Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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der Bereich strafloser Vorbereitung (in Form der Beschaffung des Anbaumaterials, Laborgeräte, Grundstoffe, Samen/Dünger[197]) klar abgesteckt. Bereits das einmalige Begießen der Pflanze kann als eigenhändige Verwirklichung des Tatbestands zur Täterschaft führen; entsprechend gelten die bei Rn. 64 gemachten Erwägungen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei untergeordneten Tätigkeiten.[198] Der Gesetzgeber hat auch die Herstellung von Zubereitungen, die nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfallen (und damit auch nicht unter den Erlaubnisvorbehalt des § 3 BtMG), aber Wirkstoffe enthalten, die grundsätzlich dem Betäubungsmittelgesetz unterfallen würden, eigenständig unter Strafe gestellt, § 29 Abs. 1 Nr. 2 BtMG.

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      Handelt der Täter nicht umsatzbezogen, treten in der Praxis vornehmlich die „konsumnahen“ Delikte in den Vordergrund, bei denen durchweg die Verfügungsmacht über Betäubungsmittel das entscheidende Merkmal im Rahmen der Tatbestandsverwirklichung darstellt. Verboten ist das Innehaben der Verfügungsgewalt (Besitz) ebenso wie deren Übertragung (Erwerb, Abgabe). Da sich das in § 3 BtMG statuierte Verbot insofern an alle Beteiligten an einem potentiellen Verfügungswechsel richtet, handelt es sich um Begegnungsdelikte; das Verbot des Verfügungswechsels ist darauf ausgerichtet, unverantwortlichen bzw. missbräuchlichen Konsum zu unterbinden, der Konsum selbst ist allerdings – anders als in anderen Rechtsordnungen – straflos. Freilich existieren neben den Verfügungswechseldelikten weitere „konsumnahe“ Delikte, etwa in Form der Ermöglichung des Konsums durch Verbrauchsüberlassung bzw. des Verabreichens als Konsum in fremder Tatherrschaft oder des Gewährens einer Konsumgelegenheit. Diese Ausgestaltung führt zur Vorstellung, dass von der Legalität des Konsums nicht viel übrigbleibt. Die Abgrenzung ist jedoch – dies machen zahlreiche Aufhebungsentscheidungen zu Konstellationen, in denen (lediglich) der Konsum von Betäubungsmitteln nachgewiesen ist, deutlich – weniger trivial und von praktisch nicht zu unterschätzender Relevanz (insbesondere genügt der Nachweis dafür, dass jemand Betäubungsmittel konsumiert hat, gerade nicht für den Nachweis eine nach § 3 BtMG erlaubnispflichtige Handlung vorgenommen zu haben).

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      Wie bereits erläutert, ist gemeinsamer Anknüpfungspunkt aller Tatbestände in diesem Zusammenhang der Begriff der Verfügungsgewalt; gemeint ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis, mithin die tatsächliche Möglichkeit, auf das Betäubungsmittel nach Belieben und ohne entscheidende Einflussnahme anderer Personen einzuwirken.[199] Ausgehend von diesem gemeinsamen Anknüpfungspunkt lassen sich die Verfügungswechseldelikte systematisieren: Derjenige, der diese Verfügungsgewalt innehat, besitzt (a) auch regelmäßig die Drogen. Wird die Verfügungsmacht an einen Dritten (freiwillig und unentgeltlich) übertragen, liegt eine Abgabe vor, im Falle der entgeltlichen (aber nicht eigennützigen) Weitergabe ist eine Veräußerung anzunehmen (b).[200] Kommen die Drogen dem Verfügungsinhaber abhanden oder geraten sie anderweitig unfreiwillig abhanden, kommt ein sonstiges Inverkehrbringen in Betracht (c). Ermöglicht der Täter einem Dritten den Konsum von Betäubungsmitteln, ohne die Verfügungsmacht aufzugeben, kommt eine Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch bzw. ein Verabreichen entgegen § 13 Abs. 1 BtMG in Betracht (d); beim Erwerber ist dagegen lediglich zwischen dem einverständlichen Erwerb und dem Sich-Verschaffen in sonstiger Weise zu differenzieren (e). Fehlt es an der Erlangung der Verfügungsmacht, kommt lediglich ein (strafloser) Konsum in Betracht (f). Bei allen Tatmodalitäten, die einen Verfügungswechsel voraussetzen, stellt dieser zugleich den tatbestandlichen Außenwelterfolg dar, der den Fixpunkt für die Abgrenzung der unterschiedlichen Deliktsverwirklichungsstufen bildet.

