Dieter A. Binder

Die Freimaurer


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begegnen wir dem naiven Geist des ehrgeizigen Wettbewerbs, der Klubbildung und der Heimlichkeit, die sich in literarischen Vereinen und in Zeichengenossenschaften offenbart, in der auf Raritäten und Naturalien gerichteten Sammelwut, der Neigung zu Geheimbünden, der Freude an Kränzchen und Konventikeln, was ja alles auf einer Spielhaltung beruht. Damit soll nicht gesagt werden, dass diese Triebe wertlos wären, im Gegenteil, gerade der Elan des Spiels und die durch keinen Zweifel temperierte Hingabe machen sie ungeheuer fruchtbar für die Kultur.“86 Dem Ritual kommt dieselbe Funktion wie dem Tanz, in festlichem Rahmen Disziplin herzustellen, zu.87

      Kehrt man zum Vergleich Gentleman und Freimaurer zurück, so wird deutlich, dass der „noble seat“ innerhalb des maurerischen Bezugsfeldes die Loge ist, die aus der Bauhütte, aus dem handwerklich bestimmten Versammlungsort, zum „Tempel“ wird. Dementsprechend werden diese Räumlichkeiten aufgewertet. Richard SENETT spricht in diesem Zeitraum vom Verfall des öffentlichen Lebens, der in der Gegenbewegung zur Zunahme des Privaten führt.88 Er sieht darin eine wesentliche Voraussetzung des Aufstiegs der Bourgeoisie. Nun kommt der Loge im Sinne von HABERMAS ein spezifisch halböffentlicher Charakter zu,89 in dem sich Intimität und „beschränkte“ Öffentlichkeit vergleichbar der Kabinettspolitik der damaligen Diplomatie ein entsprechendes Refugium schaffen. Im Inneren erhöht dieses Refugium der Tempel. Was in Hinterzimmern von Gasthäusern begann, mit eilig auf- und abgetragenen Ritualgegenständen, wird zur festen, auch nach außen sichtbaren repräsentativen Heimstatt. Ihr Inneres erhält neben dem zentralen Tempel die Sammlungen, und in ihnen begegnet man wiederum einem Betätigungsfeld des Gentlemans. Trotz dieser Attitüde des Gentlemans bildet das Logenleben keine Flucht aus der Realität. Innerhalb des Kanons der Anstandsregeln, die auf ein gemessenes Benehmen zielen,90 heißt es ausdrücklich: „Ihr müßt auch auf Eure Gesundheit Rücksicht nehmen, die Zusammenkünfte nicht zu lange ausdehnen oder nach Schluß der Loge nicht zu lange von zu Hause wegbleiben, nicht unmäßig essen und trinken, damit ihr eure Angehörigen nicht vernachlässigt oder schädigt und euch selbst zur Arbeit unfähig macht.“91 Der Hinweis auf Arbeit ist durchaus kompatibel mit dem Bild des Gentlemans, denn in „all labour there is a profit“.92

      Das „Panoply of Death“ des Gentlemans, das eindrucksvolle Grab, und das damit verbundene „Memento mori“, denen der Gentleman zunächst auf seiner „Grand Tour“ beim Besuch von Kirchen und Klöstern begegnet, kehren wieder im Meisterritual. Erwecken die monumental gestalteten Gräber häufig die Illusion des Fortlebens, werden in der Freimaurerei die Auseinandersetzung mit dem Tod und die Überwindung der individuellen Todesangst ein zentrales Anliegen. Das Bild des „vollendeten Meisters“, das Totengedenken der Brüder und die Bruderkette um den Sarg des Dahingegangenen sind Symbole des Fortlebens, denn die Kette der Brüder reißt nie ab, sie reicht über den Tod hinaus.

      Freimaurerei und der Spieltrieb des 18. Jahrhunderts

      Ein Exkurs über die Vielfalt freimaurerischer Formen

      Von der richtigen Erkenntnis ausgehend, dass die Freimaurerei sehr rasch eine „Modebeschäftigung“ geworden sei, hält Bernhard BEYER fest, wie sehr die männliche Exklusivität der englischen Maurerei auf dem Kontinent in Frage gestellt wurde. Überdies hätte die französische Maurerei „schon frühzeitig die edle Einfachheit der englischen Rituale und der alten Tradition durch verschiedene neue Muster und Anhängsel übertüncht und zum glänzenden, mit großen Zeremonien ausgestatteten Amüsement verbildet“.93 In diesem Umfeld, das von einer „reinen Lehre“ ausgeht, siedelt BEYER das Entstehen androgyner Logen, insbesondere des „Mops-Ordens“ an, dessen vermutlichen deutschen Ursprung er zwar referiert, um dann apodiktisch als Gralshüter der „regulären“ Freimaurerei denunziatorisch festzuhalten: „In Wirklichkeit ist aber wohl anzunehmen, dass dieser Orden um 1740 herum in Frankreich entstanden, dann über die Rheingrenze hinaus in Deutschland verbreitet worden ist.“94

