Dieter A. Binder

Die Freimaurer


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überliefert, so dass Hans BIEDERMANN von einer „eher unbeholfen wirkenden Kompilation verschiedener Motive“ spricht, „wobei die Ermordung des Meisters in drei Etappen wohl zu den absonderlichsten Eigenheiten gehört“.159 Augenscheinlich ist dabei die Verklammerung mit den Symbolen der beiden vorangegangenen Grade, wie sie in der bemerkenswerten Instruktion von Maurice SERRE und Poky ROCHARD unterstrichen wird.160

      Als Mysterienspiel ist es eine literarische Fiktion, die ein Modell anbietet, das es in der Realität nicht gibt: Den eigenen Tod erleben, diesen Tod als Neugeburt zu verstehen, und damit die Chance zu erhalten, über das bisherige Leben hinaus zu wachsen, einen Punkt zu erreichen, an dem man die freie Entscheidung, die Wahl hat. Max FRISCH führt uns diese Grundkonstellation in einem modernem Umfeld in seinen Romanen „Stiller“161 und „Mein Name sei Gantenbein“162 ebenso vor Augen wie in seinem Stück „Biografie“.163 Mircea ELIADE interpretiert diesen Vorgang – Geburt, Tod, Wiedergeburt – als „drei Momente ein und desselben Mysteriums“.164 „Das Initiationsszenarium, d.h. Tod und Wiedergeburt, spielt auch in den höher entwickelten Religionen eine bedeutende Rolle.“165 Dieser Ritus wird von ELIADE, gleichgültig in welcher Religion, Gnosis oder Weisheitslehre er auftritt,166 in seiner Grundaussage aufgefasst: „Wer Zugang zum geistigen Leben erlangen will, muss der profanen Seinsweise absterben und neu geboren werden.“167 Den Tod erlebt der Einzelne allein und ausgesetzt, die Wiedergeburt vollzieht sich im Rahmen der Bruderkette, die in den fünf Punkten der Meisterschaft zum Sinnbild einer „totalen Gemeinsamkeit“ wird.168 Das zentrale Thema innerhalb des freimaurerischen Rituals, die Suche nach dem verlorenen Meisterwort, interpretiert BIEDERMANN als ein Suchen „nach gültigen Inhalten“, die „immer fortgesetzt werden muß.“169 Darin liegt die Chance, dass jede Gesellschaft zu jeder Zeit das Verständnis der Vorgänge neu zu adaptieren und damit zu interpretieren vermag.

      In England kam es an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert zu einer entscheidenden Neuinterpretation des Todes, wobei diesem Vorgang eine Vorreiterrolle innerhalb Westeuropas zukam. Der Zusammenhang „zwischen Tod und Sünde oder spirituellem Leiden“ wurde relativiert und ging schließlich unter.170 Der Tod entwickelte zunehmend eine ästhetische Dimension. Diese Entwicklung, die durch die Abkehr der Philosophie und Theologie von der Vorstellung der Hölle getragen wurde, ging zweifellos langsam den Weg von den intellektuellen Eliten zur Massengesellschaft. Das Ritual des Meistergrades kennzeichnet signifikant diesen Wertewechsel und ist in seiner zentralen Symbolik durchaus geläufig.

      ARIÈS verweist auf jene Schmucksammlung in London, deren Belege von der elisabethanischen Zeit bis ins späte 19. Jahrhundert reichen und sich auf den Tod beziehen: Ein durchgehendes Motiv findet er in den kleinen bis kleinsten goldenen Särgen, in denen silberne Skelette oder, als pars pro toto, Locken der Verstorbenen liegen.171 Diese Schmuckstücke – die Särge sind zum Tragen ausgerichtet – korrespondieren mit einer anderen seit dem 16. Jahrhundert in England auftretenden Mode, die durch Totenkopfringe und andere Ringe mit makabren Motiven, etwa ein weinendes Auge, gekennzeichnet ist.172 Derartige Dinge bewegen sich durchaus im Bereich der geläufigen Symbole der Vanitas, erstaunen aber in ihrem nahezu spielerischen Umgang mit dem Tod. Im Rahmen der Darstellung einer weiteren Säkularisierung dieses Phänomens verweist ARIÈS in seiner Studie auf den Einsatz von Toten bei festlichen Inszenierungen, die in dem Hinweis gipfelt, „dass die Freimaurer keinen größeren Widerwillen mehr hatten, bei ihren Initiationsriten einbalsamierte Leichen zu benutzen.“173

      Kehrt man zurück zum Ritual, kann eine weitere Entwicklungslinie im Umgang mit dem Tod festgemacht werden: Es ist der „gute Tod“, der den geschundenen und entstellten Leib des Sterbenden wieder in seiner edlen Schönheit herstellt. Was in einer bewegenden „kollektiven Sensibilität […] bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“174 Ausdruck einer spezifischen Frömmigkeit war, mutierte innerhalb des Rituals zum Bild des neuen Meisters. „The Panoply of Death“ des Gentlemans, das im England des 18. Jahrhunderts zwischen dem sichtbaren Zeichen innerhalb von Kirchen und dem mit der Natur verschmelzenden auf den Friedhöfen oszilliert, wird zum Symbol innerhalb der Erzählung des Rituals. Der schlichte „Akazienzweig“ als Hinweis übernimmt die Funktion des Denkmals. Christopher WREN, der Baumeister der St. Pauls Cathedral in London, liefert ein Beispiel für die gebotene Schlichtheit in Verbindung mit dem „Panoply of Death“. Auf seinem Grab in der Krypta der Kathedrale heißt es lapidar: „Leser, wenn Du ein Denkmal suchst, blicke um Dich!“

