Tira Beige

Rebeccas Schüler


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be­gann, wie der Sonn­tag­nach­mit­tag ge­en­det hat­te: spät­som­mer­lich warm. Das Ge­wit­ter und der Re­gen taug­ten kaum dazu, die heiß ge­wor­de­nen As­phalt­stra­ßen auf eine er­träg­li­che Wär­me zu sen­ken. Die Hit­ze stau­te sich zwi­schen den Häu­ser­fron­ten und den ab­ge­stell­ten Au­tos. Sie drück­te sich selbst in die engs­ten Gas­sen hin­ein. Sie saß auf und zwi­schen den Bän­ken des Stadt­parks. Sie be­fiel die ei­ge­nen vier Wän­de wie ein bö­ses Vi­rus. Die Hit­ze kroch an den Schlaf­zim­mer­wän­den bis zur De­cke hin­auf. Dort hock­te sie und war­te­te.

      Rebecca stand nackt vor dem Spie­gel ih­res Klei­der­schranks. Sie war sich un­sch­lüs­sig dar­über, was sie an ih­rem ers­ten Ar­beits­tag in der neu­en Schu­le an­zie­hen soll­te. Schon jetzt roch die Luft nach Fun­ken und Flir­ren, als dro­he ein na­hes Ge­wit­ter, das die Schwü­le hin­weg­fe­gen wür­de.

      Rebecca zog un­ge­dul­dig ein Kleid nach dem an­de­ren aus dem Schrank, warf es auf das Bett oder press­te es ge­gen ih­ren schweiß­durch­näss­ten Kör­per. Dann sah sie ihre som­mer­lich bun­ten Blu­sen schim­mern, die mit ei­ner Shorts oder ei­nem Rock be­stimmt ganz adrett an­mu­te­ten. Das kur­ze Schwa­r­ze, das sie kürz­lich in der Dis­co an­hat­te, als sie Ce­d­ric und Li­nus erst­mals traf, düns­te­te noch im Wä­sche­korb vor sich hin.

      Nach ei­ni­gem Hin und Her fiel ihre Wahl auf einen eng ge­schnit­te­nen, kur­z­en Rock und eine rote Blu­se. Da­mit wür­de sie zu­gleich pro­fes­si­o­nell wir­ken und sexy aus­se­hen. Eine Kom­bi, mit der sie schon an ih­rer al­ten Schu­le be­vor­zugt pro­vo­ziert hat­te. Durch den Spit­zen­string schmieg­te sich der wei­che Stoff des Rocks haut­nah an ih­ren Po an. Ihre Hän­de konn­ten gar nicht so schnell ge­zü­gelt wer­den, wie sie neu­gie­rig über den Hin­tern stri­chen. Die Blu­se lag eben­falls ver­bo­ten dicht am Kör­per an und be­ton­te, was es zu ak­zen­tu­ie­ren gab.

      Rebecca neig­te den Kopf leicht schräg und be­gut­ach­te­te das Re­sul­tat ih­rer Ent­schei­dung im Schlaf­zim­mer­spie­gel. Im­mer wie­der dreh­te sie sich nach links und nach rechts, glät­te­te den Stoff des Rocks oder zog sich die Blu­se ge­ra­de. Noch war das Out­fit nicht per­fekt, denn ohne die pas­sen­den Schu­he, ohne ein de­zen­tes Make-up und ohne den rich­ti­gen Schmuck war das Er­geb­nis nur halb ide­al. Es muss­te vom ers­ten Tag an den rich­ti­gen Ein­druck ver­mit­teln. Nie­mand soll­te auf die Idee kom­men, sie für bie­der oder alt­ba­cken zu hal­ten.

      Es brauch­te noch wei­te­re drei­ßig Mi­nu­ten, be­vor Rebecca ih­ren ho­hen Ansprü­chen ge­recht wur­de und zu­frie­den mit ih­rem Aus­se­hen aus ih­rer Woh­nung stol­zier­te. Das Trep­pen­haus stemm­te sich ei­sern ge­gen die som­mer­lich drü­cken­de Hit­ze. Die kal­ten grau­en Wän­de trotz­ten der Wär­me von au­ßen und jag­ten klei­ne Schau­der über Rebeccas Rü­cken. Die Ab­sät­ze ih­rer Pumps schlu­gen hart auf und lie­ßen den Flur er­zit­tern. Um ih­ren Arm schwang eine Hand­ta­sche. Am ers­ten Tag be­durf­te es nicht vie­ler Uten­si­li­en: Kurs­lis­ten, Mit­schrif­ten aus der Leh­rer­kon­fe­renz, ihr Fe­der­mäpp­chen. Mehr muss­te sie nicht ein­ste­cken.

      Als sie aus dem Haus hin­aus­trat, roll­te ihr ein Schwall knis­tern­der Ener­gie ent­ge­gen. Dass sich be­reits um kurz nach halb neun eine so ge­wit­ter­schwe­re At­mo­sphä­re über die Stadt leg­te, war un­ge­wöhn­lich und ver­hei­ßungs­voll. Rebecca sehn­te sich nach Ab­küh­lung, denn schon nach we­ni­gen Schrit­ten be­netz­te Schweiß ihre Stirn. Ihre Wan­gen glüh­ten wie im Fie­ber­wahn. Nicht nur, weil ihr die Hit­ze zu Kopf stieg. Sie glimm­ten vor Auf­re­gung und Neu­gier­de. Was wür­de sie heu­te er­war­ten? Wäh­rend sie Rich­tung Schu­le lief, fan­ta­sier­te sie, wie sie in der Aula vor­ge­stellt wur­de: Wie sie sich er­hob. Wie sie an­ge­gafft und ers­te Ur­tei­le über sie ge­fällt wur­den. Und dann ihre ers­te Stun­de im Kurs. Sie sah eine ge­sichts­lo­se Mas­se an Mäd­chen vor sich sit­zen, da­zwi­schen Ce­d­ric und Li­nus. Wie wür­den die bei­den Jungs re­a­gie­ren, wenn sie fest­stell­ten, dass sie mit ih­rer neu­en Leh­re­rin und Tu­to­rin be­reits Be­kannt­schaft ge­schlos­sen hat­ten? Wür­den sie sich über­haupt an sie er­in­nern oder hat­ten sie die Be­geg­nung in der Dis­co längst aus dem Ge­dächt­nis ge­stri­chen?

