Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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(wie er dies bei zahlreichen anderen Vorfelddelikten im Besonderen Teil für angemessen erachtete). Ist nämlich eine Anwendung des Allgemeinen Teils, insbesondere eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme oder von Vorbereitung, Versuch und Vollendung gänzlich unvorhersehbar, fehlt es letztlich an einer verfassungsmäßigen Sanktionsnorm. Dies gilt zumindest dann, wenn trotz einer faktischen Unanwendbarkeit derjenigen Vorschriften, welche eine angemessene Berücksichtigung unrechtsmindernder Faktoren gewähren, die Sanktionsnorm mit Mindeststrafen von nicht unter zwei oder fünf Jahren aufwartet.

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      Der Verfasser hat sich an anderer Stelle für eine Konkretisierung des Begriffs des Handeltreibens als „Notlösung“ dergestalt ausgesprochen, dass an eine konkrete Tätigkeit – nämlich an die Erklärung, Betäubungsmittel umsetzen zu wollen – geknüpft wird.[156] Dies gilt, soweit man bereits den bloßen Ankauf bzw. Verkauf ohne Verfügungsmacht über Drogen weiterhin kriminalisiert wissen möchte und das kennzeichnende Unrecht der Tatmodalität nicht lediglich in der umsatzbezogenen „Abwicklung“, sondern bereits in der eindeutigen Manifestation des Umsatzwillens sieht. Gesetzgebungstechnisch einfacher umsetzbar und auch das rechtspolitisch bessere Signal vermittelte jedoch die Tathandlung des „Umsetzens“: Wie Roxin bereits anregte,[157] könnte so deutlich an einen Außenwelterfolg des Umsatzes geknüpft und ein Fixpunkt für die Verhaltensnorm geschaffen werden, welcher diese konkretisiert (zugleich selbstverständlich auch einschränkt). In beiden Fällen wären die Probleme der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beseitigt und durch die Anknüpfung an ein singuläres Ereignis die Bestimmung des Versuchsbereichs (zumindest unter Rückgriff auf die Teilaktstheorie) wieder möglich.

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      Die extensive Auslegung des Handeltreibens wirkt sich auch auf die Konkurrenzlehre aus. Wie bereits angedeutet, gehen einzelne Teilakte wie die Einfuhr, der Erwerb, der Ankauf wie auch Verkauf im weiten Begriff des Handeltreibens auf. Sind mehrere Teilakte festgestellt, müssen diese zu einer Handlung verklammert werden, wenn sie sich auf denselben Güterumsatz beziehen.[158] Insofern können die Grundsätze zur Bewertungseinheit auch auf andere Absatzdelikte Anwendung finden. In der Rechtsprechung hat sich auch diesbezüglich eine kaum überschaubare Einzelfallkasuistik entwickelt, welche die Voraussetzungen der Bildung von Bewertungseinheiten und die Anforderungen an die Urteilsfeststellungen gleichermaßen betrifft.

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      Exemplarisch, keinesfalls abschließend, seien die Grundsätze zur Verklammerung von Taten im Kontext des Depots unterschiedlicher Betäubungsmittel zum Verkauf dargestellt: So können Absprachen über die sukzessive Lieferung deponierter Teilmengen an Betäubungsmitteln die aufeinander folgenden Teilakte zu einer Tat zusammenfassen, wenn die Absprache auf die Lieferung einer bestimmten Gesamtmenge gerichtet war.[159] In diesem Falle stellen sich die einzelnen Lieferakte nämlich nur als Umsetzung der einheitlich vorgenommenen Abmachung dar. Dagegen kann das Anlegen eines Vorrats aus selbstständigen Einkäufen zum Absatz in verschiedenen Verkaufshandlungen nicht die Einzeltaten zu einer Bewertungseinheit verklammern; ebenso wenig genügt das sukzessive Auffüllen eines Betäubungsmittel-Vorrats allein („Silotheorie“) für die Annahme einer Bewertungseinheit.[160] Umgekehrt ist von einer Bewertungseinheit auszugehen, wenn die aus unterschiedlichen Einkäufen stammenden Betäubungsmittel im Rahmen eines Handelsgeschäfts weiterverkauft werden[161] bzw. werden sollen.[162] Vermischt der Täter zwei sukzessive erworbene Rauschgiftmengen zur gemeinsamen Abgabe des Rauschmittels, liegt ungeachtet der verschiedenen Erwerbsakte nur eine einheitliche Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor.[163]

