Nancy Omreg

Tara


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dass im Dark Hole dieses Wochenende eine tolle Veranstaltung läuft mit Live-Konzert und After-Show-Party“, sprudelte Fine voll Begeisterung hervor. „Du kannst dich doch nicht ewig in deiner Wohnung verschanzen.“ Mit großen, leuchtenden Augen sah sie mich an. „Außerdem solltest du mal sehen, was für schöne Söhne andere Mütter haben“, sprach sie und kniff mir in den Arm.

      Ich zögerte. Das Dark Hole war eigentlich einer unserer Lieblingsclubs. Er befand sich in dem ungefähr 40 km entfernten Berlin. Wir fuhren stets mit der S-Bahn von unserem Wohnort Potsdam nach Berlin und dort weiter mit der U-Bahn nach Kreuzberg, einem Stadtteil von Westberlin, den wir dank des Mauerfalls nun regelmäßig besuchen konnten. Es war immer ganz lustig nachts mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, was man da so alles erlebte.

      Aber bei meiner derzeitigen Stimmung würde wohl selbst dort keine Fröhlichkeit bei mir aufkommen können. Ich wollte auch keine anderen Jungs kennen lernen. Ich wollte nicht einmal welche sehen. Von denen hatte ich die Nase voll und ich war davon überzeugt, dass ich mich nie wieder auf einen einlassen würde.

      „Ach Tara, bitte, bitte, bitte“, flehte mich Fine an. Ich erinnerte mich an mein Spiegelbild und überlegte wie viel Zeit ich noch hatte, um meine Erscheinung bis zum Wochenende halbwegs wieder herzustellen. „Ich weiß nicht. Ich glaube, das ist noch zu früh für mich und Geld habe ich auch nicht so übrig“, antwortete ich.

      „Ach komm schon. Der Eintritt geht auf mich und wir können ja davor auf der Hinfahrt was trinken“, versuchte Fine mich zu überzeugen. Ich schaute in ihr bettelndes Gesicht. Sie hatte wieder ihren Miezenblick aufgesetzt, den sie immer anwandte, wenn sie mich unbedingt zu etwas überreden wollte und jedes Mal klappte dies auch.

      „Ok“, widerwillig ließ ich mich breitschlagen. Ich schuldete Fine wirklich etwas, so wie sie die letzte Zeit für mich da gewesen war. Schon vor der Trennung hatte sie mich oft genug unterstützt und mich bei sich aufgenommen. Außerdem, vielleicht tat mir so eine Abwechslung wirklich gut.

      „Oh, bombastisch!“, meinte Fine und fiel mir um den Hals. „Ich habe da noch eine bessere Idee. Wir fahren bereits einen Tag eher los und gehen noch schöne Klamotten kaufen. Schlafen können wir in der kleinen Pension, die wir letztens entdeckt haben, die war ja billig. Was meinst du?“

      Ich hätte es ahnen müssen. Fine versuchte gerne immer noch etwas herauszuschlagen, wenn sie mich endlich dort hatte, wo sie wollte. Worauf hatte ich mich da nur wieder eingelassen.

      Jedoch war Shoppen gehen eine sehr gute Idee. Bei den Lumpen, die ich noch hatte, war das bitter nötig. Ich wollte mich neben meiner stets schick gekleideten Freundin nicht blamieren. Fine hätte es bestimmt nicht nötig, sich noch mehr Kleidung zu kaufen, denn sie war bestens ausgestattet. Sie hatte aber das typische Frauenproblem, von wegen nie das Richtige im Schrank zu haben.

      Fine und ich gingen noch ein Stück zusammen nach Hause. Sie redete ohne Unterbrechung über unseren Kurztrip und plante schon die Shoppingtour und was wir den nächsten Tag noch so machen könnten, bevor das Konzert los ging. So wie es aussah, gingen wir beide auch den ersten Abend aus, in eine Bar, von der sie gehört hatte und welche wohl „bombastisch“ sein sollte, wie sie gerne besonders tolle Dinge bezeichnete. Es sollte wohl so eine Trink- und Tanzbar sein, in der unsere Musik gespielt wurde und die auch dementsprechend eingerichtet war. Die Bar befand sich ebenfalls in Kreuzberg, gleich in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserer Pension.

      Mindestens zehn Läden zählte Fine auf, in die wir unbedingt müssten, weil die Klamotten dort wohl „bombastisch“ wären. Das ich zuvor erwähnte, kaum Geld zu haben, hatte sie wohl bereits vergessen oder ignorierte es erfolgreich. Vielleicht ging sie auch davon aus, dass ich wieder übertrieb und es nur eine meiner Ausreden war, die ich gerne benutzte, wenn ich bei etwas nicht mitmachen wollte. Damit hätte sie auch recht, denn grob überschätzt würde mein Konto das geplante Wochenende locker decken können.

      An der nächsten Ecke trennten sich unsere Wege. Ihr Nachhauseweg führte in ein Viertel der Stadt, das bekannt war für seine schönen Stadtvillen. Eine davon gehörte ihren Eltern und sie bewohnte eine kleine Maisonettewohnung darin.

