ich Engel, Großmama.«
»Schlaf endlich!«
»Ich glaube, Großmama, mein Schutzengel hat doll gelacht, als wir überall klingelten.«
»Gute Nacht!« Nur durch die Flucht aus dem Zimmer konnte sich die gequälte Großmutter weiteren Fragen des Kindes entziehen.
Am anderen Morgen hatte Frau Lindberg die Unterredung längst vergessen, wurde aber durch Bärbel jäh wieder daran erinnert.
Die Großmama saß mit Agnes am Frühstückstisch, da erschien die Kleine ohne Nachtröckchen.
»Ooch, Großmama, jetzt bin ich ’nen kleiner Engel!«
»Bärbel!«
Sie nahm das Kind, führte es zurück ins Schlafzimmer.
»Du bleibst noch im Bett«, herrschte Tante Agnes die Kleine an, »und wenn du heute nicht sehr artig bist, bekommst du von mir Haue. Schreib dir das gefälligst hinter die Ohren!«
Mit großen Augen schaute Bärbel die Scheltende an. Dann verzog das Kind den Mund.
»Wenn ich noch gar nicht schreiben kann!«
»Dann merke es dir!«
»Wenn nun der Kopf von Bärbel aber nur so klein ist, daß es sich das alles nicht merken kann?«
»Ich sage dir nur das eine, Bärbel, wenn du heute wieder so unartig bist wie gestern, schicken wir dich heim zur Mutti.«
»Ooch, schick’ mich doch zur Mutti!«
»So – willst du von uns fort?«
»Du kannst ja mitkommen zur Mutti, und die Großmama auch.«
»Jetzt wird noch geschlafen, ich komme dich nachher wecken.« Energisch deckte Tante Agnes das Kind zu, legte ihm die Hand auf die Augen und sagte nochmals: »Augen zu, und geschlafen!«
Das war natürlich nicht ganz leicht. Bärbel hielt die Augen für ein Weilchen geschlossen: da das Kind aber ausgeschlafen hatte, zwinkerte es sehr bald wieder, warf sich in seinem Bettchen umher und vergnügte sich schließlich damit, Purzelbäume zu schießen.
Es kletterte auf das Gitter, plötzlich verlor es das Gleichgewicht und lag mit hörbarem Krach auf der Erde. Bärbel fing jämmerlich an zu weinen; erschreckt eilte die Großmutter herbei.
»Hast du dir weh getan?«
Bärbel wies auf das Knie, das leicht blutete.
Die Großmutter legte das Kind ins Bett zurück und sagte: »Nun, das ist alles nicht so schlimm, ich werde einen kalten Umschlag machen, der tut dem Knie gut.«
»Gib mir lieber ein Stück Schokolade!«
»Davon wird doch das Knie nicht besser, das wäre nur für den kleinen Bauch!«
»Der kleine Bauch ist doch auch mit ’runtergefallen und hat sich erschreckt.«
Bärbel bekam die Schokolade und den erneuten Befehl, ruhig liegenzubleiben.
Aber schon nach einer Viertelstunde begehrte das Kind dringend, aufzustehen; und so erfüllte man ihm seinen Wunsch.
Halb angezogen war Bärbel, da betrat Toni das Schlafzimmer mit der Nachricht, daß der Schornsteinfeger gekommen sei.
»Siehst du«, sagte die Großmama unvorsichtig, »nun kommt schon der schwarze Mann, der dich abholen will.«
Furchtlos lächelte Bärbel die Großmutter an. »Kann er mich mitnehmen, Großmama?«
»Dann steckt er dich in den Schornstein.«
»Und dann schimpfst du nicht, wenn ich ganz dreckig ’rauskomme?«
»Kleine Mädchen gehören nicht in den Schornstein, das ist doch nur eine Strafe.«
»Hat der Schornsteinfeger auch eine Mutti?«
»Ja.«
»Schimpft die Mutti nie, wenn er immer so schmutzig nach Hause kommt?«
»Nein.«
»Ooch …«
»Das ist doch sein Beruf!«
»Großmama, Bärbel möchte auch einen Schornsteinfeger als Beruf haben; das muß schön sein, dann braucht man sich gar nicht mehr zu waschen.«
»Der Schornsteinfeger wäscht sich an jedem Abend.«
»Nein, Großmama, der wascht sich nicht!«
»Das verstehst du nicht, Bärbel. – Jetzt laß dich fertig anziehen und denke dabei immer an den Schutzengel, der sonst böse wird.«
»Hat der Schornsteinfeger auch einen Schutzengel? Kriecht der in dem weißen Kleid hinter dem Manne im Schornstein her?«
»Ja.«
»Ooch – Großmama, muß der aber schmutzig sein! Ich möcht’ auch mal in den Schornstein kriechen, damit mein Schutzengel auch schwarz wird! – Liebe, liebe Großmama, laß mich auch mal in den Schornstein!«
»Sprich nicht so albernes Zeug, Kind!«
»Wenn aber die Kugel von dem Schornsteinfeger dem Engel auf den Kopf fällt?«
Frau