Magda Trott

PUCKI & POMMERLE: Alle 18 Bücher in einem Band


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auf dem unruhigen Meere herumschlängelten, dann aber von den aufgepeitschten Wellen mitgerissen wurden.

      »Ströde – – Ströde!« Die gellenden Rufe mischten sich in das Brausen des Wassers.

      »Dort – – dort hinten!« Einer der Fischer wies auf einen dunklen Punkt, der etwa sechzig Meter von den rettenden Booten auftauchte.

      Kraftvolle Männerarme griffen nach den Rudern, niemand dachte jetzt an die Todesgefahr, der man sich aussetzte, als man das mit Wasser halb angefüllte Boot durch die Sturzwellen lenkte.

      Der dunkle Punkt war wieder verschwunden. Aufs neue suchte man die Wasserfläche ab, warf Ruder aus, aber nirgends tauchte eine Hand auf, die nach der rettenden Planke griff.

      Trotz der frühen Morgenstunde war es am Strande lebendig geworden. Im Fischerdörfchen pflegten die Einwohner zeitig auf zu sein, denn in den frühen Morgenstunden fahren ihrer viele in die See hinaus. Gerüchte wurden laut, man ahnte, daß sich da draußen etwas Furchtbares ereignet hatte.

      Aufs neue sprangen beherzte Männer in die Boote, um vielleicht Rettung bringen zu können. Es war ein grausiger Kampf mit dem wilden Elemente, aber der, den man suchte, den man zu finden hoffte, der war von den Wellen mit fortgerissen und weit in die See hinausgetrieben worden.

      Nach einstündigem, vergeblichem Suchen sah man ein, daß ein weiteres Verweilen draußen auf der tobenden See keinen Zweck hatte, zumal die Rettenden bereits selbst halb erstarrt waren. So kehrte man gedrückt ans Land zurück.

      Die schreckliche Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Einer berichtete es dem anderen, und jeder, der die traurige Nachricht vernahm, sprach ein Wort des Bedauerns, weil man Fischer Ströde als einen der besten und fleißigsten Männer kannte.

      Als sich Hanna Ströde des Morgens gegen sechs Uhr erhob, ahnte sie nicht, welch schreckliche Botschaft ihr der neue Tag bringen würde. Ihr erster Gruß galt wieder der See, die ihr über Nacht den Vater geraubt hatte.

      Wie wild und aufgewühlt das Wasser heute war, ordentlich unheimlich sah es aus. Hanna drohte der weiten Fläche mit dem Finger.

      »Mußt nicht gar so wild sein!«

      Vom Fenster aus sah sie eine Gruppe Dorfbewohner, die alle nach dem kleinen Fischerhause blickten. Aber Hanna hatte jetzt keine Zeit, zu den Leuten hinüber zu springen, es galt, in der Küche Tante Berta beim Richten des Frühmahles zu helfen.

      Ob der Vater schon zurück war?

      Die Küche war leer, Tante Berta anscheinend schon ausgegangen. Das Feuer brannte im Herde, im Wasserkessel summte das Wasser, sonst war noch nichts hergerichtet. Es hatte den Anschein, als sei Tante Berta eilig davongelaufen. Hanna holte die Tassen aus dem Küchenschranke und deckte in der Küche den Frühstückstisch. Ihr wurde plötzlich merkwürdig unheimlich zumute, denn die Tante blieb doch sonst nicht so lange fort.

      Sie eilte hinaus vor das Haus, sah dort noch immer die Leute umherstehen und schritt langsam näher. Die lebhafte Unterhaltung verstummte plötzlich, als die Kleine näher herangekommen war. Dann sprachen alle gar gut und freundlich zu ihr. Hanna schaute bedrückt von einem zum anderen und fühlte sich plötzlich von der dicken Frau Jäger umschlungen. Die Fischersfrau weinte.

      »Geh nur heim, Hannchen, oder komm mit mir, kannst bei uns frühstücken.«

      »Wo ist Tante Berta?«

      »Komm nur mit mir.«

      Dem kleinen Mädchen wurde plötzlich bange. Und dann sah es, wie aus dem Hause Frau Professor Bender eilte. Sie trug noch den dunkelroten Morgenrock, hatte ein Häubchen auf dem Haar und sah sehr bleich aus. Zögernd ging ihr Hanna entgegen.

      »Tante Bender,« sagte Hanna gedrückt, »mir ist so angst, heute ist alles so anders.«

      »Ist's wirklich wahr?« Die Frage aus dem Munde der Frau Professor war leise an die Umstehenden gerichtet, aber Hanna hatte sie doch vernommen.

