haben. Wenn er eine gute Einstellung dazu hat, wird ihn das Gefühl weniger stören und er wird wahrscheinlich mehr Druck machen. Studien haben gezeigt, dass Athleten, wenn sie sich während eines Wettkampfs schlechter als erwartet fühlen, dazu neigen, eine schlechte Einstellung gegenüber ihrem Unbehagen zu entwickeln und infolgedessen das Tempo noch mehr reduzieren, als sie eigentlich müssten. Natürlich bräuchten sie von einem rein körperbezogenem Standpunkt aus betrachtet das Tempo überhaupt nicht zu reduzieren.
Im Jahr 2005 untersuchte Alan St. Clair Gibson den Effekt nicht erfüllter Erwartungen auf die Wahrnehmung von Anstrengung anhand einer Gruppe von 16 gut trainierten Läufern. Das Experiment bestand aus zwei Teilen. Im ersten Teil sollten die Probanden gleichmäßig 20 Minuten lang auf einem Laufband laufen. Nach jeder Minute sollten sie angeben, wie hoch sich die wahrgenommene Anstrengung anfühlte, und ihren »positiven Affekt« bewerten, also einschätzen, wie sehr sie das, was sie gerade taten, genossen. Im zweiten Teil des Experiments sollten die Probanden nur zehn Minuten lang bei gleicher Geschwindigkeit laufen, ihnen wurde aber am Ende dieser zehn Minuten gesagt, dass sie noch weitere zehn Minuten laufen sollten. Der zweite Lauf war im Prinzip also mit dem ersten identisch, aber die Probanden hatten erwartet, dass er kürzer sein würde und deshalb leichter. Die tatsächliche Anordnung der beiden Läufe war randomisiert.
Als St. Clair Gibson die Daten durchsah, die er gesammelt hatte, stellte er fest, dass die Bewertung der wahrgenommenen Anstrengung sprunghaft nach oben ging und der positive Affekt in den Keller rauschte, gleich nachdem den Läufern gesagt worden war, dass sie zehn Minuten länger würden laufen müssen, als sie erwartet hatten. Die Läufer fühlten sich auf rein physischer Ebene nicht schlechter, aber sie entwickelten eine schlechte Einstellung dazu, wie sie sich fühlten, und fühlten sich folglich schlechter.
Untersuchungen zur Psychologie des Gehirns haben ähnliches ergeben. Einige Studien haben den Effekt zweier kontrastierender antizipierender Haltungen – Akzeptanz und Unterdrücken – auf die Schmerzwahrnehmung verglichen. Einige Menschen neigen von Natur aus dazu, auf die Wiederholung bekannter Schmerzstimuli mit Akzeptanz zu reagieren. Sie sagen sich: Das wird wehtun, aber nicht mehr als vorher. Andere Menschen versuchen, die gleiche Situation durch Unterdrücken zu bewältigen, also einer Form von Verleugnung. Sie sagen sich: Ich hoffe wirklich, dass es diesmal nicht so wehtun wird wie beim letzten Mal. Psychologen sind zu der Erkenntnis gelangt, dass im Vergleich zum Unterdrücken die Akzeptanz Schmerz weniger unangenehm werden lässt, ohne dass der Schmerz als solcher nachlässt. Deshalb ist sie eine effektivere Bewältigungsstrategie.
Die gleiche Strategie reduziert auch die wahrgenommene Anstrengung. In einer Studie aus dem Jahr 2014 betrachtete die Psychologin Elena Ivanova die Auswirkungen einer bestimmten Art der Psychotherapie namens Akzeptanz- und Commitment-Therapie auf die Ausdauerleistung einer Gruppe unsportlicher Frauen. Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie beinhaltet zu lernen, unangenehme Gefühle als unvermeidliche Begleiterscheinung bestimmter Erfahrungen – in diesem Fall sportliche Betätigung – zu akzeptieren. Ivanova stellte fest, dass die Therapie die wahrgenommene Anstrengung bei hoher Intensität um 55 Prozent reduzierte und den Erschöpfungszeitpunkt bei gleicher Intensität um 15 Prozent hinauszögerte.
Der Volksmund bezeichnet eine annehmende Haltung gegenüber einer bevorstehenden unangenehmen Erfahrung als »sich zu wappnen«. Viele von uns setzen diese Bewältigungsstrategie instinktiv ein, um im Alltag Dinge wie einen Zahnarztbesuch weniger unangenehm erscheinen zu lassen. »Tatsächlich«, so die Beobachtung der Psychologen Jeff Galak und Tom Meyvis in einem Artikel von 2011, »entscheiden sich Leute oft dafür, bei einer bevorstehenden Erfahrung das Schlimmste zu erwarten in der Hoffnung, einen vorteilhafteren Kontrast zwischen Erwartung und Realität zu schaffen.«
Im Kontext von Ausdauerwettkämpfen kann dieser »vorteilhafte Kontrast« die Leistung verbessern. Je unangenehmer es in der Erwartung des Athleten wird, desto mehr kann er aushalten, und je mehr Unbehagen er aushalten kann, desto schneller kann er sich vorwärtsbewegen. Es ist also kein Wunder, dass Top-Ausdauersportler sich für wichtige Wettkämpfe grundsätzlich wappnen. Der großartige britische Läufer Mo Farah sagte einem Reporter des Daily Mirror vor seinem ersten Marathon: »Das wird das härteste Rennen meines Lebens.« Er war nicht negativ, er wappnete sich.