      Rebecca nä­her­te sich dem Sport­gym­na­si­um. Als sie noch bei der Zei­tung an­ge­stellt war, muss­te sie öf­ter dar­an vor­bei­fah­ren. Ihre Jog­ging­stre­cke führ­te sie eben­falls manch­mal an dem weiß­grau­en, klotz­ar­ti­gen Ge­bäu­de vor­bei. An der gro­ßen Turn­hal­le, an dem Fuß­ball­ra­sen mit dem üp­pi­gen Grün und an der oran­ge schim­mern­den Tar­tan­bahn. Al­les sah ak­ku­rat ge­pflegt aus, wie sie es von ei­ner Schu­le die­ser Aus­rich­tung er­war­te­te. Des Öf­te­ren hat­te sie beim Vor­bei­lau­fen Schü­ler ren­nen, sprin­gen oder spie­len ge­se­hen, ohne zu ah­nen, dass sie hier ir­gend­wann ar­bei­ten wür­de. Heu­te war es so­weit. Sie be­trat den Ein­gang als Leh­re­rin.

      Die Ner­vo­si­tät ma­xi­mier­te sich, als sie die Schu­le er­reich­te und ei­ni­ge Schü­ler zeit­gleich mit ihr hin­ein­ström­ten. Noch nahm kaum je­mand No­tiz von ihr. Rebecca steu­er­te wie die Schü­ler der vo­lu­mi­nö­sen Aula zu. Dort ver­lie­ßen ge­ra­de die Fünft- bis Acht­kläss­ler den Saal. Gleich wür­den die Klas­sen 9 bis 12 eine Ein­füh­rung ins neue Schul­jahr er­hal­ten.

      Ei­ni­ge Ju­gend­li­che sa­ßen be­reits auf ih­ren Plät­zen und plau­der­ten. Scheu blick­te sich Rebecca im Raum um, als sie nach vorn Rich­tung Büh­ne lief. Je­der Schritt fühl­te sich wie der Gang zum Scha­fott an. Mit je­dem wei­te­ren, den sie nach vorn ab­sol­vier­te, glaub­te sie, die Bli­cke der Schü­ler im Nacken zu spü­ren.

      In der ers­ten Rei­he sa­ßen ihre neu­en Kol­le­gen und starr­ten Lö­cher in die Luft. Auf ih­ren Ge­sich­tern ruh­te die Ent­span­nung, wäh­rend Rebeccas Au­gen von Ner­vo­si­tät ge­zeich­net wa­ren. Sie hat­te ge­hofft, dass Ro­bert schon da war. Er hät­te ihr die Kraft ge­ge­ben, die sie jetzt brauch­te, und ih­ren Puls be­ru­higt. Doch er war nicht da.

      Mayer stand auf der Tri­bü­ne und fum­mel­te ge­mein­sam mit ei­nem Kol­le­gen am Mi­kro­fon her­um. Rebecca setz­te sich ne­ben eine äl­te­re Kol­le­gin und strich ner­vös über ih­ren Rock. Ihre klatsch­nas­sen Fin­ger rie­ben an­ge­spannt über den Stoff. Ein Blick auf die Uhr. In zehn Mi­nu­ten wür­de die Ein­füh­rung be­gin­nen. Ihre trie­fen­den Hän­de ver­keil­ten sich in­ein­an­der. Rebecca blick­te sich er­neut um. Eine Wand an Ge­sprä­chen drang in ihr Ohr, im­mer wie­der über­tönt durch das Rü­cken von Stüh­len oder das Ra­scheln von Ta­schen. Zwi­schen den vie­len un­be­kann­ten Ge­sich­tern sa­ßen ir­gend­wo Ce­d­ric und Li­nus. Viel­leicht wur­de sie ge­ra­de von ih­nen oder von den Mäd­chen in ih­rem Tu­tor­kurs an­ge­schaut. Lä­cheln, Rebecca. Sie rang sich Freund­lich­keit ab, doch die pri­ckeln­de Ge­spannt­heit ih­rer Ner­ven über­tünch­te schlicht­weg ihre gut ge­mein­ten Vor­sät­ze. Die Mund­win­kel fie­len bei­nah au­to­ma­tisch nach un­ten zu­rück. Da­her dreh­te sich Rebecca weg von der Mas­se der Frem­den und rich­te­te ih­ren Blick starr auf die Büh­ne, auf der Mayer sei­ne Zet­tel sor­tier­te.

      »Gu­ten Mor­gen!« Das ers­te be­kann­te Lä­cheln an die­sem Mon­tag­mor­gen. Ro­bert strahl­te sie an. Sicht­lich er­freut, sein wohl­tu­en­des Ge­sicht mit dem schie­fen Mund zu se­hen, grins­te Rebecca ihm ent­ge­gen. »Ich set­ze mich ne­ben dich, wenn das okay ist«, sag­te Ro­bert und nahm den Platz be­reits in An­spruch, noch wäh­rend der Satz sei­ne Lip­pen ver­ließ.

      »Auf­ge­regt?«,