Agnes Christofferson

Leichen im Keller, Maden im Speck, und die Mäuse tanzen auf dem Tisch


Скачать книгу

Chef. Ähnlich wie Schotty („Der Tatortreiniger“) habe ich einen Boss. Wenn meine Kollegin und ich also zum Einsatz gerufen werden, wurden bereits alle Formalitäten durch meinen Chef erledigt. Es wurde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, sich ein Überblick verschafft, eine Einschätzung durchgeführt und ein Kostenvoranschlag gemacht. Wenn alle Parteien zufrieden sind, bekommen wir, ähnlich wie Schotty, einen Auftrag bzw. eine Auftragsbestätigung in die Hand gedrückt und schwirren los. Je nachdem wie gründlich mein Chef seinen Job erledigt hat, wissen wir, welches Equipment wir benötigen. Es ist jedes Mal aufregend und ein wenig, als würde man ein faules Überraschungsei aufmachen. Stinken tuts immer, nur der Inhalt ist jedes Mal anders.

      Da mein Chef aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aktiv am Einsatzort arbeitet, bin ich für gewöhnlich mit meiner erfahrenen Kollegin Andrea unterwegs. Sie gehört praktisch zum Inventar und ist Mädchen für alles. Selbst im Büro hilft sie mit. Sie ist fünfzig und eine sehr resolute und selbstbewusste Frau. Sie ist so eine, der man nicht widerspricht. Sie erinnert mich an eine Nonne aus meinem früheren Religionsunterricht. Wenn die sagte, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hatte, dann war das so und man hinterfragte nicht. Sie war eben eine Nonne und musste es wissen. Und Andrea ist Andrea und weiß es auch. Andrea ist, wie bereits am Anfang des Buchs erwähnt, nicht ihr richtiger Name, doch er passt zu ihr. Vielleicht wird ihr der Name sogar gefallen.

      Abgesehen von Andrea habe ich noch zwei Aushilfskollegen, die uns beim Entrümpeln unter die Arme greifen. Die Reinigungsarbeit überlassen sie allerdings uns, was auch gut ist, denn ich für meinen Teil habe das Gefühl, dass Andrea und ich besser putzen. Vielleicht deshalb, weil wir einen Haushalt führen und Kinder haben. Da weiß man einfach, worauf es bei der Sauberkeit ankommt. Auch kennt man Alltagstricks, die Großmutter noch wusste. So weiß ich, dass eine vergilbte Klobrille wunderbar mit Backofenspray sauber wird und handelsübliche Essigsäure hartnäckigen Urinflecken prima zu Leibe rückt.

      Zu unserem Standardequipment gehört eine Kiste mit allerhand Putzausrüstung und eine mit allerlei Chemikalien und Desinfektionsmitteln, die so lustige Namen wie Perform, Blutoxol oder B5 haben. Schutzkleidung, Handschuhe und Atemmasken sind selbstverständlich auch dabei.

      „Komm, leg einen Zahn zu. Wir werden gerade von einer Schnecke überholt“, sage ich zu meiner Tochter. Ich bin nämlich ein bisschen spät dran. Ein Messieeinsatz in Essen erwartet mich. Als ich meine Tochter in der Kita abgebe, düse ich schnell zum Auto. Andrea und ich treffen uns üblicherweise im Büro. Danach bequatschen wir kurz die Lage, packen das Equipment ein und fahren gemeinsam im Firmenwagen (einem Transporter mit Firmenlogo) zum Einsatzort.

      Als ich zehn Minuten später ankomme, wartet Andrea bereits auf mich. Sie drückt mir den Auftrag in die Hand, und ich lese ihn während der Fahrt durch. Ein junger Mann hat angerufen. Seine Mutter, eine sehbehinderte Seniorin, war in ihrer Wohnung gestürzt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Das war natürlich nicht das Problem. Die Wohnung war das Problem. Wie sich herausstellt, war die Bewohnerin ein Messie. Der Sohn hat uns Fotos von der Wohnung geschickt: Der Müll und allerhand Gerümpel, das ein normaler Mensch weggeschmissen hätte, stapelt sich bis an die Decke. Lediglich ein paar schmale Trampelpfade führen durch den Mülldschungel. Ich habe absolut keine Ahnung, wie man die gute Frau da rausbugsiert hat. Reinbugsiert hat man sie auf jeden Fall nicht mehr, denn sie wurde in einer Anlage für betreutes Wohnen untergebracht. Meiner Einschätzung nach ist das auch besser so.

      Leer geräumt ist die Wohnung allerdings bereits, weil der Sohn anfänglich eine andere Firma beauftragt hatte. Diese war allerdings nicht bereit gewesen, auch die Reinigung durchzuführen. So hat er sich an uns gewandt und das Standardprogramm gewählt: reinigen und desinfizieren. Dazu gehören Böden, Fenster, Türen, alle gefliesten Flächen sowie das Bad. Nachher soll es so aussehen und riechen, als wäre nie etwas passiert, denn die Wohnung soll schnellstmöglich vermietet werden.

