Arme auch wie Flügel durch!«
»Schlaf jetzt, mein liebes Goldköpfchen. Bei den Engeln ist das ganz anders als bei den Menschen.«
»Nun ja, wenn sie einen Schlitz haben.«
Frau Lindberg ging nochmals durch das Zimmer, das sie seit einigen Tagen mit Bärbel bewohnte, und öffnete die obere Scheibe des Fensters, weil es schwül war. Bärbel verfolgte ihr Tun mit größter Spannung.
»Komisch, Großmama, daß der große Schutzengel mit den langen Flügeln zu so einem kleinen Fenster hereinrutschen kann.«
»Schlaf nun endlich, Goldköpfchen.«
»Großmama, – kann der böse Teufel auch durch so eine kleine Scheibe?«
»Wenn du artig bist, jagt der Schutzengel den Teufel hinaus.«
»Ach, Großmama, Bärbel möchte wohl einmal sehen, wenn der Schutzengel den Teufel verhaut!«
Frau Lindberg näherte sich der Tür, dort wandte sie sich nochmals um.
»Wenn du jetzt nicht ruhig bist, mein Kind, schlafe ich bei Joachim.«
Ein silberhelles Lachen ertönte. »In dem kleinen Bett? Ach, Großmama, da gehst du ja gar nicht ’rein!«
Frau Lindberg verschwand aus dem Zimmer. Sie wußte, daß sie dieser Abendunterhaltung stets ein gewaltsames Ende bereiten mußte, denn gerade des Abends hatte Bärbel Hunderte von Fragen auf dem Herzen.
Das Kind aber blinzelte nach der offenen Scheibe, betrachtete dann das Bild an der Wand, auf dem ein Schutzengel ein Kind behütete, und philosophierte nochmals:
»Heut wird der Himmel wohl nur einen kleinen Schutzengel schicken, der durch die Scheiben durchrutschen kann. – Ob der wohl auch den großen Teufel verhauen kann?« Und schließlich endete das Nachdenken in dem Gebet, daß der große Teufel von dem kleinen Schutzengel tüchtig geprügelt werden möge.
Als Frau Lindberg zwei Stunden später das Schlafzimmer betrat und nochmals am Bett des Kindes stand, schlief Goldköpfchen schon lange sanft. Es lächelte sogar und schien einen schönen Traum zu haben. Geräuschlos entkleidete sie sich, und bald verkündeten ihre regelmäßigen Atemzüge, daß sie in tiefen Schlummer gesunken war.
Unruhig warf sich Bärbel auf die Seite. Sie schüttelte das Köpfchen, machte schließlich die Augen auf und merkte, daß irgend etwas über ihr Gesicht krabbelte.
»Uch –!«
Die Hände des Kindes griffen nach der Wange.
»Mutti, – Mutti!«
Frau Lindberg fuhr aus dem Schlafe aus.
»Ein großes olles Tier schläft in Bärbels Bett!«
Frau Lindberg sprang heraus, drehte das elektrische Licht an und eilte zu dem aufrecht sitzenden Kinde.
»Weg ist es!«
Aber da kam es schon wieder hervor.
»Uch –!«
Es war ein Maikäfer.
»Das Tierchen hat sich verflogen«, sagte Frau Lindberg beruhigend, denn Bärbel stand in ihrem Bettchen und drückte die Arme fest an den Körper.
Aufgeregt lief der Käfer über die Decke. Frau Lindberg nahm ihn und ließ ihn durch das geöffnete Fenster fliegen. Goldköpfchen schaute dem Tierchen nach.
»Ein Schutzengel soll kommen, und ein oller Maikäfer ist da.«
»Das Tierchen hat sich verflogen, Goldköpfchen.«
»Großmama, – das ist gewiß einer von denen, die Bärbel heute aus Joachims Kiste gelassen hat.«
»Das kann sein.«
»Warum weckt er mich aber auf, wo ihn Bärbel doch zu seiner Mutti zurückgelassen hat?«
»Jetzt leg’ dich rasch wieder hin und schlafe weiter, mein Kind.«
»Sieh doch mal erst in meinem Bett nach, ob noch ein Zwilling drin ist.«
Das Bett wurde vollkommen ausgeräumt, und unter den beruhigenden Worten Frau Lindbergs legte sich Goldköpfchen wieder nieder.
