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Handbuch des Verwaltungsrechts


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Seine verschiedenen Erscheinungsformen sind auf allen Ebenen der Normpyramide anzutreffen. Auch bei den ungeschriebenen Rechtssätzen lassen sich rechtskreisübergreifend erstaunliche Parallelen feststellen, die zum Teil auch noch den völkerrechtlichen Rechtskreis einschließen.

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      Bedeutung des geschriebenen Rechts

      In den hier betrachteten Rechtskreisen lassen sich die Verfahren der förmlichen Rechtssetzung auf drei Grundmuster bzw. Grundtypen der Normerzeugung zurückführen, die sich anhand des Konzepts des Stufenbaus der Rechtsordnung in eine Hierarchie bringen lassen. Auf höchster Stufe steht die sog. Grundordnung, die vertragsrechtlich fundiert ist (EUV, AEUV, GRCh, GG, Landesverfassung).[157] Darunter ist eine Ebene parlamentarisch-gubernativer Rechtssetzung (Verordnung, Richtlinie, einfache Bundes- und Landesgesetze) sowie eine Ebene exekutiver Normsetzung (Tertiärrecht, Rechtsverordnung, Satzungen, Verwaltungsvorschriften).[158] Der Erlass von Rechtsnormen in streng formalisierten Verfahren hat den Vorteil, im fixierten amtlich verkündeten Wortlaut einen klar identifizierbaren und zeitlich bestimmten Anknüpfungspunkt zu finden.[159] Dem steht als Nachteil gegenüber, dass unpassendes verschriftlichtes Recht weniger leicht vergessen werden kann.[160] Ein funktionales Äquivalent sind die Verfahren der Rechtsfortbildung, die es erlauben, den Normtext zu überspielen und einen davon abweichenden Norminhalt zu konstruieren.[161]

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      Rechtliche Grundordnung

      Die Grundordnungsebene steht innerhalb eines Rechtskreises an der Spitze der Normenpyramide. Sie zeichnet sich durch ein besonders hohes Maß demokratischer Legitimation sowie ihre erschwerte Abänderbarkeit aus. Die Normsetzung ist an ein besonderes Gesetzgebungsverfahren gebunden, das eine hohes Maß an Akzeptanz verbürgt (Art. 79 GG, Art. 48 AEUV). Abgesichert ist dies durch qualifizierte Mehrheitserfordernisse, zum Teil auch darüber hinausgehende Plebiszite (Art. 79 Abs. 2 GG; Art. 75 Abs. 2 S. 1, 2 BayVerf) sowie auf Ebene des Grundgesetzes einen Verfassungskern, der jenseits des Wegs der Verfassungsablösung durch den pouvoir constituant (Art. 146 GG) an die Vorgaben des Art. 79 Abs. 3 GG gebunden ist.[162] Normen dieser Regelungsschicht verbürgen daher in besonderem Maße Rechtssicherheit durch Beständigkeit der Normtexte. Die Konfrontation mit der sich verändernden Rechtswirklichkeit bedingt einen spezifischen Normsetzungsstil. Dieser ist in der Regel durch eine besondere Offenheit der Normtexte gekennzeichnet. Damit bleibt Raum, den unveränderlichen Normtext geänderten gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen im Wege der Auslegung oder der Fortbildung des Verfassungsrechts anzupassen.[163] Diese Deutungsoffenheit tritt in eine eigenartige Spannungslage zur Stabilität der Verfassung[164] und weist der die Normtexte konkretisierenden Judikative besondere Verantwortung zu. Eingehegt wird deren Deutungsmacht vor allem durch die Selbstbindung an Präjudizien.[165] Darüber hinaus bleibt nur noch der Appell an judical self-restraint.

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      Parlamentarisch-gubernative Regelungsebene

      Auch die parlamentarisch-gubernative Regelungsebene ist streng formalisiert.[166] Im nationalen Recht sind ihr die einfachen Bundes- und Landesgesetze (Art. 72 ff. GG, Art. 70 Abs. 1 GG), im Unionsrecht die als Gesetzgebungsakte unter Beteiligung des Parlaments erlassenen Richtlinien und Verordnungen (außerhalb des Tertiärrechts) zuzuordnen (Art. 289 Abs. 3, 288 Abs. 2 und 3 AEUV). Die Entscheidung wird durch die Organe getroffen, denen innerhalb des Rechtskreises eine besonders hohe demokratische Legitimation zukommt. Der Entscheidungsprozess zeichnet sich durch eine Einbindung weiterer Akteure aus, die sowohl das exekutive wie das föderale bzw. mitgliedstaatliche Element der Verfassung des Rechtskreises repräsentieren. Dies kann durch Initiativrechte (Art. 76 Abs. 1 Var. 1 und 3 GG)[167] oder sogar Initiativmonopole (Art. 294 Abs. 2 AEUV) geschehen und sich in Mitentscheidungsbefugnissen fortsetzen (Art. 77 Abs. 2–4 GG; Art. 294 Abs. 3–14 AEUV). Damit bietet das Verfahren der Normsetzung eine hohe Gewähr, etwaige Vollzugsschwierigkeiten zu antizipieren.

