Tira Beige

Rebeccas Schüler


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dass dich die Schwan­ger­schaft nicht all­zu sehr mit­nimmt und du dich trotz di­ckem Bauch im Haus be­tä­ti­gen kannst. Im wie­viel­ten Mo­nat bist du jetzt? Im sechs­ten oder schon im sieb­ten? Ich drü­cke dir alle Dau­men, die ich habe, dass du den Rest der Schwan­ger­schaft un­be­scha­det über­stehst und du einen ge­sun­den Jun­gen zur Welt bringst. Ich weiß, wie sehr ihr euch auf den Nach­wuchs freut. Das hast du ja im­mer wie­der die letz­ten Male ge­schrie­ben. Und ich gön­ne euch das Glück von gan­zem Her­zen. :-)

      Mor­gen geht bei mir die Schu­le wie­der los. Du kannst dir gar nicht vor­stel­len, wie furcht­bar auf­ge­regt ich bin!! Es ist ja schließ­lich das ers­te Mal seit drei Jah­ren, dass ich wie­der vor eine Klas­se oder einen Kurs tre­te. Am ers­ten Schul­tag steht für mich zwar noch kein Un­ter­richt an, aber ich ler­ne trotz­dem die Schü­ler bei der Be­grü­ßung in der Aula ken­nen. Also nicht alle, das wäre ge­lo­gen. Die Schu­le ist recht groß, so­dass die klei­nen Klas­sen um 8:30 Uhr be­grüßt wer­den, die »Gro­ßen« um 9 Uhr. Da ich aus­schließ­lich in Klas­se 9, 10, 11 und 12 Un­ter­richt gebe, wer­de ich nur in der zwei­ten Ver­an­stal­tung »ein­ge­führt«. Du weißt, was ich mei­ne. ;-)

      Ir­gend­wie habe ich Angst da­vor, nach so lan­ger Zeit wie­der zu un­ter­rich­ten. Es ist ja nun schon ei­ni­ge Jah­re her, dass ich vor Kin­dern und Ju­gend­li­chen ge­stan­den habe. Gut, ich habe Gott sei Dank grö­ße­re Klas­sen zu be­treu­en, so­dass ich mir kei­ne Sor­gen dar­über ma­chen muss, ob der Un­ter­richt ru­hig ab­lau­fen wird. Aber trotz­dem muss ich mich erst ein­mal auf ganz vie­le neue Ge­sich­ter ein­stel­len. Sei­en es die Kol­le­gen, die Schü­ler oder auch das Per­so­nal an der Schu­le. Al­les ist neu. Wird si­cher­lich eine an­stren­gen­de Wo­che für mich! Von da­her mel­de ich mich heu­te, falls wir uns nicht gleich wie­der hö­ren …

      Wie geht es Tom und eu­rer Toch­ter? Habt ihr mal was von Paul ge­hört?

      Mir selbst geht es den Um­stän­den ent­spre­chend gut. Ich gehe ganz viel lau­fen. Jog­gen ist zu ei­nem mei­ner wich­tigs­ten Hob­bys ge­wor­den. Ne­ben dem Le­sen na­tür­lich. Ein gu­tes Buch habe ich im­mer ir­gend­wo rum­lie­gen. Bin auch viel in der Bi­blio­thek, um mir was aus­zu­lei­hen.

      Ich hat­te dir ja schon ge­schrie­ben, dass ich an ei­nem Sport­gym­na­si­um an­fan­ge. Da­her wer­den die Schü­ler si­cher noch mal mehr dar­auf schau­en, wie ich selbst aus­se­he. Ob­wohl ich zu­ge­ben muss, dass die meis­ten Kol­le­gen nicht un­be­dingt den Ein­druck er­we­cken, recht fit zu sein. ;-) Aber zu­min­dest möch­te ich von An­fang an im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes eine gute Fi­gur ab­ge­ben.

      Apro­pos Kol­le­gen: Ich habe einen sehr net­ten Mann an mei­nem ers­ten Tag an der Schu­le ken­nen­ge­lernt. Er heißt Ro­bert. Wir wa­ren ge­mein­sam beim Chi­ne­sen es­sen. Er wird mein Kol­le­ge in der zwölf­ten Klas­se – ist näm­lich auch Tu­tor, ge­nau wie ich. Ro­bert hat mir ei­ni­ges über mei­ne Schü­ler er­zählt, die ich in mei­nem Kurs habe. Da sind zehn Mäd­chen und zwei Jungs. Ich bin schon ge­spannt, wie sie auf mich re­a­gie­ren. Vor al­lem will ich sie erst ein­mal ge­nau­er un­ter die Lupe neh­men und Ein­zel­ge­sprä­che mit ih­nen füh­ren. Ro­bert hat mir den Tipp ge­ge­ben, dass ich so am schnells­ten mehr über sie er­fah­re.

      Mei­ne Ach­ter, die ich an der al­ten Schu­le hat­te, wa­ren ja eher schwie­rig. Ich hof­fe, dass die Schü­ler, die ich jetzt im Kurs habe, an­ge­neh­mer zu hand­ha­ben sind. :-) Sie sind ja ei­ni­ge Jah­re äl­ter als die Kin­der, die ich da­mals als Klas­sen­leh­re­rin vor mir hat­te. Von da­her bin ich sehr zu­ver­sicht­lich. Ro­bert hat aber schon an­ge­kün­digt, dass die bei­den Jungs et­was kom­pli­zier­ter sein sol­len. Oder an­ders: Er mein­te, dass ich ein Auge auf sie ha­ben soll­te. So oder so las­se ich mich über­ra­schen.

