Tira Beige

Rebeccas Schüler


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sich noch ein­mal um und blick­te in die Men­ge der Un­be­kann­ten.

      »Tu’s bes­ser nicht«, raun­te ihr Ro­bert zu.

      »Was?«

      »Dich um­dre­hen. Das macht dich nur noch ner­vö­ser. Du zer­fließt ja jetzt schon vor Auf­re­gung. Ich mer­ke doch, dass du am liebs­ten flüch­ten wür­dest, so auf­ge­kratzt, wie du auf dem Stuhl her­um­rutschst.« Er war ein wirk­lich wach­sa­mer Mensch. Rebecca war gar nicht auf­ge­fal­len, dass sich ihre Bei­ne be­weg­ten. Mal über­kreuzt, mal lang aus­ge­streckt, mal zu Ro­bert ge­neigt, mal nach hin­ten hin an­ge­win­kelt. Doch ihr Kopf konn­te nicht an­ders. Er muss­te sich im­mer­fort um­bli­cken. Als wür­de eine in­ne­re Kraft sie dazu zwin­gen, in die frem­den Ge­sich­ter zu bli­cken.

      Un­er­war­tet leg­te sich Ro­berts Hand auf ihr Knie und Rebeccas Kopf schnell­te zu ihm her­um. Mit gro­ßen Au­gen schau­te sie ih­ren Kol­le­gen an. Der aber schien ab­so­lut un­be­ein­druckt von der in­ti­men Ges­te sei­ner Hand zu sein. »Hier­her, Rebecca«, flüs­ter­te er und zog so­gleich sei­ne Hand von ih­rem Knie ab. Er woll­te sie bloß be­ru­hi­gen und ihre Bli­cke nach vorn zwin­gen.

      Es schien los­zu­ge­hen, denn Mayer räus­per­te sich ins Mi­kro­fon. Es wur­de sicht­lich lei­ser im Saal.

      »Gu­ten Mor­gen!«, schall­te die so­no­re Stim­me des Di­rek­tors durch die Aula und ließ die letz­ten Schwät­zer ver­stum­men. Es folg­te ein mo­ti­vie­ren­des Zi­tat ei­nes Phi­lo­so­phen, das Rebecca so­fort ver­gaß. Sie hör­te kaum den Aus­sa­gen des Schul­lei­ters zu, weil der Druck einen di­cken Klum­pen in ih­rem Hals er­zeug­te und sich schwer auf ihre See­le leg­te. Sie schluck­te ihn hin­un­ter. Das sorg­te nur da­für, dass sich der Kloß in ih­rem Bauch fest­setz­te und als di­cker Bro­cken ihre Ein­ge­wei­de mal­trä­ti­er­te. Am liebs­ten wäre sie auf­ge­sprun­gen und hät­te auf der Stel­le den Raum ver­las­sen. Sie glaub­te, auf ein­mal Durch­fall zu be­kom­men und schleu­nigst auf die Toi­let­te zu müs­sen. Es glu­cker­te und groll­te hör­bar in ih­rem Bauch und Ge­där­men. Der Schweiß rann von ih­rer Stirn, lief an den Schlä­fen hin­ab. Die Hän­de flos­sen weg. Rebeccas Bei­ne wuss­ten nicht mehr, wo sie hin soll­ten. Weg, weg von hier, schri­en sie.

      Je mehr Wor­te Mayer ins Mi­kro­fon goss, des­to un­woh­ler fühl­te sich Rebecca in ih­rer Haut. Sie muss­te sich dazu quä­len, auf sei­ne Sät­ze zu hö­ren und nicht auf ih­ren ver­rä­te­rischen Kör­per, der mit Ent­kom­men re­a­gie­ren woll­te. Das ers­te Mal Leh­re­rin nach drei Jah­ren.

      »Das neue Schul­jahr bringt uns auch im­mer neue Kol­le­gen.« Mayer wirk­te un­ge­heu­er sou­ve­rän, wie er da vorn an sei­nem Red­ner­pult stand und Herr sei­ner selbst war. Er strahl­te Do­mi­nanz und Be­herr­schung aus. Sein sei­di­ger schwa­r­zer An­zug schim­mer­te im Licht der Büh­nen­be­leuch­tung. Die Schü­ler zoll­ten ihm Ach­tung, denn sei­ne Wor­te brach­ten alle im Saal zum Schwei­gen.

      »Ihr wisst, dass Frau Frit­sche im Ba­by­jahr ist. Sie wird ver­tre­ten von Frau Pe­ters.« Mayer rich­te­te sei­nen Blick auf Rebecca und deu­te­te mit ei­ner Hand­be­we­gung an, dass sie auf­ste­hen soll­te. Sie woll­te Stär­ke ausstrah­len, aber ihr Kör­per zwäng­te sich le­dig­lich trä­ge in die Senk­rech­te. Ein flüch­ti­ger Blick, ein kur­z­es Ni­cken über die Köp­fe der An­we­sen­den hin­weg, dann sank Rebecca in ih­ren Stuhl zu­rück. Als wäre sie von ei­nem mehr­stün­di­gen Marsch aus dem Ge­bir­ge wie­der­ge­kom­men. Hat­te sie ge­lä­chelt?

      »Frau Pe­ters wird die Tu­to­rin für den Kurs von Frau Frit­sche. Au­ßer­dem über­nimmt sie …« Rebecca war nicht mehr in der Lage, Mayer zu fol­gen. Zu sehr fol­ter­te es sie, dass sie nicht selbst­be­wusst auf­ge­tre­ten war. Die ers­te Stun­de in ih­rem Kurs muss­te un­be­dingt an­ders ab­lau­fen.

