sprachen die drei dem bescheidenen Abendessen zu, das aus Kartoffeln und eingelegten Flundern bestand. Aber es mundete alles vortrefflich. Nachdem man abgegessen hatte, machte sich der Fischer weiter an die Arbeit, um die letzten schadhaften Schlingen zusammenzuziehen. Hanna half in der Küche der Tante beim Reinigen des Geschirrs.
Aber dem Fischer wollte heute die Arbeit nicht recht von der Hand gehen. Oefters hielt er inne und schüttelte sorgenvoll den Kopf. Ihm war das Herz heute so sonderbar schwer. Das kam wohl daher, daß um diese Zeit vor sieben Jahren sein junges Weib schwer krank wurde. Warum kam ihm das alles gerade heute in den Sinn?
Er atmete sichtlich erleichtert auf, als es an die Tür klopfte und auf sein Herein Professor Bender und Frau das Zimmer betraten.
Der Professor war ein stattlicher Herr von etwa fünfzig Jahren, mit einem klugen und ausdrucksvollen Gesicht. Seine Gattin schien heiteren Temperaments zu sein, denn ein sonniges Lächeln verklärte das sympathische Antlitz. Seit acht Jahren wohnte man in jedem September bei Strödes, und besonders das kleine Mädchen hatte Frau Professor Bender, die keine eigenen Kinder besaß, in ihr Herz geschlossen. Sie hatte Hanna von Jahr zu Jahr wachsen und gedeihen sehen und daher ihre helle Freude an dem frischen, hübschen Kinde gehabt.
»Sie glauben gar nicht, lieber Herr Ströde, wie wir uns alljährlich auf die Reise nach Pommern freuen. Wir lieben die See, wir lieben das kleine Fischerhaus, wir lieben aber auch unser herziges Pommerle.«
Pommerle war der Kosename, den Frau Bender geprägt hatte und der dem kleinen Hannchen galt. Sie nannte Hanna niemals bei ihrem Vornamen, sie rief stets nach Pommerle, und Hanna war stolz auf den hübschen Namen, den ihr die freundliche Tante gegeben hatte.
»Unser Pommerle verkörpert in sich das ganze Pommernland, die blauen Augen, die so tief und unergründlich sind, das ist die See und das helle Blond ihres Haares ist der von uns geliebte Strand. Das stämmige Körperchen aber ist der echte pommerische Schlag, trotzig und treu.«
So kam es, daß Hanna Ströde von sehr vielen, die das kleine Mädchen kannten, nur noch Pommerle gerufen wurde.
Auch jetzt fragte man wieder nach Pommerle.
»Ich glaube, sie ist draußen in der Küche, gnädige Frau,« sagte der Fischer. »Sie hat noch zu tun.«
»Unser fleißiges, kleines Mädelchen,« lächelte Frau Professor Bender. »Das Kind bringt Ihnen sicherlich viel Sonnenschein ins Haus.«
Ströde nickte. »Manchmal ist mir recht bange um das kleine Ding. Die Mutter fehlt ihm, und wenn eines Tages unsereinen einmal ein Unglück trifft – –«
»Wie können Sie an so etwas denken, Herr Ströde!« tadelte Frau Bender, »Sie sind ein junger, gesunder Mann.«
»Das Wasser hat schon jüngere verschlungen.«
»Sie sollten derartige Gedanken nicht haben, lieber Herr Ströde.«
»Ich weiß selbst nicht, gnädige Frau, warum sie heute kommen. Es will mir gar nicht aus dem Sinn. – Was sollte wohl aus dem Kinde werden?«
»Ihr Beruf ist gewiß recht gefährlich, Herr Ströde, aber wir alle stehen in Gottes Hand.«
»Das sage ich mir ja auch, ich bin auch gewiß kein Feigling, es ist ja nur ums Hannchen.«
Professor Bender war hinzugetreten und legte dem Fischer die Hand auf die Schulter.
»Ich weiß, daß jedem mitunter solch trübe Gedanken kommen, Herr Ströde. Für ihr Hannchen würde unter allen Umständen gesorgt werden. Ich weiß ja, daß Sie keine Verwandten haben, die sich der Kleinen annehmen würden, wenn es aber einmal schlimm käme, würden wir unser Pommerle nicht unter fremde Menschen gehen lassen. Das Kind ist uns beiden lieb wie eine eigene Tochter.«
Die rauhe, wetterharte Hand des Fischers griff nach der Rechten des Professors.