      »Wo ist der Vater?« rief die Kleine plötzlich.

      Frau Bender wollte das Kind festhalten, aber Hanna riß sich los, flog wie ein Pfeil über den Strand, hin zu den Booten, suchte einige Augenblicke und stürzte dann mit einem wilden Aufschrei auf einen der Fischer zu.

      »Wo ist der Vater?»

      »Noch haben wir ihn nicht gefunden,« sagte der wettergebräunte Alte.

      Sekundenlang starrte ihn Hanna an, dann hatte sie verstanden, hier an der Wasserkante sah man alltäglich dem Tode in die Augen, da wußte man gleich, was solch ein Ausspruch zu bedeuten hatte.

      Sekundenlang stand Hanna regungslos. Ihre blauen Augen schauten hinaus auf das Meer, das noch immer erregt wogte und rollte. Obwohl sie ahnte, was geschehen war, faßte sie im Augenblicke die ganze Schwere dieser wenigen Worte nicht. Sie wußte nur das eine, daß etwas Entsetzliches mit dem Vater geschehen war.

      Der Alte verstand nicht, der Kleinen tröstende Worte zu sagen.

      »An jeden von uns kommt es mal heran,« sagte er dumpf.

      Da schrie Hanna auf. »Der Vater – – wo ist der Vater?«

      Sie eilte zu einem der Boote, lehnte sich an den Rand des Fahrzeuges und rief immer wieder: »Vater – Vater – Vater!«

      Frau Bender war der Erregten nachgeeilt. Sie war die erste, die Hanna erreichte und das schier erstarrte Mädchen fest in ihre Atme schloß.

      »Pommerle, mein geliebtes Pommerle!«

      »Der Vater,« schluchzte das kleine Mädchen.

      »Ist zum lieben Gott gegangen.«

      Da schauerte das Kind zusammen, und dann stürzten ihm die Tränen aus den Augen. »Ich will zum Vater!«

      Frau Bender setzte sich auf den Rand des Kahnes und nahm Pommerle auf den Schoß, wie ein kleines Kind wiegte sie die Achtjährige in den Armen.

      »Der liebe Gott hat zum Vater gesagt, er solle zu ihm kommen; und da ist der Vater gekommen. Denke doch an das hübsche Bild, das ich dir neulich gezeigt habe. Da kommt der Herr Jesus auf dem Wasser geschritten, – er ist auch heute so gekommen und hat deinem Väterchen die Hand gereicht und ihn dann zu sich in den schönen Himmel geholt.«

      Pommerle preßte das tränenüberströmte Kindergesicht an die Schultern der gütigen Frau.

      »Ich will auch in den Himmel.«

      »Du bleibst erst noch ein Weilchen bei mir, mein liebes Pommerle.«

      »Ich will zum Vater!«

      Aufgeregt versuchte Hanna sich aus den Armen der Frau zu lösen, aber Frau Bender hielt das zitternde Kind fest.

      »Du betest doch an jedem Abend zum lieben Gott: dein Wille geschehe! Wenn es der liebe Gott so bestimmt hat, müssen wir uns damit zufrieden geben.«

      Aufs neue brach wildes Schluchzen aus dem Kinde hervor, und immer wieder versuchte Frau Bender zu trösten.

      »Schau, mein Pommerle, dort guckt die Sonne hervor. Das ist ein Gruß deines Vaters, der jetzt im Himmel ist. Er läßt dir sagen, daß du nicht weinen sollst, wenn er auch nicht mehr in dem kleinen Häuschen wohnt, sieht er dich doch zu jeder Stunde und wacht darüber, daß dir nichts geschieht.«

      Hin und wieder hob das kleine Mädchen den Kopf und schaute zu der Sprecherin auf. Dann aber füllten sich die blauen Augen wieder mit Tränen.

      »Komm, mein Pommerle, wir gehen jetzt heim.«

      Energisch zog Frau Bender das Kind mit sich fort. Man schritt an den neugierig dreinschauenden Gruppen vorüber, hin zum Hause. Aber als man den kleinen Flur betrat, als Pommerle dort die Lederjoppe des Vaters hängen sah, rief es jammernd aus:

      »Vater, Vater!«

      Frau Bender nahm das Kind in ihr Zimmer, setzte es auf das gute rote Plüschsofa, vor dem Pommerle stets eine fast heilige Scheu gehabt hatte, legte ein Kissen unter das tränenüberströmte Gesicht der Kleinen, zog sich einen Stuhl