Vater musterte den gutaussehenden Mann erstaunt. Er war gut gekleidet und wirkte gepflegt, obwohl der alte Filzhut gerade einen Regenguß abbekommen hatte.
»Thilo Heimhofer?« Ruppert Lange war überrascht. »Ich erinnere mich. Es hieß doch, du wärst ins Ausland gegangen. Ich wußte auch nicht, daß du das Schreinerhandwerk gelernt hast!«
»Das habe ich auch nicht. Von einem Gesellenbrief konnte ich bis jetzt nur träumen. In Amerika fragt eben keiner danach, Hautpsache, einer versteht etwas von der Sache. Ich wollte schon nach Oberau, aber bis zum nächsten Bus blieb mir noch eine halbe Stunde Zeit. Da dachte ich, ich frage noch mal bei Ihnen nach.«
»Na, also, erzähl mehr von dir.« Der alte Schreinermeister ahnte schon jetzt, daß sich mit dem Eintreten von Thilo Heimhofer das langersehnte Wunder vollzogen hatte. Einer seiner Angestellten mußte ein Bier bringen, das er sich mit Thilo redlich teilte. Es schlug zwölf, die Mittagspause begann.
»Was hast denn alles gelernt?« wollte er nun wissen. Und Thilo begann zu erzählen. Vom Bootsbau in Kanada, von seiner Zeit in Las Vegas, wo er mit einem Partner ganze Spielhöllen ausgestattet hatte und von den abwechslungsreichen und lehrreichen Monaten, die er in Hollywood mit dem Bau von Filmkulissen hinter sich gebracht hatte.
So verging die Zeit, und keiner der Männer achtete darauf.
»Im Rechnungswesen kenne ich mich auch aus«, meinte Thilo. »Materialien aller Art sind mir vertraut, und mit ein wenig Glück und Geduld stelle ich auch Werkzeichnungen her.«
»Hm«, machte Ruppert. »Und oben auf dem Hof ist kein Platz mehr für dich?«
»Im Gegenteil. Platz ist genug da, aber der Verdienst reicht nicht für vier oder fünf.«
»Du verstehst dich nicht mit dem Sepp!« vermutete Ruppert.
»Doch. In meiner Freizeit will ich gern helfen, damit er es leichter hat und unsere Mutter endlich zur Ruhe kommt.«
»An den Wochenenden?«
»Ja, das muß gehen. Dann kann auch Gritli einige Zeit bei ihrem Onkel und ihrer Großmutter verbringen.«
»So, ja, Gritli.« Thilo wurde eingehend gemustert. »Willst denn hier im Dorf wohnen?«
Thilo nickte entschlossen. »Wenn ich hier Arbeit gefunden habe, läßt sich auch eine Unterkunft finden, die Gritli den mühsamen Schulweg erspart. Sie ist ein aufgewecktes Kind, dem ich mehr Zeit zum Spielen gönne.«
Ruppert betrachtete den Mittdreißiger mit wachsendem Respekt. Dann stimmte also nicht alles, was die Leute im Dorf von den Heimhofers sagten. Einer in der Familie sorgte sich nun doch um die kleine Gritli.
»Gut, daß du wieder zurück bist, Thilo. Morgen habe ich mich entschieden, ob du der richtige Mann für mich bist«, versprach er zwinkernd und teilte den Rest des Biers auf.
Mit ein wenig Fleiß und Geschick würde Thilo nach kurzer Zeit die Gesellenprüfung ablegen können. Und warum sollte er es nicht noch zum Meister schaffen?
Ruppert setzte sich bequem zurecht und wollte den Bewerber gerade dazu auffordern, ihm noch mehr von der weiten Welt zu erzählen, als sich draußen schnelle Schritte näherten. Gleich darauf wurde die Tür zur Werkstatt aufgerissen.
»Ein Sauwetter ist ’s, Väterchen«, rief eine Frau herein, ohne sich sehen zu lassen. »Ich zieh mich nur um, dann mach ich schnell das Essen für uns.«
»Laß dir nur Zeit, Bärbelchen, ich habe nette Gesellschaft!« rief Ruppert zurück. Er sah Thilo mit stolzem Lächeln an. »Meine Tochter wohnt oben. Die hat nichts dagegen, wenn du mit am Tisch sitzt. Weißt du, sie hat nämlich auch ein Wörtchen mitzureden, wenn ich einen Angestellten einstelle.«
»Hat Ihre Tochter dunkle Haare?«
»Ja, und hübsch ist sie dazu!« Ruppert kicherte in sich hinein.
Und hochmütig ist sie auch, dachte Thilo, ließ sich aber kein zweites Mal bitten, oben am Tisch der Langes Platz zu nehmen. Er war zu neugierig, ob Rupperts Tochter ihn wieder so von oben herab behandeln würde.