Man weiß nie, wie sehr das nächste Rennen wehtun wird. Die Wahrnehmung der Anstrengung ist ein Rätsel. Man kann sich in zwei Rennen ähnlich anstrengen und dennoch bei dem einen Rennen »über dem Schmerz stehen«, während man von ihm in dem anderen Rennen überwältigt wird. Weil man nie weiß, was auf einen zukommt, bis es so weit ist, gibt es immer die verlockende Hoffnung – vielleicht nicht ganz bewusst – dass der nächste Wettkampf keiner von der zermürbenden Sorte sein wird. Diese Hoffnung ist eine schlechte Bewältigungsstrategie. Sich zu wappnen – also stets zu erwarten, dass das nächste Rennen das härteste werden wird – ist ein wesentlich reiferer und effektiverer Ansatz, um sich mental für den Wettkampf zu rüsten.
Jenny Barringer hatte sich nicht gegen das Unbehagen gewappnet, das sie bei den NCAA Cross Country Championships 2009 hätte erwarten sollen, und dies hat sie ins Verderben gestürzt. Ihr erster Fehler war, dass sie ihren Blick auf die Zeit nach dem Wettkampf gerichtet hat. Die Veranstaltung in Terre Haute sollte ihr Abschied als Hobbyläuferin sein. Bald danach wollte sie einen Agenten verpflichten, einen hoch dotieren Vertrag unterschreiben und eine Karriere als professionelle Athletin beginnen. Obwohl Jenny sich dafür entschieden hatte, für die Cross-Country-Saison 2009 nach Colorado zurückzukehren, um ihr Versprechen zu halten und sich einen Traum zu erfüllen, war sie bereit, den nächsten Schritt zu gehen – und auf ganz entscheidende Weise war sie diesen Schritt schon vor ihrem albtraumhaften letzten Wettkampf im Trikot der Buffaloes gegangen.
Sie erzählte Ryan Fenton von Flotrack am Tag nach der Katastrophe: »Ich habe einen oder zwei Monate vor dem Wettkampf angefangen, mir zu sagen: ›Ich kann es nicht erwarten, bis die Meisterschaften vorbei sind.‹ Das habe ich noch nie gedacht. Ich habe mich immer wirklich auf diese Veranstaltungen gefreut.«
Zusätzlich dazu, dass sie ihren Blick auf die Zeit nach dem Rennen selbst gerichtet hatte, hatte sie auch nicht auf die Konkurrenz geschaut. »Das war ein weiterer Fehler«, sagte sie zu Fenton. »Ich bin gestern nicht einfach nur angetreten, um zu gewinnen. Ich musste Sallys Streckenrekord brechen und mit 30 Sekunden Vorsprung gewinnen.«
Egal wie sehr sich ein Athlet in einem Rennen pusht, mit 30 Sekunden Vorsprung zu gewinnen bedeutet, mit Leichtigkeit zu gewinnen. Jennys Ziele spiegelten die Erwartung wieder, das Rennen locker zu gewinnen – im doppelten Wortsinn. Diese Erwartung war nicht unangemessen, da sie zuvor jeden Wettkampf dieser Saison gewonnen hatte, ohne richtig gefordert worden zu sein. Aber als Konsequenz dieses Spaziergangs hatte Jenny nicht nur aufgehört zu erwarten, dass sie gegen die College-Konkurrenz leiden würde, sondern auch die Übung darin verloren.
Erfahrene Athleten verlieren leicht das Gefühl dafür, wie intensiv das Leiden, das sie im Rennen fühlen, wirklich ist. Sie gewöhnen sich daran, was eine gute Sache ist, denn sich ans Leiden zu gewöhnen härtet sie ihm gegenüber ab. Aber diese Toleranz besteht nur so lange, wie ein Athlet ausreichend gewappnet ist. Jeder Athlet, der einer Wettkampfbelastung außerhalb dieses Kontexts ausgesetzt wäre, würde sofort wieder vollen Respekt dafür bekommen, wie schrecklich sie ist. Wenn ein Läufer beispielsweise beim Treppensteigen zu Hause plötzlich eine ähnlich hohe Belastung fühlen würde wie auf dem letzten Kilometer seines härtesten Marathons, würde er vermutlich zusammenbrechen und um Hilfe schreien, weil er glaubte, er würde sterben.
Zugegeben, Jenny Barringer wurde vom Leiden bei den NCAA Cross Country Championships nicht ganz so kalt erwischt. Aber Susan Kuijkens Kampfansage und das Unbehagen, das sie in Jenny hervorrief, kamen überraschend genug, um sie in Panik geraten zu lassen. Zwar waren einige Aspekte ihres »epischen Zusammenbruchs« (um es mit Sean McKeons prophetischer Formulierung auszudrücken) bizarr. Sich dermaßen plötzlich »nicht so gut zu fühlen« und sich nach dem Zusammenbruch wieder komplett zu erholen, das hatte es zuvor noch nie gegeben. Vielleicht werden wir nie ganz verstehen, warum alles so gekommen war. Aber dennoch ist die einzige Erklärung, die Sinn ergibt, die von Jenny selbst.
»Ich habe mir selbst eine Falle gestellt«, sagte sie.
AM 3. DEZEMBER 2009, nur ein paar Wochen nach