      Es ist hier nicht der Platz und das Anliegen, den Ursprung des Mops-Ordens zu klären, der in der Literatur immer wieder mit der ersten päpstlichen Verurteilung der Freimaurerei in Zusammenhang gebracht wird, da man im Mops-Orden gleichsam eine neue Gesellschaft außerhalb des Odiums der Freimaurerei zu schaffen beabsichtigt habe. Dieses Erklärungsmodell geht aber an der Tatsache vorbei, dass die frühen päpstlichen Verurteilungen außerhalb des Kirchenstaates und Spaniens nicht rezipiert worden sind.95 Auffallend ist aber, wie sehr BEYER bemüht ist, einen französischen Ursprung zu konstatieren, während SCHUSTER die französische Ursprungsthese „unkontrollierbaren, des romantischen Beigeschmacks nicht entbehrenden Gerüchten“ zuordnet.96 Damit deckt sich die ältere deutsche Darstellung mit den Ansichten etwa der amerikanischen97 und der französischen freimaurerischen Forschung.98 BEYERs Mutmaßungen entspringen vielleicht der auch in anderen Bereichen zu beobachtenden Tendenz, dass man scheinbar anrüchige Bereiche gerne aus dem eigenen Kontext löst und dem Nachbarn im Westen zuordnet.99

      Den Forschungsstand im Hinblick auf die regionale Entstehung im deutschsprachigen Raum100 fasst bereits das Internationale Freimaurerlexikon 1932 gültig zusammen, wobei ausdrücklich die Rolle der „kleinen“ Höfe der deutschen Fürsten und Universitäten in diesem Raum genannt werden.101 Dabei vermerken die Autoren dieses Lexikons die sogenannten Verräterschriften, die sich auf den Mops-Orden beziehen,102 und verweisen auf das „reichlich läppische Ritual des Ordens“. Diese Charakterisierung basiert auf einem Wertungsrahmen, der vom traditionellen, englisch geprägten Ritual ausgeht.

      Ein knapper Vergleich soll diese Charakterisierung verständlich machen, ohne auf den gesamten Initiationsritus des Mops-Ordens einzugehen, der analoge Schritte zum traditionellen Ritual besitzt,103 auch wenn er diese ironisch verfremdet. FRICK spricht die Analogie als „eine Art Persiflage“104 an, in der der/die Suchende gefragt wird, ob er/sie den „Hintern des Mopses [oder: des Teufels] oder den des Großmeisters zu küssen gewillt ist.“ Der (Stoff- oder Keramik- oder Wachs-) Mops steht während des gesamten Initiationsritus auf dem Tisch des Meisters vom Stuhl, auf dem auch ein Degen und ein Spiegel ruht. Dem androgynen Charakter der Loge entsprechend leisten die suchenden Frauen auf den Spiegel und die Männer auf den Degen den Eid, der sie zur Verschwiegenheit über die Logeninterna verpflichtet, nachdem sie dem „Hintern des Mopses“ die „respektvolle Huldigung“ dargebracht haben. Danach fällt die Augenbinde und die Neophyten werden in „der verspielten Form des ausgehenden Rokoko“ in Handzeichen, Losungswort und Symbolwelt eingeführt.105 Den Abschluss bildet die Tafelloge, bei der Männer und Frauen alternierend Platz nehmen.

      Um die Ähnlichkeit und die dramatische Verkehrung des freimaurerischen Rituals im Mops-Orden zu verdeutlichen, sei hier ein knapper Vergleich zwischen dem „Katechismus“ der Möpse und jenes eines Freimaurers gezogen.

      „Seyd ihr ein Mops?

      Vor dreyßig Jahren war ich es nicht.

      Was waret ihr denn vor dreiyßig Jahren?

      Ich war ein Hund, aber nicht ein Hund der ins Haus gehoeret.

      Wenn seyd ihr ein solcher geworden?

      Als mein Führer sich niedersetzte um an der Thuer zu kratzen und zu klaffen.

      Als ihr in die Gesellschaft eintratet, was that man euch?

      Man hieng mir eine Kette ueber die Haende, und ein Band an den Hals.

      […]

      Was hat euch am meisten in der Loge gefallen?

      Der Boden.

      Was stellt derselbe vor?

      […]

      Was bedeutet das Gevierdte?

      Den festen Grund der Gesellschaft.

      Was bedeutet der Creis?

      Gleichwie alle Durchschnitte des Creises durch eben denselben Mittelpunct gehen: also muessen allen Handlungen eines Mops aus einer Quelle gehen, nemlich der Liebe. Oder besser zu sagen: der Creis bedeutet die bestaendige Daurung der Loge.

      […]

      Woher kommt der Wind?

      Vom Morgen.

      Welche Zeit ist es?

      Es