Lars Burkart

Die letzte Seele


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lange Leitung habe.

      „Lass gut sein. Es gibt Tage, da schnall ich auch nichts.“

      Jeannine wollte wieder Schwung in die Unterhaltung bringen, aber Paul, der das Gefühl nicht loswurde, sich auf die Knochen blamiert zu haben, wagte kaum noch, den Mund aufzumachen. Aber den Alleinunterhalter zu spielen, darauf hatte Jeannine auch keine Lust, und sie überlegte, was ihn wieder auf die Beine bringen würde.

      „Sag mal, was ist das für ’n komisches Gesöff, was du da in dich reinschüttest? Ich Dummchen hab leider vergessen, wie das heißt.“

      Augenblicklich hellte sein Gesicht sich auf.

      „Das“, erklärte er bedeutungsschwanger und führte die Hand zum Glas, um ihm noch mehr Gewicht verleihen, „nennt sich Diesel.“

      „Diesel?“

      „Ja, Diesel.“

      „Hm, so wie der Treibstoff, ja?“

      „Haargenau so.“

      „Und das soll gesund sein?“

      „Na ja, wie man’s nimmt …“

      „Hältst du es für eine gute Idee, dann hier zu rauchen? Ich meine, mit diesem Zeug im Glas?“

      „Nein, nein, natürlich nicht so einen Diesel.“

      „Ja, was denn für einen?“

      Paul hatte langsam den Eindruck, sie wollte ihn verarschen. Saublöde Fragen kann dieses Weibsstück stellen, dachte er. Als ob er so was saufen würde! Aber Scheiß drauf! Sie sieht so gut aus, dass es schon fast verboten gehört. Und mal ehrlich: Du würdest so ziemlich alles machen, damit sie hierbleibt. Gib es zu! Du würdest sogar einen Kopfstand machen und mit deinem Arsch Fliegen fangen, wenn sie es von dir verlangt!

      „Es ist Bier, gemixt mit Cola.“ Er sah sie prüfend an.

      „Und das soll schmecken?“

      Der Klang ihrer Stimme verriet, dass sie die Frage ernst meinte.

      „Und ob das schmeckt! Willst du mal versuchen?“

      „Hm … okay. Aber nur aus deinem Glas.“

      Also reichte er ihr sein Glas. Sie trank zögernd. Ihr Blick inspizierte ihn von oben bis unten. Er genoss es. Ihre anfängliche Skepsis verflog. Schon nach zwei Schlucken trank sie alles andere als zögerlich. Paul sah ihr amüsiert zu. Es schien ihr so gut zu munden, dass sie kein einziges Mal absetzte und das Glas in einem Zug leerte. Und hinterher, als schon längst nichts mehr drin war, knallte sie es auf die Theke und sah ihn schuldbewusst an.

      „Und? Hat es geschmeckt?“

      Die Antwort war nicht ganz das, was er sich vorgestellt hatte. Sie rülpste. Und damit hätte sie es nicht besser ausdrücken können.

      „Ups, hab ich etwa eben dein Glas leergetrunken?“

      „Ja, so könnte man es nennen.“

      „Tut mir echt leid.“

      „Aber wieso denn? Das muss es nicht.“

      „Echt nicht?“

      „Nö. Wir bestellen einfach zwei: eins für dich und eins für mich. Was hältst du davon?“

      „Jau, so machen wir’s. Diesmal aber auf meine Rechnung.“

      „Wenn du meinst.“

      Keine fünf Minuten später gab Jeannine dem Barkeeper das Geld und spendierte sogar noch eine Camel. Sie hatten sich die Sargnägel kaum ins Gesicht gesteckt, als zwei von Pauls Freunden angewankt kamen. Er hatte ihnen zwar schon von weitem zu verstehen gegeben, dass er sie im Moment nicht brauchen konnte, aber entweder kapierten sie es nicht oder dachten, die Bar ist schließlich für alle da.

      „He, Paul, bist du an der Bar festgewachsen, oder was?“ Einer der beiden beugte sich zwischen ihnen zum Tresen hindurch und schien Jeannine gar nicht zu bemerken. Er schrie nach dem Barkeeper und stützte sich lässig mit dem linken Arm am Tresen ab. Dieser Rüpel hieß (oder sagt man: heißt? Der ältere Paul wurde immer konfuser in der Birne) Thomas. Und da bemerkte er Jeannine.

      Thomas war schon immer ein Aufschneidertyp gewesen. Erschwerend kam hinzu, dass er immer alles hinausposaunte, was ihm so in den Sinn kam. Eine Mischung, mit der er nicht immer leicht zu ertragen war.