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      Richtlinien

      Eine besondere Herausforderung für die Rechtsquellenlehre ist das Rechtsregime der Richtlinie.[168] Anders als die Verordnung, die unmittelbar und allgemein gilt (Art. 288 Abs. 2 AEUV), ist sie auf ein zweistufiges Normsetzungsverfahren angelegt. Verpflichtet sind zunächst allein die Mitgliedstaaten, die Richtlinie bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist in ihr nationales Recht umzusetzen. Dabei sind sie in der Wahl der Mittel frei (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Wenn die Umsetzungsfrist verstrichen ist, kann die Richtlinie aber gleichwohl im Außenverhältnis zum Bürger Wirkungen entfalten. Um dies sicherzustellen, hat der EuGH unterschiedliche Wege eingeschlagen. Hierzu gehört die mit der Entscheidung van Duyn begründete unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist können sich die Bürger unmittelbar auf eine Richtlinie berufen, wenn diese hinreichend klar und unbedingt ist.[169] Dagegen wird eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien abgelehnt, wenn es um staatliche Belastungen geht.[170] Im Einzelnen sehr schwierige Fragen stellen sich im Rahmen der sogenannten horizontalen Drittwirkung.[171] Sofern eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie ausscheidet, können richtlinienwidrige Ergebnisse unter Umständen noch im Wege der richtlinienkonformen Auslegung oder einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung vermieden werden.[172]

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      Begründungskultur und Transparenz parlamentarischer Verfahren

      Die Begründungskultur, ebenso wie die Transparenz des parlamentarischen Verfahrens zwingen die handelnden Akteure politische Verantwortung zu übernehmen und sich der Kritik einer den Normsetzungsprozess begleitenden Öffentlichkeit zu stellen. Dazu gehören auch Anhörungen von Experten in den vorbereitenden Ausschüssen. Die Einbindung der föderalen/mitgliedstaatlichen Ebene erschöpft sich nicht in der Verbreiterung des exekutivischen Sachverstandes, sondern hat auch ein demokratisches Moment, weil die dieses Element repräsentierenden Organe ihrerseits über eine hohe demokratische Legitimation verfügen. Erkauft sind diese Vorteile durch die relative Schwerfälligkeit des Verfahrens. Den Sachverstand der Ministerialbürokratie durch die externe Beauftragung von Anwaltskanzleien zu ersetzen, die eigenverantwortlich einen vollständigen Gesetzentwurf erarbeiten, begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.[173]

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      Ratio

      Bei der exekutiven Rechtssetzung lassen sich wiederum drei Grundtypen unterscheiden, die im Grundgesetz angelegt sind, aber jedenfalls zum Teil auch eine Entsprechung im Unionsrecht finden. Unterscheidungskriterium ist der Grad der Rückbindung an ein Gesetz, das die Verwaltung zur Normsetzung ermächtigt. Damit lassen sich Rechtsverordnungen und Tertiärrecht (a) von Satzungen (b) und Verwaltungsvorschriften (c) unterscheiden.[174] Alle drei Formen dienen der Entlastung der parlamentarisch-gubernativen Rechtssetzung. Diese kann sich auf die Grundentscheidungen beschränken, wohingegen die exekutive Rechtssetzung hieran anknüpfend eine schnelle und sachverständige Regelung von Detailfragen (Rechtsverordnungen, delegierte Rechtsakte[175]) oder die Autonomie und Selbstbestimmung von Selbstverwaltungskörperschaften bzw. Anstalten durch Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten ermöglicht (Satzungen). Im Rahmen der durch das Außenrecht gesetzten Bindungen erlauben Verwaltungsvorschriften eine flexiblere Selbstprogrammierung der Verwaltung, die als Steuerungsressource und Wissensspeicher dient. Inwieweit Verfahrensanforderungen (z. B. Beteiligungsrechte, Begründungspflichten), die gesetzlich vorgesehen, auch verfassungsrechtlich gefordert sind, wird unterschiedlich beurteilt.[176]