Nancy Omreg

Tara


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erstrahlte in neuem Glanz. Ich war verschwitzt und fertig, aber in mir fühlte ich ein warmes, mittlerweile schon fast vergessenes Gefühl des Glücks.

      Es war, als ob ich mit dem Dreck auch den Schmerz der Trennung beseitigt hatte. Als ob ich nicht nur den Käse vom Teller abgekratzt hätte, sondern mit ihm auch Max aus meinem Herzen.

      Ich öffnete mir ein Glas Gewürzgurken, welches so ziemlich das Einzige war, was ich an Essbare in meiner Wohnung noch besaß, nahm die letzte Flasche Rotwein aus dem Schrank und ließ mich erschöpft in meinen Ohrensessel fallen. Gewürzgurken und Rotwein passte ja mal gar nicht zusammen, gut schmecken geht jedenfalls anders und was viele saure Gewürzgurken und trockener Wein im Magen anrichten konnten, weiß man ja. Auf das Sodbrennen freute ich mich schon.

      Der Hunger trieb jedoch die Gurken hinein und die Freude über einen Belohnungsschluck nach harter Arbeit ließ den Wein schnell schwinden und schließlich merkte ich die ungenießbare Kombination nicht einmal mehr. Das ich heute nicht lange aufbleiben würde, war mir bereits klar gewesen, das zeitige Aufstehen, der Stress beim Aufräumen und nun tat der Alkohol noch sein Übriges.

      Nach ungefähr über der Hälfte der Flasche Rotwein wurde ich so müde, dass ich kaum noch die Augen aufhalten konnte. Ich bezweifelte sogar, dass ich es noch ins Bett schaffen würde, vielleicht war ich auch einfach nur zu faul dazu und wollte den Dämmerzustand, den ich gerade hatte, nicht durch Bewegung zerstören. Also stellte ich das Gurkenglas und den Wein auf meinen Beistelltisch. Ich nahm die kuschelige Decke von der Lehne meines Sessels und hüllte mich darin ein. Noch ehe ich den heutigen Tag in Gedanken Revue passieren lassen konnte, hatten mich der Schlaf geholt und mich in die Traumwelt entführt.

      4 Loslassen

      Als ich erwachte, war der Morgen schon längst angebrochen. Die Sonne spiegelte sich in den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses wider.

      Ich hörte wie sich zwei Männer auf der Straße anschrien. Den einen erkannte ich an der Stimme. Er wurde von allen Ole genannt. Wie er richtig hieß, wusste ich nicht. Er bezeichnete sich selbst als Punk, war jedoch im Vergleich zu seinen Kameraden schon ziemlich alt. Allerdings konnte ich mir gut vorstellen, worüber der Streit ging.

      Fremde Menschen waren hier im Viertel von einigen nicht gern gesehen, besonders nicht von Ole. Seit der Wende kamen aber nun ab und an Leute von drüben um sich die Häuser anzusehen, die historisch von Bedeutung waren, um eventuell das ein oder andere Holländerhaus zu kaufen.

      Der Punk Ole hatte jedoch die Wende noch nicht so gut verkraftet und vermutete daher bei jedem fremden Anzugträger, der noch dazu neugierige Fragen stellte, dass dieser zur Stasi gehörte. Vermutlich machte Ole gerade dies mal wieder einem Wessi zum Vorwurf.

      Ich gähnte und räkelte mich. So gut wie in dieser Nacht hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Kein nächtliches Aufwecken und Wachliegen, keine Alp-träume und keinen Kater am nächsten Morgen, sondern einfach nur ein frisches, ausgeruhtes Wohlbefinden. Ich wickelte mich aus meiner Decke und ging zum Fenster um es zu öffnen. Ein lauwarmes Lüftchen wehte mir entgegen. Es schien heute ein warmer, letzter Septembertag zu werden.

      Es roch nach Lavendel und Rose. Sabine vom Nachbarhaus schien neue Rezepte für Seifen auszu-probieren. Ein leises Rattern einer Töpferscheibe drang mir ins Ohr. Der Klang kam aus dem Haus von Thomas und seiner Frau Paula. Die beiden wohnten zwei Häuser weiter von mir auf der anderen Straßenseite. Thomas machte nicht nur gewöhnliche Töpferarbeiten wie Vasen oder Krüge. Er experimentierte gern und zauberte aus der Tonmasse auch mal kleine Elfen oder Tiere hervor, manchmal sogar ganze Skulpturen. Seine Frau stellte Schmuck her aus Perlen, Steinen und Federn und allerlei bunten Dingen, die sich aufkleben oder aufreihen ließen. Nebenbei fertigte Thomas auch kleine Tonanhänger für Paulas Schmuck an.

      Ich mochte es ihnen beim Arbeiten zuzuschauen, wenn ich mal die Gelegenheit erhielt und sie ihre Fenster offen hatten. Sie waren ein nettes Paar und es wurde gemunkelt, dass Paula wohl langsam besser mit dem Stricken von Babysachen anfangen sollte, anstatt ihren Schmuck zu basteln. Ich war gespannt, ob ihr Kind genauso kreativ werden würde wie seine Eltern es waren.

