Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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Ansetzen kann damit noch nicht angenommen werden, wenn die Täter noch mehrere Kilometer fahren müssen, um sich der Grenze anzunähern[172] oder wenn das Fahrzeug wenige Kilometer vor der Grenze noch präpariert werden muss.[173] Umgekehrt lässt sich der Eintritt in das Versuchsstadium bejahen, wenn die letzte Ausfahrt passiert worden ist, so dass man unter normalen Umständen die Grenze überschreiten muss.[174]

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      Bei Transportmitteln, die von anderen gesteuert werden, verschiebt sich der Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens regelmäßig nach vorne, da der Täter das Geschehen viel früher aus der Hand geben muss (Schiffsfracht, Flug, Versendung per Post). Unter Zugrundelegung der allgemeinen Lehren zum unmittelbaren Ansetzen bei mittelbarer Täterschaft (dies ist möglich, wenn die Transportierenden vorsatzlos agieren[175]) ist der Versuchsbereich dann schon im Regelfall mit der Platzierung der Drogenfracht im entsprechenden Vehikel, spätestens mit dem Besteigen des Gefährts anzunehmen; ggf. kann ein Zwischenstopp im Ausland einem unmittelbaren Ansetzen entgegenstehen. Stark vereinfacht lässt sich die transportart-akzessorische Kasuistik[176] folgendermaßen skizzieren:

Transportart Stadium Fußgänger, PKW Bahn, Flugzeug, Schiff Post, Frachtgepäck
straflose Vorbereitung Übernachtung vor der Grenze; Verpacken/Verladen der Drogen; Beantragen von Transitvisum; Ausspähen der Grenze; Montieren der Betäubungsmittel im Wagen Kauf der Tickets, Aufenthalt am Bahnhof, Flughafen Verpacken, Verstecken der Betäubungsmittel im Karton, Paket, Gepäck
Versuch erst „kurz“ vor der maßgeblichen Grenze; kein unmittelbares Ansetzen, wenn längere Wegstrecke/mehrere Kilometer zu fahren/zu laufen[177]; dagegen (+), wenn letzte Ausfahrt passiert[178] Besteigen des abfahrtbereiten Zuges,[179] Passieren der Kontrollen und Einsteigen in das Flugzeug (soweit Inland direkt angesteuert wird[180]) Einlieferung bzw. Abgabe bei der Post[181] oder DB[182]; bei Fluggepäck mit Check-In (es sei denn Abfahrt/Abflug erst in ein paar Tagen); da Geschehen aus der Hand gegeben
Vollendung mit Überschreiten der maßgeblichen Grenze mit Überschreiten der maßgeblichen Grenze, auch bei Transitfällen, wenn Handgepäck; bei Reisegepäck maßgeblich, ob Verfügungsgewalt gegeben mit Überschreiten der maßgeblichen Grenze; bei Transitfällen maßgeblich, ob zwischenzeitlich Täter Verfügungsmacht hatte (in Versendungsfällen wohl nie)
Beendigung wenn das Rauschgift im deutschen Hoheitsgebiet in Sicherheit gebracht ist und damit zur Ruhe kommt;[183] allerdings auch dann, wenn Betäubungsmittel nach Vollendung sichergestellt werden[184]

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      Entsprechend eingängig (weil am Kriterium der Tatherrschaft orientiert) gestaltet sich die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme: Anders als beim Handeltreiben kann die klassische „Eigenhändigkeitsformel“ zur Anwendung gelangen, sodass sich die Abgrenzung – jedenfalls was die Klassifizierung als „Täter“ anbelangt – auf Anhieb einfacher gestaltet. Eine eigenhändige Verwirklichung als Fahrer, Körperschmuggler, Passagier oder Passant führt zur Täterschaft.[185] Fehlt es an einer eigenhändigen Verwirklichung, ist zu überprüfen, ob der Grenzübertritt nach anderen Mechanismen (Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft) zurechenbar ist. Maßgeblich ist hierbei ein irgendwie gearteter Einfluss auf den Einfuhrvorgang selbst, mithin muss die Tatherrschaft aus transportbezogenen Kriterien hergeleitet werden. Denkbar ist (siehe oben) die Begehung durch Einsatz eines unvorsätzlich agierenden Dritten (etwa eines Fahrers, der nicht um die Betäubungsmittel im „Gepäck“ weiß).[186]