»Herr Professor,« sagte er mit schwankender Stimme, »bei Ihnen wird sie es gut haben, das weiß ich, viel besser als bei meiner Base, aber – – lassen wir das jetzt. Ich bin so oft in Todesnöten gewesen, und immer ist es gut ausgegangen. Der liebe Gott wird nicht wollen, daß mein Hannchen auch noch den Vater verliert.«
»Wir wollen nicht von so trüben Dingen reden, Herr Ströde,« warf Frau Bender dazwischen, »ich hole jetzt das Pommerle und mache mit ihm noch einen Spaziergang. Ist es Ihnen recht?«
Der Fischer nickte. Sein Pommerle war nirgends besser aufgehoben als unter dem Schutze dieser freundlichen Frau.
Es war gegen Mitternacht, als der Fischer Ströde die Fischereigerätschaften zusammenpackte, um hinaus aufs Meer zu fahren. In diesen Septembernächten war es notwendig, daß man die ausgelegten Netze vor Morgengrauen einzog, um einen guten Fang zu haben. Ströde ging sonst so leichten Herzens zum Strande, heute waren ihm die Füße schwer wie Blei. Als er in der Haustür stand, hatte er das Gefühl, als hielte ihn eine unsichtbare Gewalt zurück.
Er überwand das Verlangen, Hannas Schlafzimmer zu betreten, um das Kind nochmals zu sehen. Morgen früh, gegen fünf Uhr, war er wieder zurück, dann konnte er sein Töchterchen wieder ans Herz drücken.
Als er an den Strand kam, waren die beiden anderen Fischer, die Bootsgenossenschaft mit ihm hatten, bereits damit beschäftigt, die Netze ins Boot zu legen. Man hatte zu dritt das Segelboot und teilte sich zu gleichen Teilen in den Fang. Einige Boote schaukelten bereits auf dem Wasser, andere folgten, und nun ging es bei frischem Nordost hinaus.
»Ich trau' dem Wetter nicht recht,« sagte Fischer Ehmke, der neben Ströde im Boote saß und sich mit dem Segel zu schaffen machte.
»Der Nordost ist uns noch nie ein guter Freund gewesen.«
Für wenige Augenblicke schaute auch Ströde auf. »Mag sein,« erwiderte et, »wir fahren ja nicht weit, in vier Stunden sind wir wieder zurück.«
Der Flundernfang war diesmal reichlicher denn zuvor. Man dachte bereits an die Heimfahrt, denn der Nordost nahm an Stärke beträchtlich zu. Von Zeit zu Zeit kam's wie ein Stoß gegen die Segel, und Ehmke hatte alle Hände voll zu tun, um diese Böen zu parieren. Bedenklich schwankten die Boote auf den Wellen, und man gab sich alle Mühe, möglichst rasch das Heimatdorf wieder zu erreichen.
»Wir steuern mehr rechts,« sagte Ehmke, »damit wir nicht in die Nähe der Sandbänke kommen.«
Langsam zog er das Segel fester an, das Boot steuerte wieder ein wenig mehr in die offene See hinaus.
Es war gegen vier Uhr morgens, als der Strand sichtbar wurde. Wäre der Nordost nicht gewesen, so hätte man in etwa zwanzig Minuten das Land erreicht, jetzt aber sorgte der immer stärker werdende Wind dafür, daß man nicht so rasch ans Ziel kam.
Die aufgepeitschten Wellen rollten in ununterbrochener Folge auf die Boote zu, fielen klatschend in das Innere der kleinen Fahrzeuge, überschütteten die Fischer mit ihrem Sprühregen und ließen sie die Morgenkälte schärfer empfinden.
Plötzlich ein pfeifendes Heulen, dann eine sich hoch auftürmende Welle; und ehe es Ehmke noch recht gelungen war, das nur halb gehißte Segel völlig zu reffen, prallte die Woge an das Schiff. – Im nächsten Augenblick schlug das Boot um, Ströde und Hegler stürzten ins Wasser, während sich Ehmke an den Stricken des Segels festhalten konnte.
Der Vorfall war von den anderen Fischern nicht unbemerkt geblieben. Todesmutig versuchte man sich der Unglücksstätte zu nähern. Man wußte, daß sich gerade an dieser Stelle die gefährliche Sandbank befand, an der vor vier Jahren ein braver Fischer sein Leben gelassen hatte.
Dort tauchte aus den Wellen der Körper des einen Verunglückten auf. Ein leeres Netz, ein paar Stricke warf man ihm zu, aber schon spülte eine neue Welle über den Ertrinkenden hinweg. Da tauchte er nochmals auf.
Wieder wurde ein Rettungsversuch unternommen, ein Ruder warf man dem Manne zu. Das konnte Hegler erfassen. Mit Hilfe von Netzen und Stricken gelang es schließlich, ihn in eines der Boote zu ziehen.
»Wo ist Ströde?«
Das war die bange Frage, die von