      Ich bin ein wenig enttäuscht. Entrümpeln gehört zu meinen Lieblingstätigkeiten. Möbel zu Kleinholz machen und Schränke fremder Menschen durchwühlen und das alles legal und mit dem Einverständnis der Angehörigen. Das soll nicht heißen, dass ich gerne in Sachen fremder Menschen wühle wie so ein verrückter Spinner, aber es macht ein bisschen Spaß. Ich schätze, es liegt einfach in der Natur des Menschen, neugierig zu sein. Hinzu kommt, dass ich als Autorin ein sehr interessierter und wissbegieriger Mensch bin. Ich spiele halt gern Mäuschen.

      Die Wohnung befindet sich in einem privilegierten und bekannten Essener Stadtteil. Entzückende Häuser, hübsche Gärten und protzige Karossen prägen das Straßenbild. Man sieht sofort, dass hier die Schönen und Reichen leben. Feine Leute eben. Die Straßen sind sauber. Hier und da geht eine feine Dame mit ihrem Luxushündchen flanieren. Die Bewohnerin lebte mittendrin in einer kleinen entzückenden Villa mit drei Wohneinheiten und war keine arme Schluckerin.

      Als wir den Hauseingang betreten, scheint alles normal. Es ist ein wirklich hübscher Hauseingang: glänzender Marmorboden, stilvoll geflieste Wände und eine Treppe wie in „Vom Winde verweht“. Es ist blitzeblank und wirklich sehr ruhig. Falls hier Menschen leben, dann schweben sie durch ihre Wohnungen.

      Doch als Andrea die Wohnungstür öffnet, ist nichts mehr normal. So gar nicht normal. Plötzlich komme ich mir vor wie Alice im Wunderland. Als wäre ich in ein Kaninchenloch gefallen und in einer verkehrten Welt rausgekommen. Der Gestank nach verrottetem Müll, kalter Asche und Exkrementen schlägt mir sofort ins Gesicht. Und dann fällt mein Blick auf den Boden. Er ist bräunlich, irgendwie pelzig, und er klebt. Sehr sogar. „Was ist das für ein komischer Teppichboden. Und wieso klebt er so?“, frage ich, während ich nach Luft ringe.

      „Das liegt daran“, erwidert Andrea ruhig, „weil es kein Teppichboden ist. Die Bewohnerin hat die gesamte Wohnung als Toilette benutzt.“

      „Ist das etwa Pipi und Kacka?“, rufe ich.

      „Ja. Das ist Pipi, Kacka, Müll und Asche und was weiß ich noch“, erwidert Andrea fachkundig. Sie kennt das bereits.

      Der Pipi-Kacka-Teppich zieht sich über den Fliesenboden weiter fort. Vor allem im Wohnzimmer ist er großflächig verteilt und zentimeterdick. Man kann praktisch erkennen, wo die Möbel gestanden haben. Ich sehe buchstäblich die Kommode, das Sofa und den Fernsehtisch vor mir. Und dazwischen halt viel Dreck. Die Wände sehen nicht besser aus. Als hätten Kinder mit brauner Fingerfarbe rumgeschmiert. Nur dass es keine Fingerfarbe ist. Es sind menschliche Exkremente. Wie der Kot auf die Wände kommt, weiß ich nicht. Das ist jetzt auch nichts, was zu Alttagspannen gehört. Dass man mal Kaffee- oder Teespritzer an der Wand findet, weil jemand mit einer vollen Tasse gestolpert ist, kommt ja bekanntlich vor. Meine kleine Tochter kann das ganz gut mit Saft. Aber wie man das mit Fäkalien hinbekommt …

      Darüber hinaus war die Bewohnerin starke Raucherin gewesen. Die Fenster und die eigentlich schönen Altbautüren haben einen dicken, klebrigen Gelbschleier, der sich auch super als Fliegenfalle eignet. Tatsächlich kleben Insekten daran. Sehr praktisch, wie ich finde.

      Als ich das Bad betrete, erscheint mir die restliche Wohnung wie ein Traum. „Okay“, sage ich, als ich im kotverschmierten Türrahmen stehen bleibe. In dieser Wohnung ist irgendwie alles kotverschmiert, und ich kann mir keinen Reim darauf machen. Ich für meinen Teil wasche mir nach dem Toilettenbesuch grundsätzlich die Hände. So was kommt im normalen Leben doch nicht vor! „Schöner Wohnen geht definitiv anders“, füge ich hinzu. Das Klo ist voller alter Fäkalien und quilt nur so über. Die Wände drumherum sehen auch nicht besser aus: zentimeterdick mit Kot verschmiert. Das Klo erinnert mich an einen überdimensionalen Schokomuffin, der im Backofen explodiert ist. Wumm! Und der ganze Backofen ist mit dem Schokomuffin vollgesaut.

      Tatsächlich wird es nicht mein letztes vollgesautes Klo bleiben. In fast jeder Messiewohnung ist so ein Exemplar zu finden und scheint zu einer Messiewohnungsausstattung dazuzugehören. Dabei sind die Klos nicht etwa kaputt. I wo! Die funktionieren einwandfrei. Die Spülung geht, Wasser läuft und die Rohre sind frei. Das ist ein wirklich interessantes Phänomen. Und bis heute habe ich nicht herausgefunden, was passieren muss, damit ein Klo so aussieht. Aber eins ist klar: Über Nacht entsteht so was nicht.

      Der Rest des Badezimmers sieht nicht besser aus. Nicht nur die Wände, sondern auch der halbe Badezimmerboden ist zentimeterdick mit versteinerten