Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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auch bei dem Versuch der Abwendung einer vom Täter geschaffenen Gefahr eintreten. Auch aus diesem Grund ist diese Begründung (der Ausgangsgefahr) verboten. Dies steht nicht im Widerspruch zum zurechnungsbegrenzenden Verantwortungsprinzip, aus dem lediglich folgt, dass man prinzipiell nicht darauf zu achten hat, dass Dritte Rechtsgüter nicht gefährden. Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber darum, dass der Täter selbst pflichtwidrig eine solche Gefahr geschaffen hat und er daher von seiner Verantwortung für das weitere Geschehen nicht schon deshalb frei werden kann, weil später auch andere falsch gehandelt haben.[984] Wie auch sonst ist es insoweit unerheblich, ob der nachfolgend tätige Arzt pflichtwidrig die Realisierung der vom Täter geschaffenen Gefahr lediglich nicht verhindert (bspw. stirbt der vom erstbehandelnden Arzt fahrlässig im Krankenhaus Infizierte, weil der zur Bekämpfung dieser Infektion herangezogene weitere Arzt dem Patienten das erforderliche Medikament fälschlich in einer zu geringen Dosis verabreicht) oder ob der Dritte den in der Täterhandlung ohnehin schon angelegten (Todes-)Erfolg – etwa eine innere Verletzung, die allmählich zum Verbluten führen würde – durch eine positive Maßnahme (sorgfaltswidriges Verhalten beim Heilungsversuch) herbeiführt.[985] Zum groben Behandlungsfehler seitens des nachbehandelnden Arztes sogleich in Rn. 161.

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      Die Zurechnung entfällt schließlich auch bei Zweiterfolgen, die letztlich auf „fahrlässigem“ Verhalten des Opfers gegenüber sich selbst beruhen.[998] Gefährdet oder schädigt sich das Opfer freiverantwortlich gar bewusst selbst, so entfällt aus den unter Rn. 165 f. genannten Gründen ohnehin die Zurechnung.[999]

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      Auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für Folgeschäden[1000] richtet sich nach dem Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsvorschrift: Wird bspw. durch die pflichtwidrige Verabreichung eines falschen Medikaments ein Krankenhausaufenthalt notwendig, bei dem der Verletzte sich eine tödliche Infektion zuzieht[1001] oder tritt infolge fehlsamer ärztlicher Behandlung ein Dauerschaden (Verlust eines Beines) ein, der zu einer Erhöhung des Verletztenrisikos führt, und realisiert sich eben dieses Risiko in einem weiteren Schaden (etwa: tödlicher Sturz des Beinamputierten), so gilt Folgendes: Solange der eingetretene Erfolg noch als Realisierung der vom Arzt geschaffenen Ausgangsgefahr angesehen werden kann (also etwa beim Tod infolge krankenhausaufenthaltstypischer Infektion, nicht aber infolge eines Zimmerbrandes), ist ihm dieser Erfolg noch zuzurechnen. Ist die Primärverletzung hingegen abgeschlossen (z.B. der Beinamputierte als geheilt aus dem Krankenhaus entlassen), so scheidet eine Haftung des Arztes für Spätfolgen aus, weil durch seine ursprüngliche Bestrafung die Erhöhung des Lebens- und Verletzungsrisikos mit abgegolten ist.[1002] Demgegenüber hindert selbst erheblicher Zeitablauf zwischen ärztlichem Fehlverhalten und dem Eintritt des „Erstschadens“ (etwa Tod des Patienten infolge einer infolge Hygienemängeln eingetretenen Infektion, die sich erst nach Jahren manifestiert) die Zurechnung nicht.[1003]

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      Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die Dritte z.B. durch Mitteilung vom Tod einer nahestehenden Person infolge ärztlichen Fehlverhaltens erleiden (Schockschaden), liegen als Teil des allgemeinen Lebensrisikos[1004] außerhalb des Schutzzwecks der §§ 222, 229 StGB.[1005]

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      Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Arztes scheidet auch dann aus, wenn sein Verhalten, wäre es vorsätzlich ausgeführt, ebenfalls straflos bliebe, eine für Fälle ärztlicher Mitwirkung an einer Selbstverletzung oder -gefährdung wichtige Erwägung. Diese resultiert daraus, dass die Fahrlässigkeitshaftung als die schwächere Form der deliktischen Haftung nicht weiter gehen kann als die Haftung für vorsätzliches Verhalten.[1006] So kann etwa aus dem Umstand, dass die vorsätzliche Mitwirkung am Suizid straflos ist, auf die Straflosigkeit der bloß fahrlässigen Mitwirkung an der Selbsttötung – etwa durch nachlässiges Verwahren eines tödlich wirkenden Giftes – geschlossen werden.[1007] Entsprechendes gilt auch für die (vorsätzliche oder fahrlässige) ärztliche Unterstützung einer Selbstgefährdung seitens eines eigenverantwortlich[1008] handelnden Patienten.[1009] Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[1010] unterfällt eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst[1011] eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden: Er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist.[1012] Wer schon nicht für eine Suizidteilnahme einzustehen hat, kann nicht wegen Mitwirkung[1013] an einer reinen Selbstgefährdung, mag diese auch tödlich verlaufen, bestraft werden. Da den Arzt keine Sorgfaltspflicht trifft, denjenigen vor sich selbst zu schützen, der sich freiverantwortlich selbst gefährdet,[1014] entfällt die objektive Erfolgszurechnung unter dem Gesichtspunkt der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche verschiedener Personen.[1015] Angesichts des in der Regel im Arzt-Patienten-Verhältnis bestehenden Informationsgefälles kommt Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Arztes allerdings dann in Betracht, wenn er eine Selbstschädigung des Patienten mit überlegenem Sachwissen verursacht (etwa bei Verschreibung eines suchtfördernden Medikaments[1016]). Bei einem non liquet ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo von der Eigenverantwortlichkeit des Opfers auszugehen.

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      Die Straflosigkeit einer Selbstgefährdungsteilnahme darf auch nicht dadurch ausgehebelt werden, dass sie mit dem Eintritt der Gefahrenlage in eine strafbare Unterlassungstäterschaft umgedeutet wird.[1017] Dies hätte i.Ü. zur Konsequenz, dass für Ärzte als Schutzgaranten ihrer Patienten von vornherein eine auf Verhinderung freiverantwortlicher Selbstgefährdungen zielende Sorgfaltspflicht begründet wäre:[1018] Da angesichts freiverantwortlicher Selbstgefährdung keine insoweit pflichtwidrige Gefahrschaffung vorlag,[1019] liegt allenfalls eine Strafbarkeit aus § 323c StGB vor.[1020]