Эрнст Гофман

E. T. A. Hoffmann: Ausgewählte Novellen und Erzählungen


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in den glänzenden Frühling hinüberschauen können, und an dessen Ausgang die Zahl Dreißig steht, vor der sie sich fürchten wie vor dem Engel mit dem flammenden Schwert.

      Ich. Das ist sehr pittoresk, aber auch mehr pittoresk, als wahr! Denn habe ich nicht selbst ältere Weiber gekannt, deren Liebenswürdigkeit den Mangel an Jugend ganz vergessen ließ?

      Berganza. Das ist nicht allein möglich, sondern ich will dir sogar zugestehen, daß der Fall nicht zu selten eintreffen kann, mein Satz bleibt indessen doch unwiderruflich fest stehen. – Eine verständige Frau, die in früher Jugend gut erzogen, frei von Irrtümern, aus der Blütezeit eine wohltuende Ausbildung des Geistes hinübergebracht hat, wird dir allemal eine angenehme Unterhaltung gewähren, sobald du dir's gefallen lassen willst, in der Mitte zu schweben und jeden höheren Forderungen zu entsagen; ist sie geistreich, so wird sie nicht arm an witzigen Einfällen und Wendungen sein; statt aber das Rein-Komische rein gemütlich zu betrachten, sind diese dann mehr in falschen Farben glänzende Ausbrüche eines innern Unmutes, die dich nur eine kleine Zeit hindurch täuschen und belustigen können; ist sie schön, so wird sie nicht unterlassen auch kokett zu sein, und dein Interesse an ihr wird in einen eben nicht löblichen Faunismus (um nicht ein anderes verächtliches Wort zu brauchen) ausarten, den ein in der Blütezeit stehendes Mädchen bei keinem Manne erregt, der nicht im höchsten Grade verderbt ist!

      Ich. Goldene Worte! – Goldene Worte! Aber das gänzliche Stehenbleiben – das Beharren in früheren Irrtümern nach dem bezeichneten Wendepunkt – es ist doch hart, Berganza!

      Berganza. Aber wahr! Unsere Lustspieldichter haben das sehr gut gefühlt, daher wurde vor einiger Zeit unsere Bühne von den schmachtenden, empfindelnden alten Mamsells nicht leer; die traurigen Reste der empfindsamen Periode, in die ihre Blütezeit fiel; jetzt ist das nun längst ganz vorbei, und es wäre Zeit, die Korinnen in die Stelle treten zu lassen.

      Ich. Du meinst doch nicht die herrliche Korinna, die Dichterin, die im Vatikan in Rom gekrönt wurde – den herrlichen Myrtenbaum, der in Italien gewurzelt, seine Äste bis zu uns herüber gerankt hat, daß, in seinem Schatten ruhend, uns des Südens Blumendüfte umsäuseln?

      Berganza. Sehr schön und poetisch gesagt, wiewohl das Bild etwas gigantesk ist, da der von Italien bis nach Deutschland herüberreichende Myrtenbaum wirklich im größten Stil geraten! – Übrigens habe ich jene Korinna gemeint, die, als über die Blütezeit der Weiber hinaus ausdrücklich geschildert, wie ein wahrer Trost, ein wahres Labsal für alle alternden Frauen erschienen, denen nun das Tor der Poesie, Kunst und Literatur angelweit geöffnet, wiewohl sie zu bedenken hätten, daß sie nach meinem richtigen Grundsatz schon in der Blütezeit alles sein mußten und nichts mehr werden können. – Ist dir die Korinna nie zuwider geworden?

      Ich. Wie wäre das möglich gewesen? – Mir freilich, wenn ich sie mir als im Leben wirklich zu mir hintreten dachte, glaubte ich mich von einem gewissen unwohltätigen, unheimlichen Gefühl befangen, ich hätte mich nie in ihrer Nähe wohl und gemütlich befunden.

      Berganza. Dein Gefühl war ganz richtig; ich hätte mich, war ihr Arm und ihre Hand auch noch so schön, niemals von ihr streicheln lassen können, ohne einen gewissen innern Abscheu zu spüren, der mich gewöhnlich des Appetits beraubt – ich sage das nur hündischerweise! – Im Grunde genommen, liegt aber in dem Geschick der Korinna selbst der Triumph meiner Lehre; denn vor dem glänzenden reinen Strahl der Jugend verschwindet in bloßen Schein ihr Nimbus, und in dem echt weiblichen Streben nach dem geliebten Mann geht sie in ihrer eignen Unweiblichkeit oder vielmehr in ihrer verzerrten Weiblichkeit rettungslos unter! – Meine Dame gefiel sich ungemein darin, die Korinna vorzustellen.

      Ich. Welche Torheit, wenn sie nicht wenigstens die wahre Anregung der Kunst in sich spürte.