      Nun gut, da­mit bist du erst ein­mal auf dem ­neu­es­ten Stand. Ich wür­de mich freu­en, wenn du was von dir hö­ren lässt.

      Lie­be Grü­ße

      Rebecca

      Dass sie ihre Freun­din nicht mehr zu Ge­sicht be­kam, schmerz­te Rebecca. Der Um­zug vor drei Jah­ren soll­te einen Schluss­strich un­ter die Ver­gan­gen­heit set­zen und da­her war es ihr wich­tig, mög­lichst weit weg von Paul zu zie­hen. Seit ih­rem Um­zug hat­te Rebecca Ly­dia nicht mehr ge­se­hen.

      Ob sie je­mals Fuß in der neu­en Hei­mat fas­sen wür­de? Die Stadt war zu groß, zu an­onym, zu fremd, als dass es Rebecca bis­her ge­lun­gen war, Be­kannt­schaf­ten zu schlie­ßen. Nach­barn wa­ren für sie da, wenn sie Hil­fe brauch­te. Aber gleich­alt­ri­ge Freun­de zu fin­den, blieb ihr ver­sagt. Dazu fehl­te ihr die Kon­takt­freu­de. Ein­fach raus ge­hen und neue Per­so­nen an­spre­chen? Dazu fehl­te ihr der Mut.

      Ihre Ge­le­gen­heits­jobs, mit de­nen sie sich die letz­ten drei Jah­re über Was­ser ge­hal­ten hat­te, stell­ten sich eben­falls nicht als Kon­takt­bör­sen her­aus. In den ers­ten Mo­na­ten nach ih­rem Um­zug jobb­te Rebecca als Kell­ne­rin. Die weib­li­chen Be­die­nun­gen läs­ter­ten über Rebecca, weil sie aus ei­nem gut be­zahl­ten Be­ruf kam. Nun stand sie auf glei­cher Stu­fe mit ih­nen und muss­te aufs Geld schau­en. Im­mer glaub­te Rebecca trat­schen­de Wor­te zu ver­neh­men, über­all fühl­te sie sich un­be­hag­lich und be­ob­ach­tet. Da­her war eine Kün­di­gung dort un­ver­meid­lich, nach­dem sie eine Ho­no­ra­ran­stel­lung bei ei­ner Zei­tung er­hal­ten hat­te. Als Deut­sch­leh­re­rin fiel ihr das Schrei­ben nicht son­der­lich schwer, so­dass sie sich frag­te, ob sie nicht als Jour­na­lis­tin ihr Aus­kom­men si­chern konn­te. Die Zei­tung war aber un­ter kei­nen Um­stän­den be­reit ge­we­sen, sie als Re­dak­teu­rin an­zu­stel­len. Es han­del­te sich um einen klei­nen Be­trieb. Eine Chef­re­dak­teu­rin, ein Lo­kal­jour­na­list, zwei Ho­no­rar­kräf­te, ein Fo­to­graf. Ent­spre­chend dürf­tig fiel ihre Be­zah­lung aus. Nicht viel mehr als das, was sie in der Knei­pe ver­dient hat­te. Es reich­te ge­ra­de so, um die Mie­te zu be­glei­chen.

      Ne­ben der schlech­ten Ent­loh­nung hat­te Rebecca Mühe, über­haupt einen Fuß in die Tür zu be­kom­men. Lo­ka­le The­men aus­zu­gra­ben, glich selbst nach gut zwei Jah­ren An­stel­lung ei­ner Su­che nach der Na­del im Heu­hau­fen. Ihr haf­te­te im­mer­fort der Ma­kel der Zu­ge­zo­ge­nen an, so­dass sie nie wirk­lich bei der klei­nen Lo­kal­re­dak­ti­on hei­misch wur­de. Das zeig­ten ihr die Kol­le­gen nicht, aber ihre Ar­ti­kel wur­den gründ­li­cher vor Ab­druck über­prüft und oft hat­te die pe­dan­ti­sche Chef­re­dak­teu­rin et­was dar­an aus­zu­set­zen, än­der­te zum Bei­spiel noch kurz vor Druck Rebeccas Sät­ze ab, ohne mit ihr über die An­pas­sung zu spre­chen.

      Als im Früh­jahr die­sen Jah­res das Sport­gym­na­si­um eine An­zei­ge ein­reich­te, über­leg­te Rebecca nicht lan­ge und be­wa­rb sich auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le der Stütz­leh­re­rin, noch be­vor die An­non­ce in den Druck ging. Schwan­ger­schafts­ver­tre­tung zu über­neh­men, er­weck­te den An­schein, kein son­der­lich an­stren­gen­des Un­ter­fan­gen zu sein. Chan­ce auf Über­nah­me be­stand nicht.

      Bei ih­rem Be­wer­bungs­ge­spräch hat­te ihr neu­er Chef zu ver­ste­hen ge­ge­ben, dass kei­ne neu­en Leh­rer an der Schu­le ge­braucht wür­den. »In Ma­the, Phy­sik und In­for­ma­tik su­chen wir Kol­le­gen«, hat­te er be­tont. Der be­deu­tungs­schwan­ge­re Satz wirk­te noch lan­ge in Rebecca nach. Sie war als Deutsch- und Kunst­leh­re­rin un­wich­tig. Nie­mand brauch­te Leh­rer, die Kin­der zu Kre­a­ti­vi­tät an­lei­te­ten. Wich­tig wa­ren Leh­rer, die die Schü­ler in die hoch­do­tier­ten, best­be­zahl­ten Jobs der Wirt­schaft