»Solch ein Lausebengel«, schalt die Kleine, »da hätte der Käfer doch auch in der Kiste bleiben können.«
Frau Lindberg schickte sich an, wieder ins Bett zu gehen, – da stutzte sie. Was war das für ein Geruch? Sie zog rasch den Morgenrock über.
»Großmama, – willst du fortgehen?«
»Ich komme sofort wieder, Goldköpfchen.«
»Bleib doch lieber hier, Großmama.«
»Du brauchst dich nicht zu ängstigen, mein Kind, nebenan schläft Joachim. – Ich bin sofort wieder bei dir. Ich will nur sehen, ob der Maikäfer davongeflogen ist.«
»Aber du kommst doch gleich wieder?«
»Ja.«
Frau Lindberg verließ das Zimmer. Als sie hinaus auf den Flur trat, war der brenzliche Geruch noch stärker zu bemerken. Sie eilte die Treppe hinab, öffnete die Tür des Wohnzimmers, ging weiter und kam schließlich in die mit Rauch angefüllte Küche.
Aus dem Küchenofen war ein Stück glühende Kohle in den davorstehenden Kohlenkasten gefallen. Von dort aus schwelte es, und wenn auch bisher noch keine Flamme entstanden war, bestand doch die Gefahr, daß hier Feuer ausbrechen konnte.
Ohne eines der Mädchen zu wecken, machte sich die resolute Frau an die Arbeit, zunächst den Kohlenkasten hinaus in den Hof zu tragen und dort tüchtig mit Wasser zu begießen.
Dabei wurde sie von Felix, dem Hausdiener, gehört, der jetzt rasch zur Stelle war, und nun ging man ans Lüften von Küche und Hausflur.
»Großmama!«
Im Nachtröckchen stand Goldköpfchen vor Frau Lindberg.
»Ach, Großmama, wer raucht denn in der Nacht?«
»Komm zurück in dein Bett, Kind, du wirst dich erkälten.«
Der Hausdiener erhielt rasch noch einige Anweisungen, und da Frau Lindberg sah, daß jede Gefahr beseitigt war, nahm sie Bärbel auf den Arm und kehrte mit ihr ins Schlafzimmer zurück.
»Was hast du denn gemacht, Großmama? Warum ist denn so viel Rauch da?«
»Das erzähle ich dir morgen.«
»Ist der Maikäfer nun wieder fort?«
»Ja. – jetzt schlaf!«
»Weil der Maikäfer unten den vielen Rauch gesehen hat, ist er wohl zu uns ins Zimmer gekommen?«
Frau Lindberg sah ein, daß hier alle Ermahnungen zum Schlafen nichts nützen würden. Sie zog es daher vor, dem Kinde die erwünschten Aufklärungen zu geben. Sie trat an das Bett der Kleinen, deckte sie sorgsam zu und sagte:
»Du hast vorhin auf den Maikäfer gescholten, Goldköpfchen, derselbe Maikäfer hat uns vor einem großen Unglück bewahrt.«
»Was hat er denn gemacht?«
»Er ist heute nacht zu dir gekommen und hat mich aus dem Schlafe geweckt.«
»Das ist doch nicht schön von ihm.«
»Doch, Goldköpfchen. Wenn die Großmama heute nacht nicht aufgewacht wäre, wäre in der Küche ein großes Feuer ausgebrochen, und dann wäre dem Vati allerlei verbrannt. Da hat der Maikäfer dich geweckt, aus Dankbarkeit dafür, weil du ihm gestern die Freiheit zurückgabst. Er hat gemeint, daß deinem Vati nicht alles verbrennen darf, er ist auf dein Gesicht geflogen, dort umhergekrochen, bis du munter geworden bist und mich gerufen hast.«
Aufmerksam hatte das Kind zugehört. »Hat er denn den Rauch gemerkt?«
»Gewiß.«
»Und wo ist nun das