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      § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG sanktioniert das tatsächliche Herrschaftsverhältnis über ein gelistetes Betäubungsmittel, das faktisch die unmittelbare Einwirkung unter Ausschluss Dritter ermöglicht mit einem entsprechenden Herrschaftswillen.[201] Oftmals wird der Tatbestand ungenau als unerlaubter Besitz bezeichnet; weil es sich allerdings nicht um eine erlaubnisfähige Umgangsform handelt bzw. diese in der Erlaubnis, die Betäubungsmittel zu erwerben aufgeht, knüpft § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG an den Besitz, ohne zugleich im Besitz einer Erwerbserlaubnis zu sein. Praktisch handelt es sich um einen Auffangtatbestand, dogmatisch wird über die Einordnung derartiger Delikte diskutiert. Einem Modell, das den Zustand als solches strafbarkeitsbegründend einordnet,[202] ist aber eine Absage zu erteilen. Stattdessen ist von einem echten Unterlassungsdelikt auszugehen, das die Aufrechterhaltung solch eines Zustandes (Herrschaftsverhältnis über schädliche Substanzen/gefährliche Gegenstände etc.) sanktioniert.[203]

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      Ob der Täter Besitz innehat (auf die Eigentumslage kommt es nicht an), beurteilt sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.[204] Diese strafrechtlich-autonome Normativierung nähert den Begriff des Besitzes demjenigen des Gewahrsams an, der ebenfalls sozial-normativ bestimmt wird und bei dem den sachenrechtlichen Besitzverhältnissen allenfalls eine Indizfunktion zukommt. Freilich dürfte bei einem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz im zivilrechtlichen Sinn regelmäßig auch der Besitz im betäubungsmittelstrafrechtlichen Sinn zu bejahen sein. Hingegen führt eine Besitzdienerschaft (§ 855 BGB) gerade nicht dazu, dass auch bei der betäubungsmittelstrafrechtlichen Betrachtung stets zu fingieren wäre, dieser hätte keinen Besitz; vielmehr bleibt es bei einer einzelfallbezogenen Betrachtung, wobei eine ganz kurze Hilfstätigkeit eines Besitzdieners auch gegen einen Besitz sprechen kann;[205] weitestgehend überschneiden dürfte sich dagegen der Begriff mit demjenigen der Verfügungsgewalt. Restriktionserfordernisse können sich in den Fällen der fürsorglichen Ansichnahme von Betäubungsmitteln ergeben oder in Konstellationen, in denen der Täter die Herrschaft nur äußerst kurzfristig innehat, um sich der Drogen alsbald zu entledigen. In beiden Konstellationen ist stets ein genauerer Blick auf den subjektiven Herrschaftswillen zu werfen.[206] Entsprechend führt das BayObLG in einer neueren Entscheidung aus, dass eine Sachherrschaft, welche sich auf keine nennenswerte Dauer erstreckt, auch nicht erstrecken soll, und zugunsten eines anderen in dessen Beisein ausgeübt wird, nicht unter den Besitz i.S.d. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG subsumiert werden kann.[207]

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      Abgabe bedeutet Übertragung der Verfügungsgewalt;[208] erfolgt diese entgeltlich, liegt ein Veräußern vor. Tatsächliche Verfügungsgewalt setzt kein Eigentum voraus; der Abgebende muss allerdings die Herrschaft über das Betäubungsmittel innehaben: Die noch ausstehende Beschaffung der Droge, um sie im Anschluss abzugeben, stellt noch nicht einmal eine strafbare Versuchshandlung dar. Insoweit handelt es sich bei der unerlaubten Abgabe um ein Sonderdelikt, da sie unmittelbar an die Verfügungsmacht über Drogen knüpft. Einem Kurier fehlt es im Regelfall an der Verfügungsgewalt, was auch zur Ablehnung eines Besitzes führen muss. Dies gilt jedenfalls in Fällen, in denen der Kurier keinen Zugriff auf die Drogen hat, unter ständiger Beobachtung steht oder die Zeitspanne des Zugriffs äußerst kurz ist, er also als einfacher Bote oder Besitzdiener fungiert.[209]

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      Als im Nebenstrafrecht ubiquitäres Auffangdelikt erfasst das sonstige Inverkehrbringen alle sonstigen Formen der Übertragung der Verfügungsmacht (anders als im Arzneimittelstrafrecht, wo der Begriff mittels Legaldefinition abschließend gefasst ist und nicht alle Formen des Verfügungswechsels erfasst): Unter das sonstige Inverkehrbringen