Dieter A. Binder

Die Freimaurer


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Protokolls und bildete gleichzeitig den Rahmen für die Einübung in den Umgang des aufstrebenden selbstbewussten Bürgertums mit den Repräsentanten der alten Oberschicht. Die individuelle Erziehung kommt innerhalb der „Alten Pflichten“ im Abschnitt über den Umgang „mit einem unbekannten Bruder“ zum Ausdruck: „Ihr sollt ihn zurückhaltend in einer Weise prüfen, wie eure Vorsicht es angebracht erscheinen läßt, damit ihr nicht von einem unwissenden Betrüger zum Narren gehalten werdet.“120 Als Kardinaltugend erscheint hier die Zurückhaltung, die aber nicht nur als Schutz vor Betrügern verstanden wird, da es im selben Abschnitt weiter heißt, dass von niemandem verlangt wird, mehr zu tun, als er kann.121 Diese Ausgeglichenheit im Benehmen wird auch im Umgang zwischen den Brüdern außerhalb der Loge eingefordert,122 was gleichzeitig nicht nur Ausdruck eines guten Benehmens, sondern auch eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall ist, dass sich ein Profaner dazu gesellt.123 Die würdige Handhabung des Arkanums hängt also eng mit dem entsprechenden Anstand zusammen, der ja den Gentleman auszeichnet. Zweifellos entspricht das Arkanum auch dem Schutzbedürfnis des Einzelnen, der es seiner individuellen Entscheidung überlassen sehen will, ob er sich zu seiner Zugehörigkeit außerhalb des Privaten bekennt oder nicht. Einen anderen Aspekt bringt KNIGGE in seinem Anstandsbuch ein, in dem er das Arkanum aus der Sicht des Außenstehenden spiegelt:„Gleichsam wie verrathen und verkauft scheint ein sogenannter Profaner, wenn er sich unter einem Haufen Mitglieder einer geheimen Verbindung befindet. Freylich ist nichts ungesitteter, den wahren Begriffen einer feinen Lebensart mehr entgegen zu seyn, als wenn eine Anzahl Menschen, die sich auf diese Art untereinander verstehen, einen Fremden, der gutmüthig unter sie tritt, um an den Freuden der Geselligkeit Theil zu nehmen, durch ununterbrochene Lenkung des Gespräches auf Gegenstände, wovon Dieser gar nichts versteht, jeden Genuß der Unterredung raubt.“124 KNIGGE zeigt überdies, wie sehr die Verpflichtung zum Arkanum auch Bestandteil einer allgemeinen, guten Erziehung eines Herrn ist. Ausgehend von der Notwendigkeit, im Umgang mit Anderen Zurückhaltung zu bewahren,125 betont es den grundsätzlichen Charakter der Verschwiegenheitspflicht: „Hüte Dich, aus einem Hause in das andere Nachrichten zu tragen, vertrauliche Tischreden, Familien-Gespräche, Bemerkungen, die Du über das häusliche Leben von Leuten, mit denen Du viel umgehst, gemacht hast und dergleichen, auszuplaudern!“126

      Ins Allgemeine erhoben, ist für KNIGGE eine „der wichtigsten Tugenden im gesellschaftlichen Leben […] die Verschwiegenheit.“127 Das Ausarten der Geselligkeit seiner Zeit kritisierend, kommt er in seinem „Lob“ auf die Verschwiegenheit zu einer markanten Zusammenfassung: „Welchen Nachtheil überhaupt solche unvorsichtige Bewahrung fremder und eigner Geheimnisse gewährt, das bedarf wohl keiner weitläufigen Auseinandersetzung. Es gibt aber eine Menge andrer Dinge, die zwar nicht eigentlich Geheimnisse sind, wovon uns aber die Vernunft lehrt, dass es besser sey, sie zu verschweigen, und andre Dinge, deren Ausbreitung wenigstens für niemand lehrreich und unterhaltend seyn kann und wovon es doch womöglich wäre, dass ihre Verplaudrung irgend jemand nachtheilig seyn möchte.– Ich empfehle also eine kluge Verschwiegenheit, die jedoch nicht in lächerliche Mysteriosität ausarten muß, wie eine sehr wichtige Tugend im Umgange. Übrigens wird man die Bemerkung wahr finden, dass in despotischen Staaten die Menschen, im Ganzen genommen, verschwiegner sind als da, wo mehr Freyheit herrscht.“128

      So rasch, wie sich diese neue Gesellschaftsform mit der georgianischen Öffentlichkeit Englands arrangierte, so rasch gelang ihr auch der Sprung auf den Kontinent. Während in England die Freimaurerei aus einem bereits etablierten Bürgertum hervorging und sich in Frankreich „die Standesgegensätze […] in das Logenwesen hinein“ verlängerten, wurde im deutschen Sprachraum die Freimaurerei zu einem „Schmelztiegel von Adel und aufsteigendem Bürgertum“.129 In allen drei Regionen war das Ritual die spielerische Voraussetzung für die sozialintegrative Aufgabe der Logen, innerhalb deren in spielerischer Form eine neue Gesellschaft erprobt werden konnte.