      Der Wessi hatte inzwischen genug von Oles Pöbeleien und war gegangen. Ole stand noch da und schimpfte vor sich hin. Schließlich ging er weiter in Richtung Benkertstraße. Wahrscheinlich wollte er zu Jan, der vor seinem Haus bereits Stühle hinausstellte. Ich atmete tief die frische Luft ein und ging dann in die Küche um mir einen Kaffee aufzusetzen.

      Gut gedacht, aber der Kaffee war alle. Genau wie alles andere bei mir, wie ich mit einem Blick in den Kühlschrank und in die Schränke feststellte. Gewürzgurken wollte ich heute Morgen nun echt keine mehr essen. Ich beschloss also mich zuerst einmal ausgiebig zu duschen und zu pflegen und danach zu Marla zu gehen. Sie besaß ein kleines Café und hatte jeden Morgen ganz leckere, frische Schrippen und selbst gemachte Marmelade.

      Ich duschte ausgiebig. Das Badezimmer war voller Wasserdampf als ich aus der Dusche herauskam. Ich trocknete mich ab, kämmte mir die nassen Haare und wischte den beschlagenen Spiegel trocken. Ich fönte meine Haare und betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Das dunkelrot meiner Haare war inzwischen ausgewaschen und wirkte eher orangebraun. Ein etwa 5cm breiter Ansatz in meiner Naturhaarfarbe aschblond, bzw. „Straßenkötermischung“, wie sie auch genannt wurde, ließ die Haare noch ungepflegter aussehen. Die Spitzen meiner fast bis zum Po reichenden langen Haare waren ungleich lang und ausgefranst. Ein Friseurbesuch vor dem Wochenende war unbedingt noch nötig. Mein Magenknurren unterbrach meinen prüfenden Blick im Spiegel. Also entschloss ich mich schnell Zähne zu putzen und anzuziehen und zehn Minuten später war ich bereits auf den Weg zu Marla.

      Als ich das Café betrat, empfing mich der Duft von frisch gemahlenen Kaffee. Marla bediente gerade Peter und seine Freundin Nele, die ihren kleinen Sohn auf dem Schoß hatte. Ich setzte mich einen Tisch weiter neben den Dreien hin.

      Ich wohnte bereits seit dreieinhalb Jahren in dem Viertel und ich war inzwischen sehr gut von meinen Nachbarn in die Gemeinschaft aufgenommen wurden. Dennoch traute ich mir nicht, mich einfach zu ihnen an den Tisch zu setzen oder ohne Einladung mich einfach mit zu den unterhaltsamen Grüppchen vor den Häusern zu gesellen. Tom meinte immer, ich wäre zu schüchtern. Damit hatte er auch sicherlich recht.

      Andererseits genoss ich es auch gern allein zu sein und nur Kontakt zu suchen, wenn mir einmal danach war, weswegen ich mich nicht zu sehr integrieren wollte, um nicht ständig von irgendjemanden nach einem Treffen gefragt zu werden.

      Marla kam an meinen Tisch und schenkte mir ihr warmes und herzliches Lächeln. Ihr Alter schätzte ich auf ungefähr Mitte 50. Sie lebte hier ohne Mann und ohne Kinder. Sie meinte stets, dass dies der Grund dafür sei, warum sie noch so eine tolle Figur hätte und noch so gut aussah.

      So wie ich gehört hatte, war sie noch nie verheiratet gewesen. Ihr Vater war im Krieg umgekommen, als sie noch sehr klein gewesen war und so wuchs sie mit ihren vier Geschwistern nur bei der Mutter auf. Es hieß, sie wäre mit achtzehn von zu Hause weg und hätte ab Ende der 50er Jahre im Milieu gearbeitet. Manche meinten, sie wäre da Sängerin gewesen in einschlägigen Bars. Andere meinten, sie hätte dort als Prostituierte gearbeitet und wäre da sogar von einem Kunden schwanger geworden, doch hätte sie ihr Kind abgeben müssen.

      Wie es wirklich war wusste nur Marla und sie hatte nicht die Absicht jemals ihr Geheimnis über ihre Vergangenheit zu lüften.

      „Na Herzl“, sprach Marla mit ihrer samtigen Stimme. „Das Gleiche wie immer?“ Ich nickte und strahlte sie an. Ich fühlte mich in ihrer Nähe immer so wohl und geborgen. Wir brauchten nicht viele Worte um uns einfach gut zu verstehen.

      „Hey Tara, wo waren du und Max denn am Freitag gewesen? Wölfchen meinte, dass ihr kommen wolltet oder hattet ihr doch Angst vorm Schnaps bekommen?“, fragte mich Nele.

      Mist! Da war die Frage, vor der ich die ganze Zeit schon Angst hatte. Max und ich waren von Wölfchen zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen wurden. Er wurde 22 und da dies eine Schnapszahl war, meinte er, dass es auch 22 verschiedene Schnapssorten geben sollte. Er hatte die halbe Mittelstraße dazu eingeladen und auch einige von der Benkertstraße. Im Hof