      Berganza. Nichts weniger als das, mein Freund! Du kannst es mir glauben! Meine Dame hielt sich gern auf der Oberfläche, und sie hatte eine gewisse Fertigkeit erlangt, dieser Oberfläche einen Schimmer zu geben, der die Augen mit falschem Licht blendete, so, daß man die Seichtigkeit nicht gewahr wurde. So glaubte sie schon ihrer wirklich schönen Arme und Hände wegen die Korinna zu sein und ging von der Zeit an, als sie das Buch gelesen, an Brust und Armen mehr entblößt, als es wohl einer Frau in ihren Jahren geziemlich ist, und schmückte sich überaus mit zierlichen Ketten, antiken Kameen und Ringen, sowie sie oft mehrere Stunden zubrachte, ihr Haar mit köstlichen Ölen salben und in zierlichen, künstlichen Geflechten zu diesem oder jenem antiken Kopfschmuck irgendeiner Kaiserin aufringeln zu lassen. – Böttigers kleinliche Antikenkrämereien waren ihr eben recht; aber mit den mimischen Darstellungen nahm es ein plötzliches Ende.

      Ich. Und wie das, Berganza?

      Berganza. Du kannst denken, daß meine unerwartete Erscheinung als Sphinx der Sache schon einen ziemlichen Stoß gegeben hatte, indessen hatten die mimischen Darstellungen doch noch ihren Fortgang, zu denen ich aber nicht mehr zugelassen wurde. Zuweilen wurden nun auch nach der dir bekannten Methode ganze Gruppen dargestellt; Cäcilia ließ sich indessen nie dazu bereden, daran Anteil zu nehmen. Endlich aber, als die Mutter sehr in sie drang, und als der Dichter und der Musiker sich in stürmischen Bitten vereinigten, ließ sie es sich doch gefallen, in der nächsten mimischen Akademie, wie meine Dame ihre Übungen vornehm nannte, die Heilige, deren Namen sie bedeutungsvoll trug, darzustellen. – Kaum war das Wort gegeben, als die Freunde in rastloser Tätigkeit sich beeiferten, alles herbeizuschaffen und anzuordnen, was zur würdigen und effektvollen Darstellung der Heiligen durch die holde Geliebte nötig war. Der Dichter wußte eine sehr gute Kopie der heiligen Cäcilia von Carlo Dolce, die sich bekanntlich in der Dresdener Galerie befindet, aufzutreiben, und da er zugleich ein geschickter Zeichner war, zeichnete er dem Theaterschneider des Orts so genau jeden Teil der Gewänder vor, daß dieser imstande war, aus schicklichen Stoffen Cäciliens Draperie ganz herzustellen; auch der Musiker tat geheimnisvoll und sprach von dem Effekt, den man ihm allein verdanken werde. Cäcilia, als sie das emsige Bemühen der Freunde sah, als beide mehr als je sich beeiferten, ihr tausend angenehme Dinge zu sagen, fand immer mehr Interesse an der Rolle, die sie erst hartnäckig verschmäht hatte, und konnte kaum den Tag der Darstellung erwarten, der nun endlich herankam.

      Ich. Ich bin begierig, Berganza! – wiewohl ich wieder einigen teuflischen Unrat merke.

      Berganza. Diesmal hatte ich mir vorgenommen in den Saal zu dringen, es koste was es wolle; ich hielt mich an den Philosophen, und dieser, aus reiner Dankbarkeit, daß ich seiner Schelmerei so beigestanden, wußte auch mir so geschickt die Tür zu rechter Zeit zu öffnen, daß ich hineinschlüpfen und meinen Platz, von niemandem bemerkt, an gehöriger Stelle nehmen konnte. Man hatte diesmal einen Vorhang quer durch den Saal gezogen und die Beleuchtung zwar oben, aber nicht wie sonst aus der Mitte strömend und die Gegenstände von allen Seiten so wie durchsichtig beleuchtend, sondern auf der einen Seite angebracht. Als der Vorhang sich wegschob, saß, ganz wie auf Dolces Gemälde, in seltsame Gewänder malerisch gekleidet, die heilige Cäcilia vor der kleinen altertümlichen Orgel, und mit gesenktem Haupte tiefsinnig in die Tasten schauend, schien sie die Töne körperlich zu suchen, die geistig sie umschwebten. So glich sie ganz dem Gemälde Carlo Dolces. – Nun erklang ein ferner Akkord, lang ausgehalten und in die Lüfte verschwebend. – Cäcilia erhob leise den Kopf. – Nun hörte man wie aus höchster Ferne einen Choral weiblicher Stimmen, ein Werk des Musikers. Die einfachen und doch in wunderbarer Folge fremd und wie aus einer andern Welt herabgekommenen klingenden Akkorde dieses Chors von Cherubim und Seraphim erinnerten mich lebhaft an manche Kirchenmusik, die ich vor zweihundert Jahren in Spanien und in Italien gehört, und ich fühlte denselben heiligen Schauer mich durchbeben, wie damals. Cäciliens gen Himmel gerichtete Augen erglänzten in heiliger Verzückung, und unwillkürlich sank der Philosoph mit emporgehobenen Händen auf die Knie, indem er tief aus dem Innersten heraus rief: »Sancta Caecilia, ora pro nobis.« Viele aus dem Zirkel folgten in wahrhafter Begeisterung seinem Beispiel, und als der Vorhang zurauschte, war alles, selbst manches junge Mädchen nicht ausgenommen, in stille Andacht versunken, bis eine laute allgemeine Bewunderung dem Drange des innern Gefühls Luft machte. Der Dichter und der Musiker gebärdeten sich wie närrisch, indem sie sich einmal über das andere umarmten und dabei heiße Tränen vergossen. Man hatte Cäcilien gebeten, den Abend über