      So generell der Anspruch auf einen weltumfassenden Bruderbund von Beginn an gestellt wurde, so rasch differenzierte sich das System. Die Logen waren und sind zunächst ein Spiegel der Gesellschaft innerhalb der sie existier(t)en. In Frankreich trat an die Stelle der englischen Toleranz die enge Verknüpfung mit der Aufklärung und einer spezifischen Religionskritik. Beide Traditionen fanden sich im deutschsprachigen Raum und in Nordamerika, während die französische Frontstellung insgesamt für das romanische Europa Vorbildwirkung besaß und die englische Entwicklung den skandinavischen Raum prägte. Nicht ein einheitliches System verbreitete sich in Europa und in den europäischen Kolonien, sondern eine bunte Vielfalt. Grundsätzlich auf dem Boden der Brüderlichkeit stehend, bekannte man sich zum Arkanum und zur stufenweisen Initiation. Doch die Formenwelt und die Interpretation des Zieles blieben den einzelnen Zusammenschlüssen offen, denn „Aufklärung und geheime Gesellschaften sind die beiden merkwürdigen Steckenpferde“ des 18. Jahrhunderts, „ auf welchen sich Thorheit und Weisheit“ der „Zeitgenossen tummeln“.130 Der Bruderbund mutierte zur geselligen Begegnung von Brüdern und Schwestern, aus dem reinen Männerbund wurde gelegentlich ein reiner Frauenorden. Zu all dem kam, dass die Freimaurerei als Tarnung zu gebrauchen war, gleichsam eine „masonry in a masonry“, weil man ihr „unnützes Possen- und Zeremonienspiel“ (Kurfürst MAX FRANZ von KÖLN) weithin als harmlos ansah. Systeme und Vereinigungen wie der Illuminatenorden, die Rosenkreuzer des 18. Jahrhunderts, der preußische Tugendbund, die Nationale Freimaurerei Polens, Frankreichs Les Amis de la Verité und Charbonnerie, die italienische Carboneria und schließlich die russischen Dekabristen müssen hier wegen ihrer organisatorischen Verwandtschaft und gelegentlichen personellen Querverbindungen angeführt werden. Derartige Gesellschaften beeinflussten die Aussagen unterschiedlichster Verschwörungstheoretiker, die mit dem Ausbruch der Französischen Revolution massiv Aufwind erhielten.131

      Das Bild des Ritters

      Exkurs zu Modellen der Hochgrade

      Von der richtigen Erkenntnis ausgehend, dass die Freimaurerei sehr rasch eine „Modebeschäftigung“ geworden ist, hält Bernhard Beyer fest, wie sehr die männliche Exklusivität der englischen Maurerei auf dem Kontinent in Frage gestellt worden sei. Überdies hätte die französische Maurerei „schon frühzeitig die edle Einfachheit der englischen Rituale und der alten Tradition durch verschiedene neue Muster und Anhängsel übertüncht und zum glänzenden, mit großen Zeremonien ausgestatteten Amüsement verbildet“.132 Wenngleich hier Beyer, ganz Kind seiner Zeit und seines Umfeldes, denunziatorisch Entwicklungen, die er als Irrwege interpretiert, an den französischen Nachbarn weiterreicht, obwohl sie vielfach deutschen Ursprungs gewesen sind, soll hier das Aufbrechen der „edlen Einfachheit der englischen Rituale“ kurz im Hinblick auf die Hochgradsysteme, „Ritterspielereien“,133 wie sie etwa signifikant für die „Strikte Observanz“ gewesen sind, angesprochen werden.

      LESSINGs Falk reagiert spöttisch auf diesen Wildwuchs, der die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts zutiefst irritierte, letztlich wohl auch deshalb, weil man von der Vorstellung einer „reinen Lehre“ auszugehen schien.134

      „Ernst: […] Der eine will Gold machen, der andere will Geister beschwören, der Dritte will die [Tempelritter]135 wieder herstellen – Du lächelst – Und lächelst nur? – […]

      Falk: […] Man müßte sie vielmehr laut bekennen, und nur den gehörigen Punkt bestimmen, in welchem die [Tempelherren] die Freimaurer ihrer Zeit waren.[…]Sehen und fühlen alle Freimaurer, welche jetzt mit den [Tempelherren] schwanger gehen, diesen rechten Punkt: wohl ihnen. […] Erkennen und fühlen sie ihn aber nicht, jenen Punkt; hat sie der Gleichlaut verführt; hat sie bloß der Freimaurer, der im [Tempel] arbeitet, auf die [Tempelherren] gebracht; haben sie sich nur in das [rote Kreuz] auf dem [weißen Mantel] vergafft; möchten sie gern einträgliche [Komtureien], fette Pfründen sich und ihren Freunden zuteilen können;–“.

      Peter Burke streicht die Bedeutung der „Ritterromane“ für das gesellschaftliche Bewusstsein um die Mitte des 18. Jahrhunderts hervor136 und zitiert dabei einen höchst bemerkenswerten Aspekt aus William ROBERTSONs „History of Charles V“ (1769): „Das „Rittertum […] das ja gemeinhin als eine wilde Institution gilt […], entwickelte sich ganz natürlich aus dem damaligen Gesellschaftszustand und hatte einen nachhaltige Einfluss auf die Verfeinerung der Sitten der europäischen Völker.“

      Man könnte an dieser Stelle