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      Auf diesen Fokus auf den Einfuhrvorgang selbst, weg von einer allgemein organisationsbezogenen Betrachtungsweise, musste der BGH nach und nach hinwirken. Sie hat auch Auswirkungen auf den Besteller von Drogen, der die Einfuhr nur „kausal bewirkt“, aber im Übrigen meist keinen Einfluss auf die Drogeneinfuhr hat. Vielmehr liegt in diesen Fällen eher eine Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr[187] nahe, eine Erscheinungsform, die im Zeitalter des Internets als digitaler Drogenumschlagplatz keine Seltenheit mehr darstellt.[188] Freilich ist in jedem Einzelfall aufs Neue zu überprüfen, ob der Besteller tatsächlich den Tatentschluss des Einführenden hervorgerufen hat oder dieser nicht bereits fest dazu entschlossen war, die Betäubungsmittel in das Hoheitsgebiet einzuführen (omnimodo facturus).[189] Der BGH hat sich wegen der geschilderten Entwicklung inzwischen häufiger mit den Voraussetzungen des § 26 StGB im Kontext der Einfuhr auseinanderzusetzen. So hat er unter Rückgriff auf die allgemeine Dogmatik zum Bestimmen als Anstiftungshandlung festgestellt, dass eine bloße Tatgeneigtheit des Lieferanten (die sich bspw. in einem allgemeinen Angebot manifestiert, Betäubungsmittel ins Ausland zu liefern) noch nicht genügt, um von einem omnimodo facturus auszugehen.[190] Anders verhält es sich wohl dann, wenn eine bestimmte Charge an Betäubungsmitteln ohnehin in ein bestimmtes Land verbracht werden soll, die Art des Rauschgifts und dessen Menge (Marihuana im Kilobereich) bereits festgelegt sind und für jede Einzellieferung nur noch ein konkreter „Abruf“ erforderlich ist.[191]

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      Chronologisch sind dem Handeltreiben und der Einfuhr die Tathandlungen des Anbaus und der Herstellung als „Drogenursprungshandlungen“ vorgelagert. Phänomenologisch betrifft der Anbau nur biogene bzw. natürliche Drogen, während die Herstellung gerade auch die Produktion synthetischer/halbsynthetischer Drogen erfasst. Doch muss auch die Umwandlung einer natürlichen Droge gewisse Herstellungsprozesse durchlaufen, um in den konsumfähigen Zustand gebracht zu werden. Beide Tatmodalitäten gehen im Handeltreiben auf, wenn die Produktion umsatzbezogen erfolgt; bei frühem Zugriff durch die Ermittlungsbehörden stellt sich dann die Frage, ob dem Täter ein Umsatzwille nachgewiesen werden kann. Ist dies zu verneinen, kommt neben dem Grundtatbestand die Verwirklichung von Qualifikationstatbeständen wie § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (der jedoch nur die Herstellung in nicht geringen Mengen erfasst[192]) sowie §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30a Abs. 1 BtMG in Betracht. Nur in diesen Fällen entfalten die Produktionstatbestände des BtMG eine eigenständige Bedeutung.

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      Der Anbau wird als vom menschlichen Willen getragenes Aussäen und Samen und die Aufzucht der Pflanze verstanden, wobei die Reife noch nicht eingetreten sein muss (beachte aber Ausnahmen in Anlage I bzgl. Cannabissamen).[193] Für den Begriff der Herstellung findet sich in § 2 Abs. 1 Nr. 4 BtMG eine Legaldefinition, der wiederum neue Tatmodalitäten – Gewinnen, Anfertigen, Zubereiten, Be- oder Verarbeiten, Reinigen und Umwandeln[194] – aufzählt (aber abschließend ist), die in der Praxis meist keiner genauen Abgrenzung bedürfen, da für die Feststellung eines Herstellungsteilakts bereits eine Tatbestandsverwirklichung genügt. Sowohl für den Anbau als auch für die Herstellung gilt: Ein vom Produzenten verfolgter anderer Zweck (Aufzucht zur Zier/als Zimmerpflanze[195]; Herstellung als chemisches Experiment) ist ebenso unbeachtlich wie die Nichtentstehung eines potenten Wirkstoffs. Auch bei diesen Modalitäten handelt es sich somit um (multiple) Tätigkeitsdelikte, weil sie ganz unterschiedliche Formen der