      Thomas also sah Jeannine von oben bis unten an, und nach eingehender Untersuchung verkündete er sein Ergebnis, indem er anerkennend pfiff. Sofort war Paul vergessen, und er richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf Jeannine. Eine Sekunde lang sah er sie an und sprach kein Wort; anscheinend versuchte er das nun Folgende durch eine Kunstpause anzukündigen.

      „Was macht denn so ein hübsches Ding wie du so allein an der Bar?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, plapperte er weiter. „Du bist ja der Höhepunkt auf dieser Party, der Himmel steh mir bei, ja, das bist du!“

      „Ach ja? Bin ich das?“ Nichts an ihr ließ auch nur irgendeine Gefühlsregung erkennen.

      Thomas, der glaubte, soeben den genialsten, kreativsten, unwiderstehlichsten Spruch aller Zeiten gebracht zu haben, war irritiert. Aber er würde ihren wunden Punkt schon noch finden. Er musste nur genug Süßholz raspeln, bis ihr vorgetäuschter Widerstand (und das war er zweifellos) dahinschmelzen würde wie Schnee in der Sonne. Schließlich konnte keine ihm widerstehen. Bei seinem Charme, seinem Sex-Appeal! Er, Thomas, hatte schließlich das gewisse Etwas, das, was Frauen wollten – obwohl er nicht den blassesten Schimmer hatte, was das eigentlich sein sollte. Er war nur überzeugt, es zu haben. Hauptsache war, wenn man eine Tussi abschleppen wollte, dass man interessiert tat, immer ein offenes Ohr hatte und ihr genau sagte, was sie hören wollte. Und das war immer das Gleiche. Thomas konnte es auswendig herunterbeten: dass sie schöne Augen hatte, dass sie schönes Haar hatte, dass sie einen sagenhaften Körper hatte, dass ihre Intelligenz bestechend war und, und, und. Immer dasselbe Schema, keine große Kunst. Er hatte es drauf. Und er war gewillt, es auch bei ihr anzuwenden. Und wenn er das erst tat, würde sie sich ihm hingeben. Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Schließlich war er, Thomas, die Reinkarnation Casanovas – oder zumindest dessen würdigster und talentiertester Nachfolger. Und wenn er genug Spaß mit ihr gehabt hatte, würde er getreu dem Motto Andere Mütter haben auch hübsche Töchter erst todtraurig aus der Wäsche gucken, irgendwas faseln von unüberwindbaren Differenzen (das kam auf die Situation an und würde sich schon zeigen; was das anging, war er flexibel), sie fallen lassen und wie ein geölter Blitz dem nächsten Rockzipfel hinterherjagen. Ja, man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass Thomas ein kleiner, mistiger Schweinehund war. Und er stimmte sogar jedem zu, der ihm das ins Gesicht sagte. Natürlich erst, nachdem er ihm die Fresse poliert hatte.

      Das Seltsame an der Sache war, dass Thomas (ihn als Freund zu bezeichnen, war weithergeholt, man kannte sich halt) beängstigend oft bekam, was er wollte – obwohl er nicht mal besonders gut aussah und sein Charakter oder zumindest sein Verhalten den weiblichen Geschöpfen gegenüber zu wünschen übrig ließ. Und obwohl er wahrlich keine Augenweide war und viele seiner Ansichten direkt aus der Steinzeit zu kommen schienen.

      Paul hoffte inständig, dass er diesmal keinen Erfolg haben würde.

      Thomas also spulte sein Programm runter, während Paul abschätzte, was wohl passieren würde, wenn er dem Scheißkerl einfach das Bierglas über die Rübe zog. Das Ergebnis war niederschmetternd. Er machte sich keine Hoffnung, ihn überwältigen zu können. Dazu war Thomas zu groß und zu kräftig. Er musste ihn beim ersten Hieb töten, um eine Chance zu haben.

      „Ja, das bist du wirklich“, laberte Thomas inzwischen weiter. „Schon auf dem Weg hierher habe ich es gewusst. Ich sagte mir, Thomas, hab ich zu mir gesagt: Heute triffst du deine Traumfrau. Die wahre und einzige in deinem ganzen Leben. Und“, er machte eine Pause (offenbar, um der Dramatik Zeit zum Wirken zu geben), „wie du siehst, traf alles ein.“

      „Rattenscharf“, war der einzige Kommentar, den Jeannine dafür erübrigte. Dabei sah sie so ernst drein, dass sich Paul ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen konnte. Allerdings