Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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durch ein aktives Tun (Unterschieben, Dereliktion, man denke an das pflichtwidrige Entsorgen von Drogen), aber auch durch Unterlassen begangen werden. So kommt dem Tatbestand vornehmlich im legalen Verkehr, dort in Form eines fahrlässigen Umgangs mit Betäubungsmitteln, eine bedeutsame Rolle zu. Der Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt (Arzt/Apotheker) hat die in seinem Herrschaftsbereich befindlichen Betäubungsmittel bzw. Medikamente so zu sichern und zu überwachen, dass andere Personen oder andere Rechtsgüter nicht in Gefahr geraten, vgl. auch § 15 BtMG.[211]

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      Die unmittelbar vor dem Konsum von Betäubungsmitteln liegenden Tathandlungen des Verabreichens und Überlassens unmittelbar zum Verbrauch sind – weil § 3 BtMG an die Existenz der Droge knüpft – nicht erlaubnisfähig. Dementsprechend bezieht sich die Sanktionsnorm auf eine Vorschrift, die sich primär an den erlaubten Betäubungsmittelverkehr (der medizinischen Versorgung mit Betäubungsmitteln nach § 13 BtMG) und damit an Ärzte und Apotheker richtet (hierzu noch Rn. 87). Die legalisierenden Voraussetzungen kann dementsprechend auch nur ein Arzt (im Fall des § 13 Abs. 2 BtMG ein Apotheker) erfüllen, sodass die Verbrauchsüberlassung durch einen Nichtarzt stets den objektiven Tatbestand erfüllt; in Anbetracht des Umstands, dass die Qualifikationstatbestände der §§ 29a ff. BtMG nicht durchweg gleichermaßen an die Abgabe und Verbrauchsüberlassung knüpfen (vgl. § 29a Abs. 1 Nr. 1 einerseits, Nr. 2 BtMG andererseits), ist in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob der Täter noch die Verfügungsmacht behalten oder aufgegeben hat. Verabreichen ist die unmittelbare Anwendung des Betäubungsmittels am Körper des Empfängers (Injizieren, Einreiben, Einsprayen),[212] es handelt sich insofern um eine konkretisierte Körperverletzungshandlung.[213] Zum unmittelbaren Verbrauch überlässt der Täter dann, wenn er die Drogen einem anderen zum sofortigen Verbrauch an Ort und Stelle aushändigt, ohne dem Konsumierenden die Sachherrschaft an dem Stoff zu überlassen.[214] Dies gilt in Fällen, in denen der Konsumwillige das auf einem Autospiegel dargebotene Kokain selbst abteilen darf,[215] Heroin in verbrauchsgerechter Portionierung ausgehändigt bekommt etc.[216]

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      Spiegelbildlich zur Abgabe versteht die h.M. unter Erwerb die Erlangung der tatsächlichen Macht zur freien Verfügung über das Betäubungsmittel im Einverständnis mit dem zuvor Verfügungsberechtigten unabhängig vom Zweck des Erwerbs. Der Erwerb kann an ein entgeltliches Rechtsgeschäft knüpfen, mithin unterscheidet das Gesetz bei potentiellen Konsumenten nicht mehr zwischen der „Grundlage“ des Verfügungswechsels (Kauf, Schenkung, Tausch) bzw. dessen Zweck (auch die fürsorgliche Wegnahme von Drogen durch ein Elternteil fällt unter den Erwerb, zu denken ist aber in derartigen Fällen an einen Tatbestandsausschluss nach dem Prinzip der Risikoverringerung bzw. an eine Rechtfertigung nach § 34 StGB[217]), sondern nur hinsichtlich des Einvernehmens bzgl. der Verfügungsmachtübertragung. Liegt diese nicht vor – so etwa beim „Diebstahl“ von Drogen – kommt ein Sich-Verschaffen in Betracht, welche als Auffangmodalität (sozusagen als Pendant zum Inverkehrbringen, Rn. 83) jede sonstige Form der Erlangung von Verfügungsmacht über Drogen erfasst.[218]