      Nach an­stren­gen­den zwan­zig Mi­nu­ten be­en­de­te Mayer sei­nen Mo­no­log und entließ die Klas­sen und Kur­se so­wie die Leh­rer in ihre ers­ten ge­mein­sa­men Stun­den. Jetzt muss­ten die or­ga­ni­sa­to­ri­schen Din­ge ge­klärt wer­den. Rebecca woll­te den Schwer­punkt heu­te auf das Ken­nen­ler­nen len­ken.

      »Du packst das schon«, lä­chel­te Ro­bert, als Un­ru­he im Saal auf­bran­de­te. Die ers­ten Schü­ler ver­lie­ßen schnat­ternd die Aula und dräng­ten in die Klas­sen­zim­mer. Rebecca blick­te sich scheu nach den Ju­gend­li­chen um, die im­mer zahl­rei­cher als na­men­lo­se Mas­se nach drau­ßen ver­schwan­den.

      »Du hast net­te Leu­te in dei­nem Kurs. Die fres­sen dich nicht auf«, be­ru­hig­te Ro­bert. »Wenn du magst, be­glei­te ich dich in dei­nen Raum.« Sein An­ge­bot war lieb ge­meint. Aber wie sähe es aus, wenn der Kol­le­ge sie ab­setz­te wie ein Klein­kind, das in den Kin­der­gar­ten ge­bracht wur­de?

      »Dan­ke, ich schaff das al­lein«, sag­te Rebecca. Nicht über­zeu­gend, aber mit der nö­ti­gen Kraft, um ihn zu­frie­den­zu­stel­len.

      »Okay. Dann se­hen wir uns in der Früh­stücks­pau­se im Leh­rer­zim­mer?«, hak­te er nach.

      Rebecca nö­tig­te sich ein un­si­che­res Kopf­ni­cken ab und ver­ließ mit den letz­ten Ju­gend­li­chen die Aula.

      Sie wuss­te, wo sie gleich erst­mals auf ih­ren Kurs tref­fen wür­de. Den Raum hat­te sie aus­ge­kund­schaf­tet, als sie vor ein paar Ta­gen zur Leh­rer­kon­fe­renz er­schie­nen war. Sie woll­te nicht hin. Sie muss­te hin. Dass sie zwei Schü­ler vom Se­hen kann­te, be­schwich­tig­te ei­ner­seits ihr zer­rüt­te­tes Ner­ven­ko­s­tüm. An­de­rer­seits fürch­te­te sie sich vor dem Zu­sam­men­tref­fen. War­um, das wuss­te ihr fla­ckern­der Kör­per wohl selbst nicht ge­nau.

      Auf dem Gang war es ru­hig. Die meis­ten Kin­der und Ju­gend­li­chen be­fan­den sich in ih­ren Klas­sen- und Kurs­räu­men. Vie­le Tü­ren wa­ren ge­schlos­sen. Die lau­tes­ten Ge­räu­sche ver­ur­sach­ten ihre Heels, die, Ma­schi­nen­ge­wehr­ku­geln gleich, an den Wän­den des Flurs wi­der­hall­ten. Die Tür zu ih­rem Raum stand of­fen. Ge­mur­mel drang bis auf den Gang hin­aus. Rebecca ver­harr­te in ih­rer Be­we­gung. Ihre At­mung ging ab­ge­hackt und flach. Ein kur­z­es Schlie­ßen der Au­gen brach­te kei­ne Be­ru­hi­gung. Sie strich sich ein letz­tes Mal den Schweiß von der Stirn. Jetzt gab es kein Zu­rück. Der di­cke Klotz in Rebeccas Bauch grum­mel­te ein fins­te­res Lied. Es wäre falsch, sei­ner Me­lo­die zu lau­schen und dem Drang, aus dem Ge­bäu­de zu ver­schwin­den, nach­zu­ge­ben.

      Ein tie­fer Atem­zug von der sti­cki­gen Luft des Flu­res, dann presch­te Rebecca in den Kurs­raum hin­ein und flog auf den Lehrer­tisch zu. Sie mein­te, im Ge­hen den Kopf ge­dreht und den Schü­lern eine lei­se Be­grü­ßung durch ihre hoch­ge­zo­ge­nen Mund­win­kel ge­ge­ben zu ha­ben.

      Beim Auf­bli­cken zeig­te sie das schöns­te Lä­cheln, das sie sich in die­sem Mo­ment ab­rin­gen konn­te. Ihre Au­gen blie­ben auf den Ge­sich­tern hän­gen. Man­che Mäd­chen de­mon­s­trier­ten of­fen ihre Sym­pa­thie. Wie­der­um an­de­re schau­ten neu­tral nach vorn. Man­che mus­ter­ten Rebecca mit kri­ti­schem Blick. Wel­ches Bild moch­te sie wohl ab­ge­ben? Jetzt, da sie am Lehrer­tisch stand und sich mit ei­ner Hand an der Kan­te fest­krall­te.

      Ganz links, auf der letz­ten Bank, sa­ßen Ce­d­ric und Li­nus. Ce­d­rics hüb­sches Ge­sicht konn­te nur glot­zen. Li­nus’ Mund stand of­fen. Sie wuss­ten, wer sie war. So­fort steck­ten bei­de die Köp­fe zu­sam­men und mur­mel­ten sich et­was zu.

      »Ich be­grü­ße euch ganz