Agnes Christofferson

Leichen im Keller, Maden im Speck, und die Mäuse tanzen auf dem Tisch


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zu tun. Sofort war ich wie gebannt und rief meinen Mann zu: „Das ist so krass und so eklig! Das will ich auch machen!“ Mein Mann nahm mich nicht ernst, denn ich habe öfter verquere Ideen. Doch diesmal meinte ich es ernst. Ich wollte mehr über diesen Beruf erfahren, und noch am gleichen Tag begann ich mit der Recherche und der dazugehörigen Jobsuche. Allerdings wohnten wir in einer Kleinstadt mitten im Nirgendwo, und die Jobsuche ergab nichts.

      Als wir jedoch drei Jahre später in eine Großstadt zogen, setzte ich meine Jobrecherche fort und wurde tatsächlich fündig. Eine Gebäudereinigungsfirma suchte noch Mitarbeiter. Und voilà! Ich durfte nicht nur ein Praktikum machen, sondern wurde nach der Einarbeitung in Desinfektion und Arbeitsschutz zu einer neuen Mitarbeiterin gekürt.

      So, und jetzt genug gefaselt. Am besten fange ich jetzt mal an.

       Leichenexperten und Blutspurenprofis

      Oh, bevor ich gleich loslege und euch in die Schattenwelt unserer Gesellschaft entführe, möchte ich noch gern das eine oder andere Klischee aus der Welt schaffen und ein paar Schubladen aufräumen. So viel Zeit muss sein.

      Die meisten Leute, denen ich begegne, denken, dass Tatortreiniger echte Allrounder sind: Leichenexperten, Blutspurenprofis und was weiß ich. Nicht gerade selten werden meiner Kollegin und mir Löcher in den Bauch gefragt: Wie lange braucht eine Leiche, um komplett zu verwesen? Wann erscheinen die ersten Schmeißfliegen auf der Bildfläche? Wann fängt eine Leiche an zu stinken? Das Tatortreiniger Leichenexperten oder Blutspurenprofis sind, stimmt nur bedingt und kommt auf den Tatortreiniger an.

      Tatortreiniger ist nach meiner Kenntnis (noch) kein eigener Ausbildungsberuf. Es gibt viele Wege, um Tatortreiniger zu werden. Manche Gebäudereiniger bieten Fortbildungen an. Oder man absolviert eine Weiterbildung zum staatlich geprüften Desinfektor. Die Kollegen kommen oftmals aus den unterschiedlichsten Branchen. Zumindest die, die ich kennengelernt habe.

      An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich von meiner persönlichen Erfahrung spreche. Mein Chef beispielsweise war Bestatter und kannte sich mit Leichen bestens aus. Der war ein echter Profi und hat uns viel beigebracht. Ein ehemaliger Kollege wiederum kam aus der Gebäudereinigung und hatte mit Leichen nichts am Hut, dafür konnte er super putzen. Dann hatten wir noch eine Praktikantin, die aus einem Pflegeberuf kam, und die wiederum hatte von allem ein wenig Ahnung. Ich persönlich habe nur bedingt Ahnung von Leichen, kenne mich aber dafür mit Hygiene und Desinfektion gut aus, weiß, worauf es beim Beseitigen von Blut und Leichenüberresten ankommt und bei welchen Krankheitserregern besondere Vorsicht geboten ist. Nicht selten haben wir mit Hepatitis, HIV oder Tuberkulose zu tun.

      Auch begegne ich immer wieder Leuten, die glauben, dass die Leiche noch da ist, wenn Tatortreiniger kommen, und die dann irgendwie drum herumputzen. Das wäre doch ein bisschen schräg. Die Leiche befindet sich üblicherweise dort, wo sie hingehört: im Leichenschauhaus oder bereits unter der Erde. Denn wenn es sich zum Beispiel um einen echten Tatort handelt, also Mord und Totschlag, können sogar Wochen vergehen, bis der Tatort freigegeben wird, weil die Ermittlung noch läuft. So müssen Tatortreiniger in der Regel warten, bis der Leichenfundort von der Staatsanwaltschaft oder dem Nachlassgericht freigegeben wird. Gut, die Welt ist groß und das Universum sowieso, vielleicht gibt es ja Tatortreiniger, die schon mal um eine Leiche herumgeputzt haben. Mir jedenfalls ist es noch nicht passiert. Ausschließen will ich es nicht, alles ist möglich.

      Was Blut angeht, so ist es in diesem Job nicht ganz unwichtig zu wissen, dass Blut gerne spritzt. Vor allem bei blutigen Suiziden oder Morden spritzt es. Da sollte man sich schon etwas gründlicher umsehen. So hatten wir mal einen Fall, in dem eine Seniorin vom Einbrecher erschlagen wurde. Der Einbrecher hatte direkt im Flur zugeschlagen, und so befand sich die Blutlache unmittelbar vor der Tür. Wir bekamen den Auftrag, den Boden zu reinigen und zu desinfizieren. Da der Flur sehr spärlich beleuchtet war, mussten wir als Erstes einen kleinen Baustrahler aufstellen, um überhaupt etwas sehen zu können. Dabei entdeckten wir noch mehr Blut an der Tür. Die Kommode in unmittelbarer Nähe sowie die benachbarte Wand hatten jedoch nur ein paar Spritzer abbekommen. Viel zu putzen, gab es nicht. So schien es jedenfalls. Meine Kollegin freute sich schon darüber, pünktlich Feierabend machen zu können. Ich sagte, dass ich mich auf Mittag freue, und dann sagte ich noch, dass mir der Flur irgendwie zu sauber vorkommt. Meine Kollegin wollte wissen, was ich denn damit meine.