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      Hat der Konsument keine Verfügungsmacht erlangt (was bei gemeinsamen Konsumrunden oder Partys denkbar ist), kann der Konsument für den bloßen Verbrauch nicht bestraft werden; hingegen macht sich der Dritte wegen Verbrauchsüberlassung (siehe Rn. 84) strafbar.[219] Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Dritte dem Angeklagten einen fertigen Joint zum Konsum übergibt oder lediglich das Marihuana überreicht, um für ihn einen Joint zum anschließenden Verzehr zu bauen. Solange der Dritte sich unmittelbar bei dem Angeklagten aufhält, gibt er seinen unmittelbaren Besitzwillen nicht auf.[220] Entsteht allerdings zwischen der Empfangnahme und dem Verbrauch eine Zeitspanne, in deren Rahmen eine beliebige Verfügbarkeit gegeben ist, oder entfernen sich Übergebender oder Empfänger voneinander, bevor der Konsum erfolgt ist, erlangt der Empfänger die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel und es lässt sich ein unerlaubter Erwerb bejahen (etwa wenn der Angeklagte das Betäubungsmittel in die Hosentasche gesteckt hat).[221]

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      Ärzte, Apotheker und Mitarbeiter in Heil- und Therapieeinrichtungen sind als Beteiligte am System der medizinischen Versorgung von bestimmten Erlaubnisvorbehalten des Betäubungsmittelrechts freigestellt (siehe bereits Rn. 48). Als „arztspezifische“ Handlungsmodalitäten unterliegen die Verschreibung, Verabreichung oder Verbrauchsüberlassung durch den Arzt keinem Erlaubnisvorbehalt. Dennoch ist der „Vertriebsweg“ bzw. die Versorgung des Patienten streng reglementiert. Der Arzt hat bei seiner Verschreibung die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 BtMG und die diesen konkretisierenden Vorschriften der BtMVV zu beachten.[222] Erfolgt eine Verschreibung durch den Arzt (verschreibungsfähig sind lediglich Betäubungsmittel der Anlage III) so darf der Apotheker das Betäubungsmittel (nur) auf die Vorlage des Rezepts abgeben, § 4 Abs. 1 Nr. 1c BtMG. Halten die Beteiligten den vorgesehenen Vertriebsweg von Betäubungsmitteln nicht ein oder verstoßen sie gegen ihre Prüfpflichten, handeln sie ebenso illegal. Der Verstoß gegen die sich an den Arzt richtenden Pflichten (§ 13 Abs. 1 BtMG) wird von § 29 Abs. 1 Nr. 6 BtMG sanktioniert;[223] die illegale Abgabe aus Apotheken entgegen § 13 Abs. 2 BtMG wird hingegen von § 29 Abs. 1 Nr. 7 BtMG erfasst.

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      Die sonstigen Modalitäten des § 29 Abs. 1 BtMG haben praktisch kaum eine Bedeutung, sodass sie im Folgenden nur äußerst knapp skizziert werden: Die unerlaubte Werbung (Nr. 8)[224] bezieht sich ausschließlich auf das Werbeverbot im legalen Betäubungsmittelverkehr (§ 14 Abs. 5 BtMG), erfasst also nicht das pauschale Anpreisen des Betäubungsmittelkonsums bzw. die öffentliche Verherrlichung des Drogenmissbrauchs. In § 29 Abs. 1 Nr. 9 BtMG findet sich eine Vorschrift, die das Erschleichen einer Verschreibung (Nr. 9) sanktioniert.[225] § 29 Abs. 1 Nr. 11 BtMG erfasst das Gewähren einer Verbrauchsgelegenheit außerhalb eines Konsumraums i.S.d. § 10a BtMG (Nr. 11),[226] ferner sind das Auffordern zum unbefugten Verbrauch als verselbstständigte Teilnahmehandlung am (grundsätzlich erlaubten Konsum, Nr. 12),[227] das Bereitstellen von Geldmitteln (das ebenfalls im Regelfall eine Beihilfe zum Handeltreiben darstellt, Nr. 13)[228] sowie etwaige Zuwiderhandlungen gegen eine Rechtsverordnung (in Betracht kommen vornehmlich Verstöße gegen die BtMVV) unter Strafe gestellt.

IV. Qualifikationstatbestände

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      Betäubungsmittelstrafrecht wird häufig auch abwertend als „Mengenstrafrecht“ bezeichnet, weil die Art und Menge der Drogen, mit denen der Täter unerlaubt umgeht (besitzt, abgibt, Handel treibt), nicht nur ein bestimmendes Strafzumessungsmerkmal, sondern auch ein zentrales Strafschärfungs-, also Qualifikationstatbestandsmerkmal darstellt. Daneben finden sich in den §§ 29a ff. BtMG auch „klassische“ Qualifikationsmerkmale wie etwa die bandenmäßige oder gewerbsmäßige Begehung, die Verursachung des Todes eines Konsumenten (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) sowie das Beisichführen von Waffen und sonstigen Gegenständen,