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      Scheidet die Bildung von Bewertungseinheiten aus, betrifft also das prozessuale Tatgeschehen mehrere Rauschgiftgeschäfte und somit auch unterschiedliche Güterumsätze, muss dies nicht zwingend zur Annahme von Tatmehrheit führen. Überschneiden sich schließlich unterschiedliche „Deals“, kann es – gerade wegen der extensiven Auslegung des Handeltreibens – oftmals zu einer Teilidentität der Ausführungshandlungen kommen (etwa in Form der Anfahrt oder des Zahlungsvorgangs), die unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung zu einer Tateinheit gemäß § 52 Abs. 1 StGB führt. In einer neueren Entscheidung hat der Große Senat – wiederum auf eine Anfrage des Dritten Senats hin[164] – auch im Rahmen der konkurrenzrechtlichen Betrachtung an der extensiven Auslegung und damit auch an einer denkbar häufigen Überschneidung der Ausführungsakte festgehalten: Das sowohl dem Transport des Kaufgeldes für den Erwerb einer früheren als auch der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge dienende Aufsuchen des Lieferanten verbindet somit als natürliche Handlung die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im materiell-rechtlichen Sinne.[165] Darüber hinaus kommt im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung eine natürliche Handlungseinheit zwischen zwei Umsatzgeschäften in Betracht, wenn die Bezahlung einer zuvor „auf Kommission“ erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge erfolgt.[166] Die konkurrenzrechtliche Einordnung durch den Großen Senat wurde im Anschluss sowohl im Hinblick auf ihre dogmatische Stringenz[167] als auch wegen ihrer praktischen Konsequenzen kritisiert,[168] insbesondere wurde eine Rückkehr zur fortgesetzten Handlung ins Spiel gebracht.[169] Ohne Zweifel ist – was sich auch in der hohen Entscheidungsdichte im Anschluss an den Großen Senatsbeschluss zeigt – noch Einiges im Fluss, was aber in Anbetracht des Konkretisierungsbedarfs auch nicht erstaunen darf.[170]

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      Eine praktisch bedeutsame Rolle nehmen auch die Transitdelikte der Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr ein. Die umfangreiche Rechtsprechung, insbesondere zum Tatbestand der Einfuhr dürfte zunächst erstaunen, da dieser im Regelfall umsatzbezogen erfolgt und damit im weiten Begriff des Handeltreibens aufgehen müsste. Doch hat der Gesetzgeber den Teilakt der Einfuhr in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG „herausgestanzt“, indem er die Einfuhr nicht geringer Mengen mit einem besonderen Strafrahmen versah. Dies hat zu einer verhältnismäßig häufigen, „isolierten“ Befassung des BGH mit der Modalität der Einfuhr geführt.

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      Einführen bedeutet das Verbringen (§ 2 Abs. 2 BtMG) eines Betäubungsmittels aus dem Ausland über die Grenze in das Hoheitsgebiet (§ 3 StGB) der Bundesrepublik Deutschland.[171] Es handelt sich nach ganz h.M. um ein Erfolgsdelikt, sodass die formelle Tatbestandsvollendung eintritt, wenn das Betäubungsmittel die Grenze passiert. Es handelt sich nicht um ein eigenhändiges Delikt; soweit dem Täter der Grenzübertritt nach tatherrschaftlichen Gesichtspunkten zugerechnet werden kann, kommt eine Verwirklichung in Form eines Verbringenlassens (also einer Einfuhr in mittelbarer Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) in Betracht. Spiegelbildlich hierzu wird unter Ausfuhr das Verbringen eines Betäubungsmittels aus dem Geltungsbereich des BtMG über die Grenze ins Ausland verstanden (ihre Bedeutung ist nicht nur phänomenologisch ungleich geringer: Die Ausfuhr ist in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG nicht genannt, und taucht isoliert nur im § 30a Abs. 1 BtMG auf, der freilich an weitere Voraussetzungen knüpft).

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      Da die Einfuhr im Gegensatz zum Handeltreiben als Erfolgsdelikt verstanden wird, hat man auch in der Rechtsprechung weniger Schwierigkeiten, die Abgrenzung der Deliktsverwirklichungsstufen nach vertrauten Kriterien der Tatherrschaft, Zwischenakts- und Sphärentheorie zu bestimmen. Tatsächlich greift der BGH bei allen Formen des Transports auf die Grundformel des unmittelbaren Ansetzens (§ 22 StGB) zurück, um den Bereich strafloser Vorbereitung, strafbaren Versuchs und formeller Tatbestandsvollendung