      „Ich meine“, sagte ich, „es müsste eigentlich viel mehr Blut geben. Sieht man doch immer in Filmen. Da wird einer erschlagen und zack, ist alles voller Blutspritzer. Meine Kollegin lachte und meinte, ich würde vermutlich nur zu viele schlechte Filme schauen. Mag ja vielleicht sein, dachte ich, ich schaue wirklich viele schlechte Filme, dennoch erschien mir der Tatort zu sauber. Instinktiv richtete ich den Strahler zu Decke und zack, da hatte ich meine Sauerei. Tatsächlich hatte die Decke einiges abbekommen. Wenn wir also zu einem blutigen Einsatz gerufen werden, weiß ich, dass ich vorsichtshalber in allen Ecken nachschauen sollte.

      Eine Sache möchte ich auch gern aus der Welt schaffen. Zumindest ich werde öfter gefragt, ob ich so arbeite wie Bjarne Mädel in der Serie „Der Tatortreiniger“. Ich kenne die Serie zwar flüchtig, doch ich weiß, dass es am Arbeitsplatz der fiktiven Figur oft zugeht wie am Bahnhof. Da herrscht reger Durchgangsverkehr. Ständig steht einer auf der Matte. Das war bei uns nicht so. Man lässt jetzt nicht einfach irgendwelche Leute rein, die dann über die Leichenreste laufen und sie schön in der Gegend verteilen. Tatortreiniger tragen ja nicht aus Spaß Schutzanzüge und arbeiten in voller Montur. Ganz abgesehen davon legten wir viel Wert auf Diskretion, daher arbeiteten wir für gewöhnlich ohne Groupies. Störende Besucher oder sensationsgierige Nachbarn haben bei uns nur wenig Aussicht auf Erfolg. Oh, und Familienangehörige stehen gar nicht so oft auf der Matte, wie man denkt. Der Schock steckt einfach so tief in den Knochen, dass die meisten froh sind, wenn jemand kommt und die Sauerei wegmacht.

      Auch geht es bei uns nicht so spaßig zu wie in der Serie. Das heißt jetzt nicht, dass wir keinen Spaß haben. Den haben wir durchaus. Nur nicht mir Angehörigen. Auch wenn mir schon mal der eine oder andere zynische Spruch auf der Zunge brennt, muss ich mich aus Respekt und Taktgefühl zusammenreißen. Manchmal ist das zugegebenermaßen verdammt schwer. Wir mögen es vielleicht witzig finden, wenn wir einen Teil eines Fingers finden und einer sagt, zeig ja nicht mit dem Stinkefinger auf mich, doch ein Familienangehöriger würde es womöglich nicht so spaßig finden. Daher scherzen wir eher unter uns. Humor ist ganz wichtig, zumindest meiner Meinung nach. Humor hilft mit diesen nicht gerade alltäglichen Dingen umzugehen. Und Tatortreiniger sehen wirklich verdammt viele von diesen nicht gerade alltäglichen Dingen.

      So, und jetzt fange ich wirklich an.

       Hinab ins Kaninchenloch

      „Mama? Bist du eigentlich ein Schornsteinfeger?“, fragt mich meine kleine Tochter, als wir auf dem Weg in die Kita sind.

      „Nein. Ich habe doch viel zu starke Höhenangst. Deswegen arbeite ich als Ninja“, antworte ich.

      Unsere Arbeitskleidung ist nämlich schwarz: schwarze Arbeitshose, Arbeitsstiefel und Shirts. Wir sehen ziemlich finster aus. Mich persönlich hat es am Anfang große Überwindung gekostet, so auf die Straße zu gehen. Ich bin ja jemand, der sehr auf sein Äußeres achtet. Es wird gecremt, geschminkt, gepudert und nichts dem Zufall überlassen. Meine Klamotten sind nicht von vorgestern und die Frisur sitzt bei jedem Wetter. Doch mittlerweile habe ich mich mit der Arbeitskleidung arrangiert. Es ist gar nicht so übel, ein Ninja zu sein.

      Zu der Montur gehören schwarze T-Shirts mit dem Firmenlogo der Tatortreinigung Janssen, allerdings vermeide ich es, diese Shirts zu tragen. Darin fällt man nämlich auf wie ein bunter Hund. Als hätte man eine Leuchtreklame auf dem Rücken. Wenn man beispielsweise ins achte Stockwerk zum Einsatz muss, kann es sein, dass man auf dem Weg dorthin ein Grüppchen neugieriger Nachbarn um sich geschart hat. Diskretes Arbeiten geht anders.

      Tatsächlich standen schon Leute aus dem Nachbarhaus auf der Matte und wollten sehen, wie wir so arbeiten, weil sie die Serie „Der Tatortreiniger“ gesehen haben, und dann denke ich: Ja, deswegen bin auch hier. Ich für meinen Teil arbeite lieber diskret, daher achte ich darauf, dass ich eher unauffällig wirke. Mein Chef dagegen genießt die Aufmerksamkeit. Für ihn