Bei Barbara gab ’s Kartoffelsalat und abgebräunten Leberkäs. Als Dessert schnipselte sie noch hastig Obst in eine Schale. Sie hörte ihren Vater in die Wohnung kommen und mit jemandem sprechen. Das war nicht ungewöhnlich. Manchmal kam einer der Angestellten mit nach oben, um bei Tisch über ein Problem zu beratschlagen, so daß sie sich auch eine Meinung bilden konnte.
Barbara stellte alles auf ein Tablett und trug es hinüber in die Eßdiele, wo der Tisch schon für zwei Personen gedeckt war. Sie nahm den Gast erst nur flüchtig wahr, dann erschrak sie aber so, daß sie das Tablett gerade noch auf den Tisch schieben konnte.
»Bärbelchen, das ist der Thilo. Einer der Heimhofer-Burschen. Er will bei uns arbeiten!«
Thilos Lächeln war eine gewisse Verlegenheit anzumerken, aber davon schlug ihr Herz nur noch heftiger. Wumms, wumms, hämmerte es in ihrem Brustkorb, als entscheide jede weitere Sekunde über Leben und Tod. Das machte sie wütend, weil sie wußte, ihr Herz hatte keinen Anlaß, sich so dumm zu benehmen.
»Heimhofer? Thilo Heimhofer?« wiederholte sie mechanisch und war doch nicht in der Lage, ihren Blick von dem attraktiven Mann zu wenden. »Sie… sind Gritlis Vater?«
»So ist es. Sehr erfreut, Fräulein Lange.« Er streckte ihr die Hand hin. »Wir kennen uns ja schon.«
»Wir haben nur einige Worte gewechselt«, verbesserte sie ihn wie einen begriffstutzigen Schüler. »Vor etwa zehn Tagen. Und warum erfahre ich erst jetzt, daß Sie Gritlis Vater sind?«
»Hat sie wohl vergessen«, nuschelte Ruppert peinlich berührt. Barbara hatte sich schon gesetzt, was sonst auch nicht ihre Art war. Da Thilo nicht unhöflich sein wollte und ohne Aufforderung niemals Platz genommen hätte, blieb er wie angewurzelt stehen.
»Gritli gehört nicht zu den Kindern, die überflüssig herumschwätzen«, nahm er nach kurzer Überlegung seine Tochter in Schutz. »Sie ist ein aufgewecktes Mädchen, das aber nicht viel Aufhebens von sich macht. Warum soll sie Ihnen erzählen, daß ich wieder zu Hause bin?« Weil er damit nur einen vorwurfsvollen Blick von Barbara erntete, setzte er noch eins drauf: »Sie hat einen mühsamen Heimweg nach der Schule und es noch nie leichtgehabt. Da bleibt keine Zeit, mit Fremden zu reden.«
»Mit Fremden?« Barbara blies empört die Wangen auf. »Ja, wissen Sie denn nicht, wer ich bin?«
»Das Fräulein Lange, sicher. Das weiß ich jetzt.« Er lachte leise, und das klang ein wenig belustigt. »Sie haben wohl länger in München gelebt? Sonst hätte ich Sie vielleicht vom Hof aus wiedererkannt.« Weil der Schreinermeister ihm nun unmißverständlich andeutete, er solle sich endlich setzen, nahm Thilo mit dankbarem Nicken Platz. »Es ist lange her, da habe ich Sie manchmal durchs Dorf gehen sehen, Fräulein Lange. Sie waren noch ein junges Ding.«
Ruppert Lange lachte meckernd vor sich hin. Daß Thilo nun ausgerechnet und doch ganz ahnungslos mit der Lehrerin seiner Tochter am Mittagstisch saß, erheiterte ihn.
»Du hast die Heimhofer-Söhne nie beachtet, Bärbelchen«, meinte er zwinkernd. »Sie waren dir nicht gut genug und hatten für Mädchen sowieso nie viel übrig.«
»Wenn ’s die Richtige war, dann schon«, schmunzelte Thilo und blickte Barbara in die grünlichen Augen, ohne sich erklären zu können, warum die ihn nur noch bitterböser anstarrten.
»Ihre Sprüche können Sie sich ersparen, Herr Heimhofer. Und was Gritli betrifft, die kenne ich sehr gut. Um so bedauerlicher, wie wenig Sie sich für Ihr Kind und seine Pflichten interessieren.«
Das Lächeln verging ihm. »Mag sein. Aber ich bemühe mich in jeder freien Minute darum und achte darauf, daß ihr Leben einfacher wird und sie in der Schule keinen Ärger bekommt. Daheim hat man mir schon angedeutet, daß sie sich mit einer strengen und humorlosen Lehrerin herumschlagen muß. Mein armes Gritli. Natürlich will ich jeden Zoff mit der alten Jungfer vermeiden.«
»O jessas!« ächzte Ruppert. Hastig zog er die Schüssel mit dem