      Erziehung zur gesellschaftlichen Verantwortung

      Im Sinne der auf Max WEBER zurückgehenden These, dass der Prozess der Aufklärung und Modernisierung zur Entzauberung der Welt und damit zur Säkularisierung der Gesellschaft geführt hat, übernimmt das Ritual die Funktion des Rahmens für einen Erziehungsprozess, der losgelöst ist von dominant konfessionell geprägten Vorstellungen. Diese Erziehung führt zunächst zur Hinwendung zum Privaten, sie sollte aber gleichzeitig auch öffentlich wirksam werden.175 Die Selbsterziehung dient, so die „Alten Pflichten“, dem privaten, intimen Zusammenleben innerhalb der Bruderschaft, sie gilt aber auch gleichzeitig der Öffentlichkeit, in der das einzelne Mitglied für die „eigene Ehre und die der alten Bruderschaft“ verantwortlich ist.176 In einem allgemeinen staatsbürgerlichen Kontext hat Heinrich ZSCHOKKE in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unermüdlich darauf hingewiesen, dass ein Bürger niemals Privatsphäre allein leben kann, sondern immer auch Repräsentant seiner Gruppe zu sein hat.177 Es ist eine Erziehung hin zu einer Gesellschaft, die nach den bitteren politisch und religiös bedingten Zerwürfnissen langsam die „Umstrukturierung und Neuorganisation ihrer Hierarchien und Statuten“ durchlebt.178 Die klassischen Bezugsrahmen, die Religion und die politische Macht, sind zum einen verblasst, zum anderen noch nicht endgültig Allgemeingut, daher sind „Streitgespräche über Religion, Nation oder Politik“ ausdrücklich obsolet.179 Es bleibt die individuelle Erziehung zu einem Menschen, der innerhalb der Gesellschaft Form zu wahren weiß, nachdem alle anderen Rahmen als brüchig und gegebenenfalls als konfliktträchtig erfahren worden sind. Verkürzend ließe sich Gottfried BENN zitieren: „Da wir uns der Wahrheit doch nicht nähern, lasst uns wenigstens gute Manieren haben.“180 Das Ritual aber sucht etwas vom Glanz der noch nicht entzauberten Welt zu erhalten.

      In seiner Würdigung Heinrich ZSCHOKKEs (1771-1848) charakterisierte Eugen LENNHOFF dessen Verständnis von Freimaurerei als ein „Mittelglied“ zwischen Kirche und Staat, als „fehlenden Ring in der zerbrochenen Kette“ von staatlicher und religiöser Autorität.181 Was hier am Beispiel ZSCHOKKEs angedeutet wird, ist die Funktion der Logen als Rahmen in einer offenen Gesellschaft, losgelöst von dogmatischen Bindungen und absoluter Autorität, sinnstiftend zu wirken. Den Logen kann damit die Aufgabe zugesprochen werden, ein Instrumentarium der Erziehung bewusster Bürger zu sein. Die Logenlandschaft wird damit zum Modell einer pluralen Gesellschaft, was wiederum die große Fülle unterschiedlicher, konkurrierender und sich häufig auch bekämpfender Systeme im 18. Jahrhundert erklärt.182 Innerhalb eines solchen Interpretationsrahmens wird man die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts postulierte Differenzierung von regulären und irregulären Systemen nur als deskriptive Darstellung der Gesellschaft zur Kenntnis nehmen können.

      Der damit angesprochene Konflikt zwischen der United Grand Lodge of England, deren imperialer Gestus in der Selbstdarstellung wohl auch ein Abglanz des Empire ist, und dem Grand Orient de France entzündet sich an der Symbolwelt. Ausgehend vom Prinzip, dass eine neue Loge nur mit einem Logenpatent der Großloge errichtet werden konnte und kann,183 versteht sich die United Grand Lodge als Mutter aller Logen. Daraus leitet sie auch die Verbindlichkeit ihrer Ansichten für die jüngeren Logen und Großlogen ab. Auf die Abschaffung des Prinzips des verbindlichen Glaubens an den „Allmächtigen Baumeister aller Welten“ reagierte die United Grand Lodge of England mit dem Abbruch der Beziehungen. Mit Hilfe der „Alten Pflichten“ können beide Positionen begründet werden. Beruft man sich auf das Verbot von „Streitgesprächen über Religion“ in den Logen und auf den damit verbundenen Hinweis auf die Unparteilichkeit der Logen in religiösen Fragen, „besonders aber seit der Reformation in Britannien oder seit dem Abfall und der Trennung unserer Nationen von der Gemeinschaft mit Rom“,184 überlässt man die Interpretation des Religiösen dem Individuum. Daraus folgerte man in der Mitte des 19. Jahrhunderts im romanischen Raum, dass in der Konsequenz einer solchen Auffassung das Symbol des Allmächtigen Baumeisters aller Welten aus den Logen