      Ich hingegen wohnte allein in einer Wohnung zur Miete in einem kleinen Mehrfamilienhaus. Dahin war ich vor ein paar Jahren gezogen, als ich mit dem Studium anfing.

      Geboren wurde ich jedoch in Michendorf. Als ich zwei Jahre alt war flohen meine Eltern in den Westen und ließen mich bei meinem Onkel und meiner Tante in Werder zurück, wo ich dann auch aufwuchs. Auch nach dem Mauerfall hatten sich meine Eltern nie bei uns gemeldet.

      Als ich mein Abitur gemacht hatte, was durch die Wende ohne Probleme möglich war, hingegen in der DDR durch die Flucht meiner Eltern beinahe undenkbar gewesen wäre, entschloss ich mich nach Potsdam zu ziehen und zu studieren. Seit dem hatte ich mit meinem Onkel und meiner Tante kaum noch Kontakt, was mich nicht störte, da wir uns nie gut verstanden hatten.

      So kam es, dass ich in das Holländerviertel zog. Es hieß so, weil es einst für holländische Arbeiter erbaut wurde und die Häuser daher alle im holländischen Stil errichtet waren. Roter Ziegel, Giebeldächer und Fenster mit breiten, weißen Holzzargen ohne Außenfensterbank.

      Dies war ein Viertel, das eher zu den schlechteren der Stadt gehörte. Dennoch mochte ich den Charme meiner Wohnumgebung. Die Häuser waren teilweise verfallen und heruntergekommen, wenige waren saniert und nachts war diese Gegend für eine Frau nicht so sicher wie es bei Fine war, wenn in unserem Viertel die Betrunkenen über die Straßen torkelten.

      Jedoch tagsüber gab es immer etwas Schönes zu entdecken. Um mich herum wohnten Hausbesetzer und viele Künstler. Dementsprechend gab es gemütliche und nicht ganz so gewöhnliche Cafés, die zum Philoso-phieren und Führen von unterhaltsamen Gesprächen einluden. An manchen Ecken saßen die Hausbewohner mit ihren Freunden auf Stühlen vor ihrem Haus und unterhielten sich, sangen oder machten Musik. Ihre Hunde liefen frei herum und hofften von dem Einen oder Anderen ein Stück Wurst zu bekommen, die jene Person soeben von einem kleinen Bistro erstanden hatte oder vom kiezbekannten Theo, der von seinem, auf dem Land lebenden Onkel, wöchentlich frische Fleisch- und Wurstwaren erhielt und diese gern unter der Hand verkaufte.

      Fine besuchte mich auch gern in meinem Viertel, dann gingen wir in die Cafés oder legten uns auf dem Hof in die Sonne.

      Ich verabschiedete mich bei Fine, die mir erneut mit einem Jauchzer um den Hals fiel. „Oh Tara, das wird so toll! Das wird unser schönstes Wochenende!“, jubelte sie.

      „Ja, es wird bestimmt super werden“, versuchte ich in ihre Freude einzustimmen.

      „Super? Mensch Tara, das wird bombastisch!“ Ich nickte und lächelte. So kannte ich Fine und deswegen mochte ich sie auch so gerne. Sicher ging sie nun nach Hause und plante genauestens unseren Ausflug mit der Präzision einer Reiseleiterin.

      Als ich nach Hause kam empfing mich auf dem Treppenabsatz bereits Filou, der Kater meiner älteren Nachbarin. Ich streichelte sein langes, leicht verfilztes Fell, dessen einstiges weiß sich in einen gräulichen Farbton verfärbt hatte. Der Kater war schon sehr alt. Auf einem Auge sah er bereits nicht mehr so gut, aber er war noch so verschmust wie ein junges Kätzchen. Dankbar leckte seine raue Zunge über meine Hand.

      „So, nun ist gut Filou, ich muss rein“, flüsterte ich zu ihm. Zufrieden schnurrend legte er sich auf meinen Fußabstreicher und fing an vor sich hin zu dösen.

      Ich öffnete meine Tür und sah meine Wohnung auf einmal mit völlig anderen Augen. Die Realität schlug ein wie eine Bombe. Die Zeit mit Fine schien mich wach gerüttelt zu haben. Ich hatte mich echt gehen lassen. Meine Wohnung sah aus wie eine Müllhalde und es stank. Es stank abgrundtief eklig. Ich musste aufräumen und zwar sofort. So konnte ich es hier nicht mehr aushalten.

      Ich schaute auf die Uhr. Es war 13 Uhr. So, wie die Wohnung aussah, würde ich wohl bis in die Nacht zu tun haben, aber es half alles nichts, ich musste es in Angriff nehmen. Beschwingt von meinem Antrieb legte ich meine Lieblingsmusik auf und begann mich meinem Dreck zu stellen.

      Der Aufwasch war eine Herausforderung für sich. Ich hatte bisher keine Ahnung gehabt, wie fest Käse an einem Teller kleben konnte, was natürlich meinen Ehrgeiz weckte